Mit den Clowns kamen die Schmerzen

Die Aufregung um die angeblich rassistischen Verunglimpfungen, mit denen Sacha Baron Cohen in "Borat" Kasachstan überzogen hat, ist noch nicht ganz verflogen, da biegen die Rabauken und Kulturterroristen um Johnny Knoxville mit der Fortsetzung ihrer amerikanischen Mittelklassenversion des Wiener Aktionismus um die Ecke. Die empörten Stimmen der Feuilletonisten werden erneut den Untergang der abendländischen Kultur wittern, die Verrohung der Sitten bejammern und die Entfremdung des Menschen im Spätkapitalismus konstatieren. Betrachtet man die lose zusammenhängenden Clips, in denen sich die Jackass-Jungs mutwillig schlimme Verletzungen zufügen, Passanten auf der Straße verarschen, alle erdenklichen Körperflüssigkeiten ergießen und -öffnungen entblößen, so wird man eingestehen müssen, dass eine solche Kritik vielleicht nicht ganz unberechtigt, "Jackass: Nummer Zwei" zumindest ein Film ist, den zu goutieren ein den Protagonisten verwandter masochistischer Zug nötig ist.

jackass2jackass-2-posters.jpgDem, der sich darauf einlassen kann, werden aber einige Inszenierungsdetails auffallen, die deutlich erkennen lassen, dass die Macher um Produzent Spike Jonze mitnichten ein debiler Haufen gelangweilter Lebensmüder sind, wie gern kolportiert wird, sondern durchaus über die Möglichkeiten und Wirkungen ihres Mediums Bescheid wissen. Der sequelinhärente Zwang des Höher, Schneller, Weiter wird in "Jackass: Nummer Zwei" immer wieder von den Protagonisten kommentiert, Sinn und Zweck des tollen Treibens werden mit wachsendem Nachdruck hinterfragt. So inszenieren sich Knoxville, Margera & Co. mit Augenzwinkern als Opfer eines Medienhypes, die die Geister, die sie riefen, nicht mehr loswerden. Die Grenzen zwischen dokumentierten, schlicht abgefilmten Szenen und filmischer Inszenierung verwischen dabei zusehends, etwa wenn Ehren in den Endcredits neben den kahl rasierten Genitalien seiner Kumpels grinsend denselben Scham- und Arschhaarbart präsentiert, den er sich im entsprechenden Segment im Film noch wutschnaubend entfernt hatte, nachdem er von dessen Herkunft erfahren hatte.

 

Einer ähnlichen Tendenz ist auch eine Verlagerung der einzelnen Clips weg von den bekannten Stunts hin zu candid camera-ähnlichen Späßen geschuldet. Da es mittlerweile kein Geheimnis mehr ist, dass die waghalsigen Stunts keineswegs auf Todesverachtung und -sehnsucht, sondern auf einer sehr gewissenhaften Planung gegründet sind, scheint die vollständige Integration des Zuschauers sehr viel leichter zu bewerkstelligen zu sein, wenn man ihm einen Wissensvorsprung gegenüber dem Opfer zubilligt. Immer häufiger wird er zum Mitwisser des Teams, das einen der  ihren zum Opfer der gemeinen Späße macht. Die Empörung der oben angesprochenen moralisch enervierten Zuschauer spiegelt sich so witzigerweise in den Reaktionen der Protagonisten, etwa wenn ein mit frisch ejakuliertem Pferdesperma konfrontierter Kameramann wütend betont, dass er dafür bezahlt wird, hinter der Kamera zu stehen, statt davor, oder Bam Margera sich sichtlich entnervt darüber auslässt, wie sehr es ihn ankotzt, ständig mit Giftschlangen konfrontiert zu werden und sich verstümmeln zu lassen. In solchen Momenten – und in einer aufwendig choreografierten und wunderbar pointierten Musical-Sequenz am Schluss – wächst "Jackass: Nummer Zwei" tatsächlich über sich hinaus, entfacht er sein ganzes komödiantisches Potenzial. Die Jackass-Jungs stehen in der Tradition klassischer Zirkus-Clowns, deren tragikomischer Zug ganz offen mitinszeniert wird. Will man das schon nicht erkennen, so sollte man wenigstens ihre Crossover-Leistung honorieren, annähernd pornografisches Material in einen Unterhaltungsfilm zu schmuggeln und eine Lanze für die Homosexualität zu brechen, ohne schmusende Cowboys in Marlboro-Country auf die Leinwand zu hieven, anstatt sich über einen vermeintlichen Sittenverfall zu mokieren, dessen Ursachen – wenn überhaupt – woanders zu suchen und zu finden sind.

(Jackass Number Two)
Regie: Jeff Tremaine, Drehbuch: Jeff Tremaine, Spike Jonze, Johnny Knoxville, Kamera: Lance Bangs, Dimitry Elyashkevich, Rick Kosick, Schnitt: Seth Casriel
Darsteller: Johnny Knoxville, Bam Margera, Steve-O, Chris Pontius, Ryan Dunn, Preston Lacey, Jason Acuna
Länge: 95 Minuten
Verleih: Paramount 

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