Verdrehte Claude

Die multiple Persönlichkeitsstörung oder auch „Dissioziative Identitätsstörung“ ist eine der umstrittensten psychiatrischen Diagnosen: In den 1970er Jahren erstmals diagnostiziert, beschreibt sie einen Zustand, in dem sich eine Person in mehrere unterschiedliche Persönlichkeiten/Identitäten aufspaltet. In der Kulturgeschichte hingegen ist die Multiple Persönlichkeit schon immer recht beliebt gewesen. Zahlreiche Stoffe der Literatur und des Films basieren auf der Idee, die in Victor Flemings „Dr. Jeckyll und Mr. Hyde“ sicherlich mit dem größten Erfolg adaptiert wurde.

In „Labyrinths“ vereint die kindlich-androgyne 27-fache Serienmörderin Claude gleich fünf Persönlichkeiten in sich. Allesamt stammen sie aus dem griechichschen Knossos-Mythos. Bevor Claude für ihre Verbrechen vor Gericht gestellt werden kann, soll ein Psychiater klären, ob sie überhaupt zurechnungsfähig ist. Der Fall wird dem Therapeuten Brennac übertragen, der die Diagnose „multipel“ stellt und sich in der Folge mit stets anderen Identitäten Claudes konfrontiert sieht – jedoch nie mit dieser selbst. In Rückblenden berichtet der Film, wie Claude von der Polizei gestellt werden konnte: Maßgeblich für ihre Ergreifung verantwortlich war der PSI-fähige Profiler Matthias. Dieser wertet Tatortfotos, Videos und vor allem seine Träume darauf hin aus, ob sie Informationen über den Killer enthalten. Sechs Tage nach dem ersten spektakulären Mord kommt man der Täterin schließlich auf die Spur und verhaftet sie. Zeitgleich zur Therapie von Claude macht sich Brennacs Psychiater-Kollege Karl auf die Suche nach der Vergangenheit der Täterin und entdeckt das „Labyrintn“, in dem sie in ihrer Kindheit gefangen war.

Dadurch, dass „Labyrinths“ drei Erzählstränge in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge miteinander verknüpft, lässt sich die Handlung sprachlich nur schwer wiedergeben. Diese „Verwirrtheit“ ist schließlich auch der entscheidende Faktor für die Qualität des Films. In äußerst gelungenem Rhythmus und mit originellen Montagetechniken verknüpft der Film seine drei Plots zu einem und lässt sie auf einen Schlusspunkt zulaufen. In diesem offenbart „Labyrinths“ einen Plot-Twist, der sich allerdings nur schwer nachvollziehen lässt, zumal der damit die gesamte Erzählung in Frage stellt. Den maßgebliche Faktor zur Entwirrung seiner erzählerisschen Ariadne-Fäden, die schließlich aus dem narrativen Labyrinth führen sollen, bilden die Recherchen Karls und die therapeutischen Gespräche zwischen Brennac und seiner Patientin.

Aus diesen Sitzungen schöpft die Erzählung auch ihre mythologische Grundlage. Fast schon etwas peinlich wird die Psyche und die Vergangenheit Claudes mithilfe des Knosses-Mythos ergründet und erklärt. Eigenartige Zusammenhänge ergeben sich für den Psychiater – Zusammenhänge, die er doch eigentlich als psychotisch erkennen sollte. Die „mangelnde Professionalität“ (die dann in der Pointe des Films erklärt wird) hält den Film jedoch nicht davon ab, sämtliche Register psychologischen Allgemeinwissens zu ziehen und seinen Dissoziationsfall kurzerhand als Schizophrenie abzuhandeln. Neben der Zeugenschaft einer hochgradig pervertierten „Ur-Szene“ wird gleich noch die Anamnese „double bind“ gestellt: Die kleine Claude beobachtet ihrer Mutter bei der Vergewaltigung und Ermordung eines Mannes und wird von ihr daraufhin äußerst grausam bestraft. Die Verknüpfungen zwischen Pasiphae (die laut Mythos nach einem Techtelmechtel mit einem Stier den Minotaurus gebar) und Claudes Mutter wird dabei genauso erklärt, wie die Anzahl der Opfer Claudes (jedes Jahr 7 Männer und Frauen, die sie ihrer Identität „Minotaur“ opfert. Das 28. Opfer überlebt den Angriff Claudes – wird aber aus versehen von der Polizei erschossen).

„Labyrinths“ nimmt sich also viel vor. Neben dem recht ordentlich ausdifferenzierten mythischen Tatmotiv und der etws unkritischen und streckenweise vulgärpsychologischen Rahmenhandlung in der Psychiatrie etabliert der Film noch einen Seitenstrang über die Polizei- und Profiler-Arbeit, die schließlich zur Ergreifung Claudes führt. Diese drei Narrationen zusammenzuführen bedarf es großer erzählerischer Geschicktheit, die „Labyrinths“ auf der Bildebene auch voll gelingt. Leider verliert der Film aber gerade durch den schon fast verkrampften Versuch allem in der Pointe einen gemeinsamen Sinn zu verleihen. So wirkt die Pointe nicht nur altbacken und aufgesetzt sondern relativiert leider auch das zuvor erzählerisch Etablierte. Dem Maßstab eines solchen pointierten Plot-Twists, nämlich bei einer zweiten Sichtung mit dem Wissen um die Pointe immer noch kohärent zu wirken, dürfte der Film wohl kaum genügen.

Labyrinths
Frankreich 2003
René Manzor

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