„I could talk, talk, talk, talk, talk myself to death / But I believe I would only waste my breath, oh!“ (Re-make/Re-model) – Tatsächlich scheint es im Grunde müßig, noch einmal zu schreiben, dass Roxy Music zu den allergrößten Bands der Populärmusikgeschichte zu zählen sind. Nicht nur zu den großen Songwritern, sondern zu den Neuerfindern, den Visionären, denen, nach denen nichts mehr so war wie vorher. Notwendig scheint es nichtsdestotrotz, denn obgleich Popgeschichte inzwischen längst allgemein anerkannte Kulturgeschichte geworden ist und jeder bildungsbürgerliche Haushalt zumindest einen Grundsatzkanon von den unsäglichen blauroten Greatest-Hits-Doppelalben, die das Œuvre der Beatles vergewaltigen, bis hin zu, je nach Hipnessgrad, der letzten Platte von wahlweise Radiohead oder Coldplay im Schrank hat, scheinen die Großtaten von Roxy Music irgendwo auf dem Weg in den Popolymp ein wenig verloren gegangen zu sein. So gehören sie eher zu den Bands, die jeder irgendwie kennt – und sei es nur durch die Handvoll Gassenhauer, die noch heute in den Heavy Rotations jener Radiostationen vertreten sind, welche unermüdlich die Superhits der 70er, 80er, 90er und das Beste von Heute in der Dauerschleife zersenden –, die aber auch kaum noch jemand wirklich zu hören scheint. Vielleicht ist das auch das Beste, das ihnen passieren konnte.
So nämlich zählt das acht Alben und zehn Jahre umfassende Werk von Roxy Music zu jenen Schätzen, die man nicht unter gefühlten achtzigtausend Durchgängen „Ob-la-di, ob-la-da“ durch bewusstes Albenstudium freilegen muss, sondern zu jenen, über die man noch über irgendeinen obskuren Umweg, ganz unvermittelt, stolpern kann. Zum Beispiel: „Beauty Queen“, vom famosen zweiten Album „For Your Pleasure“, dem großen Wurf vor dem Bruch mit Brian Eno. „Deep in the night / Plying very strange cargo / Our soul-ships pass by / Solo trips to the stars / In the sky“ – Bryan Ferrys Songs sind seltsame Bastarde, aus hemmungslosem, ironisch zugespitzem Kitsch, seltsam berührender Lyrik und atonalen Ausbrüchen. Das stetige Aus-der-Rolle-Fallen als künstlerisches Credo – Roxy Music waren im Grunde Punk, lang bevor Punk so genannt wurde, und sie haben Punk wohl auch sehr viel besser verstanden als all jene, die ihn später zum Genre gemacht und im Grunde damit bereits zu Grabe getragen haben.
Mit „The Story of Roxy Music: More Than This“ erscheint nun eine DVD mit einer Art Materialsammlung, die das Phänomen Roxy Music zu kontextualisieren und zu vermitteln sucht. Im Zentrum der DVD steht die titelgebende Dokumentation „More Than This … The Roxy Music Story“ von Bob Smeaton, die in knapp 52 Minuten die dekadenlange und recht ereignisreiche Karriere der Band nachzuvollziehen sucht – und dabei in nahezu jeder Hinsicht scheitert. Denn leider ist dies über weite Strecken nur eine von jenen Dokumentationen, bei denen man prominenten talking heads beim Versichern ihrer Begeisterung für Roxy Music zuhört. Die ersten Worte gehören ausgerechnet dem unvermeidlichen Bono und danach wird es kaum besser. Jedenfalls über die Gründung aus dem Geiste der Kunsthochschule heraus erfährt man noch einiges, über die großen Alben der Band, von „Roxy Music“ (1972) bis „Avalon“ (1982), huscht der Film regelrecht hinweg, auch das Erforschen der immer wieder eskalierenden Konflikte der Bandmitglieder, die früh zum Ausstieg Enos und auch später immer wieder zu Umbesetzungen führte, und der bis heute zu Unrecht unter kommerziellen Anbiederungsverdacht gestellten ästhetischen Entwicklungen in der Spätphase der Band bleibt geradezu schmerzhaft oberflächlich und elliptisch. Überhaupt, das Spätwerk: Hier hätte die Chance bestanden, einen historischen Irrtum zu korrigieren. Statt aber das viel gescholtene vorletzte Album „Flesh + Blood“ (1980), als Tiefpunkt der Banddiskographie diffamiert, endlich als das brillante Konzeptalbum zu würdigen, das es tatsächlich ist, sahen sich hier die Bandmitglieder offenbar buchstäblich zur Entschuldigung für ihr Meisterwerk genötigt.
Während nun also der Hauptfilm dieser DVD allerlei Desiderate übrig lässt, bringt das Bonusmaterial, das insgesamt noch einmal gut 40 Minuten Spielzeit ausmacht, jedenfalls teilweise etwas Erhellung. Einige längere Interviews, die es nicht in den Film geschafft haben, sind dort noch enthalten, die zumindest einige Aspekte dieser vielschichtigen Band ausführlicher beleuchten. Und dann gibt es abschließend noch etwas Musik zu hören, in Liveaufnahmen der frühen Songs „Do the Strand“ und „Editions of You“ (beide auf „For Your Pleasure“) sowie dem etwas späteren „Both Ends Burning“ (auf „Siren“ [1975]). Natürlich hätte man auch dies besser machen können, hätte man doch diesen ohnehin sehr spärlichen Aufnahmen, allesamt entstanden 2006 in London, nach der Bandreunion, zumindest ein paar Aufnahmen aus den 1970er- oder 1980er-Jahren an die Seite stellen können. So bleibt letzten Endes dann leider doch, sowohl in Bezug auf musikalischen wie informationellen Mehrwert, schlicht und einfach zu wenig. In every dream home a heartache …
The Story of Roxy Music: More Than This
(More Than This … The Roxy Music Story, UK 2008)
Regie: Bob Smeaton; Produktion: Martin R. Smith
Länge: ca. 52 Min.
Verleih: Eagle Vision
Zur DVD von Eagle Vision
Bild: 1,78:1 (anamorph)
Ton: Englisch (Dolby Digital 2.0)
Untertitel: Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch
Extras: Extended Interviews, 3 Musikclips: „Do the Strand“, „Editions of You“, „Both Ends Burning“ (Dock Rock London 2006, in Dolby Digital 5.1 & DTS)
FSK: ab 0 Jahren