Cannibalo Normale

Dass ein Tabuthema wie der Kannibalismus endgültig in die Jagdgründe der Alltagskultur eingegangen ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es seine Selbstreflexivität im Bauchladen vor sich herträgt. Kommt ein Kannibalenfilm dann noch in TV-Ästhetik daher, kann man sich nahezu sicher sein, dass der Horrorfilm den Fernsehalltag oder besser -allabend um ein weiteres Motiv beerbt hat. John Hancocks 2001 gedrehter Film „Suspended Animation, der auf dem Fantasy Filmfest unter dem Titel „Mayhem“ lief, scheint diesen Weg konsequent zu beschreiten.


Erzählt wird die Geschichte des Zeichentrickfilm-Regisseurs Tomas Kempton, der zusammen mit ein paar Freunden einen Snowmobile-Trip unternimmt. Weil er unterwegs ein Gepäckstück verloren hat, kehrt er noch einmal um und gerät während eines Schneesturms in die Fänge der kannibalischen Schwestern Vanessa und Ann Boulette. Diese wollen ihn – wie viele Männer vor ihm – verspeisen und Teile seiner Anatomie ihrem Kuriositätenkabinett hinzufügen. Er kann jedoch fliehen und die beiden Schwestern kommen augenscheinlich ums Leben. Zurück in Hollywood will er seine Erlebnisse in einem Animationsfilm verarbeiten und recherchiert die Biografien der beiden Kannibalinnen nach. Dabei stellt sich heraus, dass Vanessa eine Tochter namens Clara Hanson zur Adoption freigeegeben hat, die als Schauspielerin auch in Los Angeles lebt. Ohne ihr die Hintergründe seiner Recherche zu offenbaren, castet Kempton die junge Frau für Skizzen zu seinem Film. Bei Gesprächen erfährt er, dass sie von ihrer Herkunft nichts weiß, jedoch Probleme mit ihrem 15-jährigen Sohn Sandor hat, der sie nicht nur schlägt, sondern wohl auch auf dem besten Wege ist, ein Verbrecher zu werden. Schließlich offenbart Kempton Clara, dass er sie auch aus persönlichen Motiven kennenlernen wollte. Zudem hat Kempton herausgefunden, dass Sandor offensichtlich jemanden ermordet hat. Die Mutter ist bestürzt von den vielen Wendungen, die ihr Leben seit der Bekanntschaft mit Kempton genommen hat. Sandor indes findet heraus, dass man seinem Treiben auf die Schliche gekommen ist und versucht seine Mutter und Kempton zu ermorden. Er kann überwältigt werden und stirbt. Doch damit ist der Spuk für die Beteiligten noch nicht beendet, denn als Kempton eines Nachts die Kannibalin Vanessa in seinem Haus mit gezogenem Revolver vor sich stehen sieht, kommt es zur finalen Familientragödie.

Der Plot von „Suspended Animation“ liest sich wie der einer Krimischmonzette, wie sie regelmäßig durch Privatsender produziert und ausgestraht wird. Und in der Tat hat der Film auch nicht mit wenentlich mehr Ideen aufzuwarten, als derlei Thriller-Schonkost. Nach dem noch einigermaßen spannenden ersten Drittel, in dem Kempton im Haus der beiden Schwestern gefangen ist, dümpelt der Plot nur noch so vor sich hin. Die Zufälligkeiten, die der Film den Zuschauer als „dramatische Wendungen“ verkaufen will, sind an den Haaren herbeigezogen. Alles steuert auf die finale Schlussfolgerung zu, dass Wahnsinn eben vererbbar sei. An dieser dünnen These orientieren sich dann auch die Stationen des Plots.

Vom Tabu-Thema „Kannibalsimus“ will der Film schon bald nichts mehr wissen. Allein, dass „Suspended Animation“ dieses Thema für einen Animationsfilm aufbereiten will, spricht schon Bände. Ein derartiges Untrfangen muss ja zwangsläufig die alten, bösen Geister heraufbeschwören – und so wurde Vanessa genau von diesem Animationsfilm, in dem sie die Hauptrolle spielt, zurück in die Stadt gelockt. „Suspended Animation“ versucht sein Sujet auf diese Weise wahrscheinlich ironisch zu brechen. Er gewinnt jedoch nie genug Distanz zu seinen Behauptungen und Figuren, um sie tatsächlich als „archetypisch“ blosstellen zu können. Zudem schlägt die Erzählung derartige Kapriolen, dass man förmlich in jeder Sequenz spürt, wie sehr der Film damit beschäftigt ist, narrative Brücken zum Vorhergegangenen zu behaupten, um nicht zu zerbrechen. Der Eindruck, „Suspended Animation“ sei ein Episodenfilm wird daher nicht nur durch das aprupte Ende des Prologs gefördert. Insgesamt hätte es dem Film besser zu Gesicht gestanden, nach diesem Erzählfragment zu enden – dann wäre wenigstens noch ein halbwegs interessanter Beitrag über weiblichen Kannibalismus daraus geworden.

Suspende Animation (Mayhem)
USA 2001
Regie: John D. Hancock

Stefan Höltgen

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