Die andere DDR

Menschen vergessen schnell. Nein, schlimmer: Unliebsames verdrängen, das Gute erinnern sie. Das gab es im großen Rahmen zu Anfang der Bundesrepublik. Doch war das Verdrängte so ungeheuerlich, dass der empörte Aufschrei der folgenden Generation das Schweigen zerriss. Nach der Abwicklung der zweiten deutschen Diktatur setzte ein ähnliches Phänomen ein. Nach einer Dekade Vereinigungskater erschien das Land der grenzenlosen Beschäftigung nicht nur den ewig Gestrigen als eine tolle Sache. Neben der Ostalgie, die immer nur Pendant zu westlicher Nostalgie war, kamen die populären Klamaukfilme, am erfolgreichsten Good Bye Lenin!. Sie versuchten nicht einmal den Arbeiter- und Bauernstaat verächtlich zu machen, sondern erschöpften sich bereits in ihrem Gagrepertoire. Stattdessen gaben sie der ersten gesamtdeutschen Generation ihre „Zone“, ein kurioser Käfig voller sächselnder Kommunisten, die im Trabi zur wertlosen Witzarbeit im volkseigenen Betrieb fuhren und im Konsum die Wahl zwischen Scherzartikeln mit ulkigen Namen wie Spreewaldgurken und Club-Cola hatten. Die „Zone“, zu der man sich nun auch als ihr Kind bekennen konnte, wurde Kult.

Die Opfer, die hat es auch noch gegeben. In meist getragenen Reden an den üblichen Kranzabwurfstellen wurde ihrer gedacht. Gelegentlich geisterten Vorwürfe wegen früherer IM-Tätigkeiten durch die Medien. Im verklärten Blick auf die Spaßzone haben sie aber keine Bedeutung gehabt; die Stasi war da allenfalls ein Haufen verklemmter Spinner in Nazi-Uniformen, der nichts besseres zu tun hatte, als in der dreckigen Wäsche der Genossen zu wühlen. Die filmische Verniedlichung des im Gegensatz zum pompös selbstinszenierten Untergang des Dritten Reichs – gottlob – so peinlichen und blutlosen Abtritts der DDR von der Weltbühne blieb im großen Erzählkino unwidersprochen. Bis jetzt.

Dass Florian Henckel von Donnersmarck mit Das Leben der Anderen eine kraftvolle Antithese zu den Propheten der albernen Republik geschrieben und gedreht hat, dass man nicht 139 Minuten bekannte Film-DDR erwarten kann, macht das Intro auf bedrückende Weise klar. Da sehen wir einen Stasi-Offizier beim Verhör eines Mannes, dessen Freund „Republikflucht“ begangen hat. Hauptmann Wiesler (Ulrich Mühe) spricht militärisch knapp, leise, aber bestimmt, während seine stahlblauen Augen das Gegenüber fixieren. Zwischendurch wird immer wieder in den Hörsaal der Stasi-Hochschule geschnitten, in der Wiesler die Tonaufnahmen des Verhörs in unverändertem Tonfall vor andächtig lauschenden Studenten erläutert. Der Befragte wird mit Schlafentzug und Dauerbefragung gebrochen. Wiesler gewährt im Hörsaal einen Einblick in die Feinmechanik des Terrors. In der Endgültigkeit seiner Worte wirkt er wie Dostojewskis Großinquisitor. Als einer der Studenten fragt, ob Wieslers Methode nicht inhuman sei, spult dieser bis zum Geständnis vor: Der Mann hat gelogen und verrät nach Wieslers Drohungen gegen die Familie und am Rande des Nervenzusammenbruchs seine Kollegen. Der Generalverdacht als Beweis; Wiesler markiert den Namen des Zweiflers.

Mit dem Blick des Anatomen seziert Henckel von Donnersmarck auch den Fall des Künstlers Dreymann (Sebastian Koch), eines über die DDR hinaus viel gelesenen und verdächtig systemkonformen Literaten. Weil er dem Minister Hempf (Thomas Thieme) ein Dorn im Auge ist, lässt dieser ihn überwachen. Der Spezialist Wiesler wird damit betraut und ist fortan der unsichtbare Dritte im Leben Dreymanns und dessen Frau Sieland (Martina Gedeck). Auf dem Dachboden richtet er seine Abhörzentrale ein, zeichnet den Grundriss der abgehörten Wohnung nach und nimmt bis ins Detail am Leben des Künstlerpaares teil – bei Gelegenheit vermerkt er lakonisch im Protokoll: „Dann verm. Geschlechtsverkehr“. Doch der Fall, der sich täglich im real existierenden Sozialismus ereignete, gerät außer Kontrolle, als Wiesler an seinen Taten zu zweifeln beginnt.

Henckel von Donnersmarck versteht es das ganze Arsenal des Terrors aufzuzeigen: vom Beschatten über die erpresserische Rekrutierung von Spitzeln bis hin zur unverhohlenen Drohung, die bürgerliche Existenz des Betroffenen zu vernichten. Mehr noch: Er erklärt aus diesen Methoden heraus den plötzlichen Untergang des Systems. Das Leben der Anderen ist kein Widerstandsstück, sondern im Grunde genommen ein Film über zwei Idalisten, die es auf zwei diametral entgegengesetzte Positionen innerhalb der Diktatur verschlagen hat. Dreymann, der Brecht-Leser, bleibt in der DDR, auch wenn er im Westen gefragt ist. Er glaubt noch an das andere, das bessere Deutschland – ein wirkmächtiger Glaube, der heute zu oft unterschlagen und höchstens dem kryptokommunistischen „Jammerossi“ zugebilligt wird. Der Technokrat Wiesler, Lieblingsfarbe: Grau, glaubt nicht minder an die Richtigkeit seines Handelns und ist daher effizienter im Zerstören des Lebens der Anderen als seine Vorgesetzten. Mit den durchtriebenen Machtspielchen seines Vorgesetzten konfrontiert fragt er ungewöhnlich naiv, ob denn die Stasi nicht „Schild und Schwert der Partei“ sei. Beide Männer sehen sich getäuscht. Der eine begibt sich in den politischen Widerstand, der andere hintertreibt die Order seines Vorgesetzten. Das System kollabiert nicht wegen seiner totalitären Überwachungsmethoden allein, sondern weil diese es zusammenhalten sollen, wo der gemeinsame Glaube verloren gegangen ist.
Leider macht Henckel von Donnersmarck, der vordergründig eine menschliche Tragödie erzählt, es sich da, wo er anklagt, zu leicht. Die Gegensätzlichkeit seiner beiden zentralen Figuren polarisiert die Gesamtkonzeption des Films. So ist Minister Hempf der fette, schmierige und korrupte „Parteibonze“, der sich mit seiner Machtfülle die Frau des Helden gefügig macht. Wiesler wiederum hat kein Privatleben und während er in seiner kahlen Wohnung mit einer heruntergekommenen Prostituierten vorlieb nehmen muss, erlebt Dreymann die wahre Liebe mit einer der begehrtesten Frauen der DDR. Man hört bereits die Ersten – nach all den satirischen und nostalgischen Verzerrungen anderer Filme – ausrufen: „Ja, jenau so isses jewesen!“ Nein, auch diese vermeintlich scharfe Trennung von ruchloser Stasi-Diktatur und idealistischem, aber betrogenem Volk wird dem von der Geschichte geschlucktem Staat nicht gerecht. Dennoch ist Das Leben der Anderen der bisher beste Nachwendefilm über die DDR und eine wichtige und unbedingt sehenswerte Station zu einem gerechteren Geschichtsbild.


Das Leben der Anderen

(Deutschland 2006)
Regie und Buch: Florian Henckel von Donnersmarck; Kamera: Hagen Bogdanksi; Musik: Stéphane Moucha, Gabriel Yared; Schnitt: Patricia Rommel; Darsteller: Martina Gedeck, Ulrich Mühe, Sebastian Koch, Ulrich Tukur, Thomas Thieme
Länge: 137 Min.
Verleih: Buena Vista International

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