Rechtzeitig zum 80. Geburtstag Klaus Kinskis veröffentlicht Suhrkamp in seiner Reihe „BasisBiographie“ ein neues Buch über den deutschen Schauspiel-Mythos. Auf handlichen 160 Seiten zeichnet Autor Peter Geyer Leben und Karriere des Schauspielers nach, geht auf dessen Werk ein und untersucht die Medienfigur Kinski.
Eine Biografie über Kinski: Schon bei dem Gedanken an ein solches Buch macht sich ja ein unangenehmes Völlegefühl breit. Seit seinem Tod vor 15 Jahren hat Kinski sich nicht gerade rar gemacht, im Gegenteil: Seine Lesungen und Rezitationen wurden ebenso veröffentlicht (nicht zuletzt von Peter Geyer, der das Hörbuch-Label Die Audiothek betreibt) wie seine Gedichte; Kinskis einzige Regiearbeit „Paganini“ erlebte mit rund zehnjähriger Verspätung seine deutsche Kino- und DVD-Veröffentlichung und Werner Herzog widmete sich seinem Lieblingsschauspieler und -feind mit dem entsprechend betitelten Film „Mein liebster Feind“. Diese Veröffentlichungen trugen ihren Teil dazu bei, dass durch breite Teile der Öffentlichkeit kolportierte und zementierte Bild des wahnsinnigen Genies weiter zu bekräftigen. Ein Ruf, den Kinski sich hart erarbeitet hat, wie auch Geyer in seinem Buch nachzeichnet. Die Skandale, so sehr sie auch zur Popularität des Schauspielers beigetragen haben, standen aber immer auch einer ernsthaften Rezeption und Wertschätzung von Kinskis unbestreitbaren künstlerischen Leistungen im Weg. Geyer setzt das Wissen über Kinskis eigenwillige Selbstdarstellung voraus, begreift diese als integral für das Verständnis des Menschen und sein Schaffen, reduziert ihn aber niemals darauf. Anstatt an der alten Mär des geifernden Irren weiterzustricken, bemüht er sich um eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Objekt.
Sein Buch gliedert sich in drei Teile: dem streng biografischen Teil folgt eine Besprechung von Kinskis auditivem Werk und seinen wichtigsten Filmen, ein mit „Wirkung“ überschriebenes Kapitel unterzieht die Kunstfigur Kinski einer genauen Betrachtung. So streng diese Trennung auch anmuten mag, umso deutlicher wird im Verlauf des Buches wie sehr Leben, Werk und Wirkung Kinskis miteinander verzahnt sind. Kinski erfindet sich völlig neu – Geyer bezeichnet ihn an einer Stelle als ersten deutschen Rockstar –, macht seinen Namen zur Marke und schönt seine Biografie. Doch diese Selbstästhetisierung ist keine der Eitelkeit geschuldete Lüge, sondern gründet auf dem Selbstverständnis des Schauspielers, der sich schon früh als Außenseiter fühlt. Während andere Schauspieler das Herz ihrer Landsleute erobern, ist Kinski der Aussätzige (sein Gedichtband nennt sich auch „Fieber. Tagebuch eines Aussätzigen“), auf den – dem Tony Montana aus Brian DePalmas „Scarface“ nicht unähnlich – das Volk abschätzig mit dem Finger zeigen kann, um sich selbst besser zu fühlen. Kinskis selbst gewähltes Image wird zur Falle, denn wann immer er sich mitteilen will, sieht man doch nur den vermeintlichen Psychopathen. Eine Dynamik, die während seiner „Jesus Christus Erlöser“-Tournee zum Eklat führt. Natürlich kann Geyer in dem schmalen Bändchen keine endgültigen Antworten geben, aber so sehr er auch an der Oberfläche bleiben muss, so interessant und aufschlussreich lesen sich etwa die Passagen, in denen er Kinskis Vortragsstil analysiert oder aber seine skandalumwitterten Fernsehauftritte in den späten Siebzigern und den Achtziger-Jahren Revue passieren lässt. Peter Geyer ist ein Bewunderer von Kinskis Kunst, das erkennt man in jeder Zeile, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass sein Buch über weite Strecken einen beinahe apologetischen Charakter annimmt. Aber vielleicht ist es auch an der Zeit zu zeigen, dass Kinski nicht nur unberechenbarer Aggressor, sondern immer wieder auch Opfer einer Unterhaltungskultur wurde, die einen Provokateur wie ihn zwar begeistert annahm, aber niemals verstehen wollte. Um dieses zu zeigen, wäre es sicherlich lohnenswert, seine zahlreichen Interviews einmal nach linguistisch-pragmatischen Grundsätzen zu untersuchen. Bis dahin kann man sich mit Geyers Buch aber wunderbar die Zeit vertreiben, ohne sich den Magen zu verderben.
Peter Geyer
Klaus Kinski
Leben Werk Wirkung – SuhrkampbBasisBiographien
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2006
160 Seiten (Broschiert), 7,90 Euro