Basterd Pop und Tarantismus

Quentin Tarantinos neuer Film „Inglourious Basterds“ hat die deutsche Diskursmaschinerie angeworfen, so viel ist klar. Die amerikanisch-deutsche, unter massig Medienrummel in Babelsberg inszenierte Koproduktion zählte sicherlich von vornherein zu den heiß erwarteten Filmen dieses an Blockbustern nicht unbedingt armen Kinosommers. Die Gralshüter der Political Correctness konnten es kaum erwarten, sich über die Unverschämtheit von „Inglourious Basterds“ aufzuregen, der die historischen Fakten hemmungslos zurechtbiegt und zu einer jüdischen Rachefantasie umschmiedet. Die rechtsnationale Szene hingegen fühlt sich erwartetermaßen in ihrer deutschtümelnden Soldatenehre verletzt und startete rechtzeitig zum Start, insbesondere in der Online-Berichterstattung, groß angelegte Hetzkampagnen. Und auch so manchem unbedarfteren Zuschauer scheint es zweifelhaft, ob man und insbesondere der verspielte Postmodernist Tarantino sich denn soviel Freiheit im Umgang mit den historischen Fakten erlauben dürfte. Andere wiederum empfinden und preisen eine befreiende Wirkung, eine Erlösung von der Last der historischen Schuld und neu erschlossene Genehmigung, die eigene Vergangenheit nun künftig spielerisch als popkulturelle Actionerzählung zu be- und verhandeln. Right for the wrong reasons.

inglouriousbasterdsDass es sich nämlich so einfach nicht verhält mit Tarantinos neuem Film, das legt Georg Seeßlen in einer beeindruckend schnell nach der Premiere verfassten, verlegten und rechtzeitig zum Kinostart auf den Markt gebrachten Buchveröffentlichung dar. „Quentin Tarantino gegen die Nazis“, so der treffende Titel des Bändchens, das darüber hinaus noch „Alles über Inglourious Basterds“ zu verraten verspricht. Um diesem Ziel zumindest nahe zu kommen, nähert sich Seeßlen seinem Gegenstand gleich von mehreren verschiedenen Seiten an. In einem ersten Teil legt er dar, was den speziellen postmodernen Collagestil des Kinos von Quentin Tarantino ausmacht, und denkt dies bereits unter dem Vorzeichen und mit dem Aspekt der Bastardisierung zusammen. Eine kleine Kulturgeschichte des Bastards steht am Anfang, auf die eine knappe Einführung in den „Tarantismus“ folgt – falls es wirklich noch jemanden geben sollte, der die vier großen Filme des Quentin Tarantino noch nicht in- und auswendig kennen sollte. („Kill Bill“ soll hier als ein Film gelten, und über die Kooperation des begabten Geeks Tarantino mit dem unbegabten Geek Robert Rodriguez zum unheiligen „Grindhouse“-Projekt sei hier gnädig der Mantel des Schweigens gedeckt.) In einem ausführlichen zweiten Teil zeichnet Seeßlen dann ausführlich den Plot von „Inglourious Basterds“ nach, nebst einer Reihe von typografisch markierten Exkursen zu Passagen des bereits weit vor der Veröffentlichung im Internet verfügbaren Drehbuch, die es nicht in den fertigen Film geschafft haben. In diesen Abschweifungen und Umwegen, vereinzelten Geistesblitzen, liegt natürlich wie immer die eigentliche Stärke der Texte von Georg Seeßlen. Immer wieder entfernt er sich scheinbar vom Stoff, nur um dann von anderer, meist sehr aufschlussreicher Seite wieder zum Gegenstand seiner Überlegungen zurückzukehren. Das ist nicht unbedingt immer streng wissenschaftlich, aber „Quentin Tarantino gegen die Nazis“ ist auch kein akademisches Buch. Es ist aber auch kein Fanbuch, das aus wahlweise cinephiler oder rein nerdiger Perspektive seinem Gegenstand huldigt. Es ist vielmehr eine Gedankensammlung, ein Angebot unterschiedlicher Herangehensweisen an einen Film, der nicht nur großes Kino sein will und erst recht nicht nur schnödes Unterhaltungsprodukt – auch wenn er beides im Übermaß ist –, sondern der sehr bewusst und reflektiert mit Erwartungshaltungen unterschiedlichster Seiten bricht, andere übererfüllt, und der letztendlich zu den herausfordernden wie herausragenden Filmen dieses Kinojahres gehören.

Seeßlen selbst schreibt, es handle sich bei „Inglourious Basterds“ um einen Film, „an dem sich das, was Geschichte, Erinnerung, Erzählung und Kino ist, neu definieren muss.“ Jedenfalls ist es ein Film, der von vielleicht überraschender, jedenfalls aber profunder Tiefe ist, von grundlegender Ambivalenz und von nachhaltiger Wirkung. Georg Seeßlens Buch erklärt nicht „Alles über Inglourious Basterds“, kann und will das auch nicht – und dass sich der Autor darüber bewusst ist, macht eine große Stärke seines Schreibens aus. „Quentin Tarantino gegen die Nazis“ ist eher ein Gesprächsangebot, eine Fundgrube kluger Gedanken zu einem Film, dessen wahre Bedeutung erst noch ausgefochten werden muss. Es wird sich, so ist zu vermuten, ein langwieriger und kontroverser Diskurs um ihn entwickeln. Als Auftakt zu diesem Diskurs wird Seeßlens Buch unverzichtbar sein.

Georg Seeßlen
Quentin Tarantino gegen die Nazis. Alles über „Inglourious Basterds“
Berlin: Bertz + Fischer 2009
176 Seiten, 9,90 Euro

Dieses Buch bei Amazon kaufen.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.