Getting Terror

»Like the dilation of the pupil in moments of excitement and fear,
terror marks the uplifting thrill where horror distinguishes a contradiction
at the imminence and unavoidability of the threat.«
(Fred Botting)

Sicherlich: Der Übergang vom klassischen zum modernen Horrorfilm ist in dem Sinne schleichend, wie wir noch heute den schwarz-weißen Filmmonstern, den verrückten Wissenschaftlern, den Spukschlössern mit ihren Gruften und den Happy Ends mit dem siegreichen Guten Ehrfurcht und Bewunderung entgegen bringen. Dennoch wir können uns nicht darüber hinweg täuschen, dass der Grusel, den wir bei solchen Filmen vielleicht noch empfinden, allenfalls der der Erinnerung ist an ein Lebensalter, in dem diese Bilder noch nicht als längst von der Realität eingeholt auf uns gewirkt haben.

Während vor der Maschine die alten Erzählungen des Horrorfilms mit dem Alter an künstlerischem Respekt gewinnen, altern dahinter die Macher und Darsteller ganz ohne Würde. Sie werden vom System abgeschrieben, mal weil sie zu alt sind, mal, weil ihre Rolle zu sehr auf ihr Leben übergegangen ist, immer aber, weil sie die Signifikanten der oben genannten Anachronismen sind, die sie unfreiwillig von Rolle zu Rolle weitertransportieren.

Ungefähr davon handelt Peter Bogdanovichs Targets. Der alternde Boris Karloff spielt den alternden Byron Orlok, einen Horrorfilmstar der Vergangenheit, der sich in Selbsterkenntnis seiner Unfähigkeit, wirksam, geschweige denn gruselig zu sein, aus der Branche zurück ziehen will. Einen allerletzten Auftritt will er noch absolvieren: In einem Autokino, wo sein letzer Film läuft, soll er im Intermezzo einen kleinen Auftritt bekommen, bei dem er eine seiner harmlos-bedeutungsschwangeren Grusel-Geschichten erzählen will.

Doch der moderne Terror-Film entwickelt sind in Targets in einem zweiten Handlungsstrang. Der gelangweilte und verwöhnte Waffenfetischist Bobby Thompson verhält sich seltsam: Während Schießübungen mit seinem ebenfalls in Waffen vernarrten Vater zielt er auf diesen, verfolgt ihm mit dem Visier seines Gewehrs, ohne jedoch abzudrücken. Immer wieder sehen wir Bobby, wie er penibel Waffen hortet, auf Menschen zielt, jedoch nur zum Schein. Er äußert hier und da, dass ihm eigenartige Gedanken durch den Kopf gehen, aber davon will niemand in seiner Familie etwas hören. Und so entschließt sich Bobby eines Morgens, so lange auf Menschen zu schießen, bis ihn jemand aufhält – und er fängt mit seiner Familie an: Seine Frau, seine Mutter und sein Vater sind die ersten Opfer. Dann beseitigt er in stoischer Ruhe die Leichen und verlässt das Haus. Er platziert sich auf einem Wassersilo und feuert wahllos auf Autos, die auf dem Highway an ihm vorüberfahren. Nachdem die Polizei naht, fliht er und sein nächstes, willkürliches Ziel ist ein Autokino.

Bogdanovich erzählt diese beiden Geschichten aus zwei völlig unterschiedlichen Perspektiven: Der Abschied des Orlok wird von ihm wie ein Back-Stage-Melodram illustriert. Ein alternder Schauspieler, voller Weisheit und Selbstironie, der die Welt nicht mehr versteht, aber auch froh darüber ist, dass er sie auch nicht mehr verstehen muss. Seine Freunde und Geschäftspartner versuchen ihn zu überreden, seine Karreire nicht zu beenden, doch er lehnt ab. Sein Stern ist am Untergehen und so wird die Geschichte auch inszeniert: voller Pathos, ganz so, als wäre sie selbst der Finalebeitrag eines Genres.

Bobbys Alltag wird von Bogdanovich hingegen in sachlicher, kühler, ja geradezu aseptischer Präzision gezeichnet. Dass etwas nicht stimmt mit der Welt, in der Bobby lebt, schwingt die ganze Zeit bedrohlich-ruhig mit. Die unangenehme Langsamkeit der Kamerafahrten, die karge Ausstattung der Wohnung, die symmetrische Präzision der Waffen in Bobbys Kofferraum und nicht zuletzt sein peinlicher und gewissenhafter Ordnungssinn kennzeichnen ihn als hypernormal – eine Zuschreibung die festes Mythologem des Serienmörders ist.

Bobby und Orlok treffen im Autokino aufeinander. Während der Film – der vielleicht letzte große klassische Horrorfilm mit nebulösen Moren, einem verfallenen Schloss und düsterem Schlossherren – projiziert wird, postiert sich Bobby mit seinem Gewehr hinter der Leinwand und visiert durch ein Loch die Zuschauer an. Hier formuliert Bogdanovich die Metaphern des Epochenwechsels mehrfach in Handlung und Bildebene aus: Der alte Horrorfilm, aus dem der moderne Terror-Film im wahrsten Sinne des Wortes hervorbricht; der Zuschauer, der zum Opfer der Bilder wird; die normale Situation, die jederzeit in die Irrealität umkippen kann. Und mitten drin Orlok, der zunächst nicht versteht, was vor sich geht, warum die Zuschauer zuhauf aus der Vorstellung flüchten. Dann erkennt er den Schützen und geht auf diesen zu. Als er ihm gegeüber steht, schaut er ihm unerschrocken ins Gesicht und verpast ihm einen Satz Ohrfeigen.

Hier fällt der Vorhang für eine Ära des Kinos. Der Irrationalität und Gewalttätigkeit der neuen Bilder und Monster, ist mit keinem Mittel der aristokratischen Bekämpfung des Bösen beizukommen. Und so sind die Ohrfeigen auch mehr eine Geste und dass Bobby tatsächlich unter ihnen zusammenbricht kennzeichnet den Schluss des Films vollends als Parabel. Orlok dreht sich um und geht. Und nachdem Bobby von der Polizei gefangen genommen wurde, bekommen wir nach einer Blende das verlassene Autokino am folgenden Morgen aus der Hubschraubertotale zu sehen. Leere Parkplätze, ordentlich voneinander durch Markierunglinien separiert. Ein einziges Auto steht noch dort – aber auch das ist akurat in seiner Parkbucht abgestellt und was im Kofferraum ist, kann man nur vermuten.

Targets
USA 1968
Regie und Schnitt: Peter Bogdanovich
Drehbuch: Peter Bogdanovich, Polly Platt, Orson Welles, Samuel Fuller
Kamera: László Kovács
Darsteller: Boris Karloff, Tim O’Kelly, Arthur Peterson,
Monte Landis, Nancy Hsueh, Peter Bogdanovich, u.a.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.