Afrikanisches Kino

H.-P. Gutberlet & M.-H. Metzler (Hgg.): Afrikanisches Kino, Bad Honnef: Horlemann 2000

Gibt es das, lassen sich die Strömungen eines ganzen Kontinents auf einen Nenner bringen? Die Grunderfahrung, mag man meinen, sei die gleiche: Streben nach Mündigkeit in immer noch postkolonialer Zeit. Und das Medium Film dient im Nachfeld der ‘Unabhängigkeit’ wie andere weitgehend dem selbstemanzipierenden Finden eigener Perspektiven im Raum von Milieu, Stamm, Staat und Supranation.

Afrikanisches Kino wird weitgehend als engagiertes, ethnografisches Kino verstanden. Wobei Ethnografie heute eine andere Semantik hat als die der dokumentarischen Filme, die das westliche Universitätsmilieu in den 60ern und 70ern von Afrika produzierte. Filme, die oftmals jovial, mit distanziert-ethnologischem Blick agierten. Der Konflikt zwischen beiden Positionen ist immanent. Ousmane Sembène, prominenter senegalesischer Regisseur, warf den nichtafrikanischen Filmern vor, eine Sicht wie auf Insekten zu haben, weil sie Realität nur abbildeten und somit die Entwicklung der Wirklichkeit amputierten. Denken kam nicht vor.

Afrikanisches Kino lässt sich aber keineswegs als Frontstellung gegen oberflächliches und vermeintlich unauthorisierte filmische Zugänge verstehen. Als Derivat aus westlichen und eigenen Erfahrungshorizonten, mit Unsicherheiten beider Zugänge, bleibt der afrikanische Film so vielsprachig wie der Kontinent selbst und bedient sich nicht unerheblich dokumentarischer Verfahren – teils in symbiotischer Beziehung mit Spielfilmelementen. Das Spektrum des ‘Genres’ reicht vom introvertierten, oppositionellen Autorenfilm bis hin zum populären, unpolitisch-bourgeoisen Massenkino.

In und für Afrika produzierte Filme haben, verallgemeinert gesagt, eine Rolle zu erfüllen, einen Auftrag, der lautet, engagierte Werke von hoher Qualität zu schaffen, die die landesspezifischen sozial-kulturellen Wirklichkeiten reflektieren. Von afrikanischen Filmen erwartet man, in die Présence Africaine zu blicken. Allerdings gibt es in der Chronologie afrikanischen Films graduelle Unterschiede bezüglich der autoralen Intentionen. Waren die Produktionen in der Frühphase zunächst tatsächlich antikolonialistisch geprägt, entwickelte sich in zweiter Generation ein “Kino der Kontroversen zwischen den Filmemachern und der politischen Führung, die jetzt afrikanisch und teils noch perfider war” (N. Frank Ukadike).

Zeitgenössische Ausdrucksformen sind hingegen oft “kritische Analysen von Selbst und Welt”, die sich der “Vermittlung und der Interpretation der schwierigen Gegenwart” widmen, wie der Filmwissenschaftler Jude Akudinobi bemerkt. Synchron existiert der ideologiefreie Zugang, Filme imaginativen und träumerischen Charakters zu entwerfen. – Afrika brauche engagierte Filme, räumt die junge Regisseurin Régine Fanta Nacro ein. Aber sie habe große Lust, sich dem Imaginären zu widmen: “Ich will nicht, dass man sagt, nur weil ich Afrikanerin bin, soll ich engagiertes Kino machen.”

Afrikanisches Kino ist spannungsvoll. Es bezieht seinen Reiz aus der Synthese von Moderne und dem Schatten, den das afrikanische kulturelle Erbe über jene wirft. Im globalen Maßstab ist es noch lange eine Randerscheinung, ein chancenarmer Eindringling. Aber gerade weil der afrikanische Film im engeren Sinn ein Spartenprodukt bleiben wird, ein Fremder selbst auf dem eigenen Kontinent, werden die künstlerischen Impulse und Ambitionen wach gehalten.

Das von Marie-Hélène Gutberlet und Hans-Peter Metzler in der arte-Edition herausgegebene Buch “Afrikanisches Kino” ist eine Textsammlung, die einen ersten, orientierenden Zugang zum afrikanischen Film bietet. Vorrangig neuere Essays und Interviews von souveränem Ernst lassen die Gemeinsamkeiten im Wesen afrikanischer Produktionen deutlich werden. Erzählende, fragende und exemplifizierende Texte, die die Narration paradigmatischer Werke untersuchen, wechseln sich ab. Leider reihen sich die einzelnen Beiträge sehr bruchstückhaft aneinander und bleiben ohne Supervision. Da sind sie dann dem afrikanischen Film sehr ähnlich.

M.-H. Gutberlet und H.-P. Metzler (Hrsg.)
Afrikanisches Kino
Horlemann 1997, arte edition. 262 S. pb.
10,00 Euro

Ron Winkler

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