Voll Frontal

Es mag etwas nach feuilletonistischer Sophisterei klingen, attestiert man Steven Soderbergh den Bruch als einzige Kontinuität in seinem Werk, ja geradezu als Motiv desselben. Seien es die vielfältigen Brüche in der Filmographie – mit Erin Brockovich (USA 2000) und Traffic (USA 2000) gab's hochkarätigen Oscarstoff, dann Starensemble-Popcornkino, gefolgt vom rohen Kunstfilm wie eben Full Frontal im Nahezu-Homevideo-Look, vom hierzulande nie gesehenen, äußerst skurrilen Schizopolis (USA 1996) habe ich gar nicht erst angefangen, zu schrieben – oder aber auch seine das bloße Material rigoros miteinbeziehende Auffassung vom Filmemachen – die oft schon willkürlich anmutenden Cutter-Spielereien in The Limey (USA 1999) und in Solaris (USA 2002) etwa – oder aber eben auch der Wechsel des Filmmaterials selbst, mitten im Film. Full Frontal löst, von dieser Perspektive aus gesehen, somit alles ein, was einen Soderberghfilm ausmacht: Der Film befindet sich im Werk seines Machers an einer äußerst seltsamen Stelle, das Filmmaterial "springt" zwischen Film und grobkörnigstem Videomaterial, die Montage weist eine Vielzahl von nicht selten verwirrenden Jump-Cuts auf, wie überhaupt das Gefüge der innerfilmischen Realität aufgebrochen, bzw. gefaltet wird. Hier und da ist der Film so grotesk wie Schizopolis, dann ist er schon fast im Dogma'95-Sinne dokumentarisch-realistisch, bricht schließlich und letztendlich aber unsere Annahme vom verwackelten DV-Bild als ein "authentisches" und inszeniert seinen Film als kaum noch dechiffrierbaren Film-im-Film-im-Film. Eigentlich alles wunderbar, sollte man meinen.

Und trotzdem: Der Film funktioniert nicht, da ist einfach nichts zu machen. Er etabliert ein ganzes, kaum überschaubares Ensemble an Protagonisten, dokumentiert deren individuellen Tagesabläufe, springt scheinbar willkürlich zwischen den einzelnen Episoden hin und her, zeigt allzu Groteskes, Trauriges, Neurotisches und führt am Ende dann doch alle in einer großen Party eines Filmproduzenten in Hollywood zusammen. Natürlich nicht unerwartet, zu Beginn werden uns die Einzelnen – Sieben an der Zahl – mit einführenden Bildtafeln vorgestellt, wir erfahren, wie im Steckbrief aufgelistet, Name, Alter, Beruf und über welche Wege sie überhaupt zu jener Party gelangt sind, dazu hören wir sie aus dem Off mit mehr oder weniger relevanten Reflexionen über das Leben, die einem Interview entnommen zu scheinen. Es entsteht der Eindruck einer Gruppentherapie, immer wieder werden grübelnde Kommentare aus dem Off eingespielt, der Film erreicht stellenweise – und angesichts der von Soderbergh verordneten Guerillataktiken beim Dreh wohl auch nicht zufällig – Happeningcharakter.

Man schaut dem zu, sondiert die Lage, versucht den Film zu durchdringen, zu verorten – "Ah, Dogma 95 also und dann auch Woody Allen, so ein wenig zumindest, und diese Schnitttechnik, na also, die ist aber von Godard abgekuckt!" -, versucht ihm auf die Schliche zu kommen, erwartet den großen Clou und – nichts! Einfach nichts! Ein großes Gemenge an Neurosen, an biographischen Details und Verstrickungen wird aufgehäuft, hier und da eine skurrile Idee – die Inszenierung eines Off-Theaterstücks zum Beispiel, das Hitler bei Beziehungsgesprächen und -problemen mit Eva Braun zeigt, ihm dabei die typischen Worte aus zeitgenössischen Beziehungsfilmen in den Mund legt -, die man aber doch am liebsten – fast schmerzlich, eigentlich – in einem anderen, besseren Soderberghfilm verwertet hätte sehen wollen. Letztendlich aber ist man es, vielleicht auch wegen der selten in solcher Hässlichkeit gezeigten Videobilder, irgendwann leid, den Überblick behalten zu wollen. Gibt ja auch keinen Grund dazu, es ist eh überaus langweilig, was hier gebraut wird, und obendrein höchst prätentiös verschwurbelt. So sehr man zu Beginn noch geneigt ist, sich in dieses neue Soderberghabenteuer zu stürzen, so rapide nimmt die Lust darauf nach dem ersten Drittel ab, erwartet lediglich den nur noch als Erlösung wahrgenommenen Abspann.

Am Ende dann fragt man sich ernsthaft und nach selten als derart lang empfundenen 95 Minuten sehr erschöpft, was das denn nun sollte, was den Künstler Soderbergh geritten haben könnte. Wie eine, buchstäblich, schlechte Kopie verkorkster europäischer Kunstfilme mutet Full Frontal an, künstlerisch jedoch langweilig bis anachronistisch, für eine Satire auf den Kulturbetrieb zu kraft- und mutlos, für einen sozialen Kommentar zu aufgesetzt und beliebig, für ein Drama zu nebensächlich. Man wünscht sich den bissigen Soderbergh von Sex, lies, videotape zurück, den skrupellosen Guerillafilmer Soderbergh, wie man ihn von Schizopolis kennt. Kurz gesagt also, Voll Frontal bleibt voll banal.

Ein Glück ist es wohl, dass Voll Frontal hierzulande, als eigentlich jä der ältere der beiden Filme, nach dem wunderbaren Solaris in die deutschen Kinos kam. Filme wie Voll Frontal sind wie geschaffen dafür, in künstlerische Sackgassen zu münden, so aber darf man, der Gnade des besseren Wissens wegen, hoffen, dass es sich lediglich um einen Ausrutscher handelte. Und Ocean's Twelve ist ja auch schon angekündigt. Soderbergh bleibt sich treu im Bruch, wenigstens etwas.

Voll Frontal
Full Frontal, USA 2002
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch: Coleman Hough
Kamera: Peter Andrews (= Steven Soderbergh)
Schnitt: Sarah Fleck
Darsteller: David Duchovny, Nicky Katt, Catherine Keener,
Mary McCormack, David Hyde Pierce, Julia Roberts,
Blair Underwood, Brad Pitt, u.a.

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