Coffee and Cigarettes

im Jarmusch ist jener Regisseur, dem gern von Presse und Publikum der ‚Independent‘-Stempel aufgedrückt wird. Er sei der einzige amerikanische Filmemacher, der völlig unabhängig von einem Studiosystem arbeiten kann und dem auch nach der Kinoauswertung weiterhin die Filmnegative gehören. Jarmusch selbst lehnt eine Kategorisierung in ‚Independent‘ und ‚Mainstream‘ ab, da beide Bereiche ähnlich vermarktet und distribuiert werden. Wenn Filme wie Der englische Patient (USA 1997) oder Shakespeare in Love (USA 1999) als Independent-Filme angepriesen werden, beide von der Disney-Tochterfirma Miramax in die Kinos gebracht, dann stimmt mit dem unabhängigen Film etwas nicht, so Jarmuschs Begründung.
Der Bertz-Verlag hat in seiner Reihe „Film“ einen Sammelband über Jim Jarmusch herausgegeben. Anders, als in der jüngst gestarteten Reihe „Stars!“, die viele Bilder und wenig Inhaltliches bietet, gibt das vorliegende Buch einen tiefgehenden Einblick in das Œuvre Jarmuschs wieder. Ganze fünfzehn Autoren versuchen im Interview, Essay oder in Einzelanalysen, Jarmusch und seinem Werk näherzukommen. Beim Lesen fällt auf, dass die Autoren teils bewusst, teils unbewusst, die Person Jarmusch in den Musiker und den Regisseur unterteilen. Jarmusch, der an der New Yorker Filmschule studierte, spielte in den frühen achtziger Jahren in einer Band, den Del-Byzanteens. Seine Kontakte zur Musikszene führten später dazu, dass in seinen Filmen Musiker wie John Lurie, Tom Waits oder Lou Reed Hauptrollen spielen.

Filmmusik ist essenzieller Bestandteil für die Atmosphäre seiner Geschichten. Um Dead Man (USA 1995) vollständig zu erfassen, muss der Score Neil Youngs in einer Analyse mit beachtet werden. Diedrich Diederichsen, Redakteur bei den Musikzeitschriften ‚Sounds‘ und ‚Spex‘, stellt in seinem Dead Man-Artikel die Verbindung zwischen dem Rhythmus der Musik und dem Fluss der Bilder folgendermaßen dar: „Diese kurzen aufscheinenden Auftritte einer sehr markanten und schnell wiedererkannten, sehr spezifisch verstärkten und verzerrten Gitarre bleiben, ebenso wie die Auf- und Abblenden [im Film], durchgehend für den Rest des Films erhalten. Sie definieren nicht nur den Rhythmus des ansonsten sehr stillen und zuweilen auch langsamen, innehaltenden Films, sie rahmen auch den Gefühlsraum für den Zuschauer ein.“ (S. 227) Wie eng Youngs Musik mit Jarmuschs Bildern verbunden ist, wird klar, wenn man bedenkt wie die Musik eingespielt wurde. Jarmusch präsentierte Young den fertigen Film und Young setzte seine Eindrücke beim Sehen des Films in Musik um. Danach wurde nichts mehr geändert.

Ein weiteres Kapitel des Buches („Zwischen zwei Kontinenten“) beschäftigt sich ausschließlich mit dem Leben Jarmuschs in New York und Europa, seiner frühen Schaffensphase, in der sein erster in New York angesiedelter Spielfilm entsteht, Permanent Vacation (USA 1980). Leider gelingt es dem Autor Rolf Aurich nicht, seinen Text überschaubar zu strukturieren. Er verliert sich im Wirrwarr der Referenzen, nach dem Motto: Wenn man verstehen möchte, wie das New York von 1980 aussah, muss man auch wissen, welche Musikströmungen seinerzeit angesagt waren. Ein sicherlich gutgemeinter Ansatz, der allerdings im bloßen ‚name dropping‘ endet.

Einen guten Einblick in das Verhältnis von Jarmusch zu anderen und den eigenen Filmen gibt das von Geoff Andrew geführte Interview mit dem Regisseur. Im Gegensatz zu Quentin Tarantino, dessen Filme vom Spiel mit den Zitaten leben, habe Jarmusch es in seinen ersten Filmen vermieden, offensichtliche Bezüge zu anderen Filmen herzustellen, da er nicht kopieren, sondern eigene Ideen in seine Filme einbringen wollte. Erst mit Ghost Dog: The Way Of The Samurai (USA 1999) gab er diesen Vorsatz auf. In diesem Film übernimmt Jarmusch direkt ein Motiv aus dem vom ihm bewunderten Branded to Kill (Japan 1967): Der Killer erschießt sein Opfer durch das Ausgussrohr eines Waschbeckens.

Jarmusch erzählt, dass er in seiner Kindheit mit Filmen wie The Blob (USA 1958) und Attack of the Crab Monsters (USA 1957) aufgewachsen ist und erst als 17jähriger in New York festgestellt habe, dass nicht in allen Filmen Monsterkrabben auftauchen. Trotzdem halte er nicht viel von der Trennung Hoch- und Trivialkultur, da beide Formen durchaus unterhaltsam sein können.

Im Gespräch wird deutlich, dass Jarmuschs Filme eher ‚zufällig‘ entstehen. Kann ein Projekt nicht finanziert werden, dreht er mit Freunden einen kleineren kostengünstigeren Film, Night On Earth (USA 1990). Beim Ausdenken der Geschichte entwickelt Jarmusch zunächst die Figur, erst dann kommt der Plot dazu. Während der Dreharbeiten werden Freiräume für Improvisationen gelassen, damit Darsteller sich in ihre Rollen langsam einleben können. Interviewer Geoff Andrew, der Bücher über amerikanische Independent-Regisseure geschrieben hat, kennt sich gut in Jarmuschs Werk aus. Manchmal tendieren seine Fragen allerdings dazu, Jarmuschs Antwort in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Als Mogelpackung entpuppt sich der Text von Wim Wenders („Der Mann an der Moviola“), der nichts weiter als ein zweiseitiges Grußwort ist. Schade, es hätte interessant werden können zu lesen wie Wenders die ihm gern zugewiesene Rolle des Förderers und Ziehvaters von Jarmusch selbst sieht.

Das gelungenste Kapitel des Buches stammt von Ralph Eue („Off-Beat Heroes“), welches neben Andrews Interview das Kernstück des Buches darstellt. Eue durchschreitet Jarmuschs Filme nicht chronologisch, er ordnet sie thematisch ein bzw. sucht nach verbindenden Motiven: Gewalt und Bilder sowie Symbole des Todes tauchen in Dead Man und Ghost Dog auf, die verschiedenen Kulturen, die Jarmusch in seinen Filmen aufeinander prallen lässt, finden sich in fast allen seinen Filmen wieder.

Das Schöne an diesem Buch ist, dass man es nicht an einem Stück lesen muss. Man kann selbst entscheiden, ob man mit Georg Seeßlens Einzelanalyse zu Year of the horse (USA 1997) beginnt, oder sich gleich den umfangreicheren Kapiteln widmet. Die Kenntnis von Jarmuschs Filmen ist keine Voraussetzung, um dieses Buch zu verstehen. Im Gegenteil: Das Buch animiert, sich die noch nicht bekannten Filme von Jarmusch anzuschauen.

Rolf Aurich/ Stefan Reinecke (Hgg.)
Film 10: Jim Jarmusch
Bertz-Verlag
Berlin 2001, 302 Seiten
Preis: 19,90 Euro

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Reinhard Hucke

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