Fernostalgie

Der verklärte, melancholische Blick zurück, auch Nostalgie genannt, bestimmt das Hongkong-Kino wie kein anderer. b000i0s7l601_ss500_sclzzzzzzz_v59035376_1.jpgBetrachtet man das Mainstream-Kino der vergangenen 40 Jahre, schweift man von Chang Cheh über John Woo bis hin zu Wong Kar-Wai, wird einem dieser Blick nicht entgehen: Wir sehen tapfere Schwertkämpfer, die den Niedergang des alten  Schwertkämpferethos bedauern, sehen wie Freundschaften am plötzlich errungenen Reichtum zerbrechen oder mit welcher Leichtigkeit sich eine schicksalhafte Liebesgeschichte in den 60er-Jahren entwickelt. Wenn die Kontrahenten eines Martial-Arts-Films aufeinanderprallen oder sich die Lippen Liebender treffen, dann ist das im Hongkong-Kino oft ein Aufeinanderprallen von Gegenwart und Vergangenheit. So auch in Chin-Po Wongs Film “Blood Brothers – Jiang Hu” von 2004. 

Zwei blutsbrüderlich verschworene Freunde – der Triadenboss Hung (Andy Lau) und sein Untergebener, der impulsive Lefty (Jacky Cheung) – treffen in einer Nacht aufeinander, in der sich die Machtverhältnisse in Hongkong entscheidend ändern sollen: Hungs Untermänner planen die Ermordung ihres Chefs, der soeben Vater geworden ist. Und das bringt Lefty auf den Plan, der seine Chance sieht, nach ganz oben zu gelangen. Er beschwört seinen Freund, das Land zu verlassen und ihm die Geschäfte zu übertragen. Am Tisch ihres Lieblingsrestaurants sprechen die beiden alten Freunde über ihre Geschäftsphilosophie und stellen ihre Freundschaft auf die Probe, während die Todesschwadron des Feindes immer näher rückt. 

Regisseur Ching-Po Wong erzählt eine für das Hongkong-Kino typische Geschichte über bedingungslose Freundschaft, die letztlich vor dem Wandel der Zeiten in die Knie gehen muss. Die Besetzung Leftys mit Jacky Cheung mutet da fast programmatisch an, verbindet man ihn doch unweigerlich mit John Woos „Bullet in the Head“, vielleicht DEM hongkong-chinesischen Freundschaftsdrama überhaupt.  Sein Lefty ist trotz des Reichtums immer noch der Heißsporn von einst geblieben, Hung hingegen ist etwas ruhiger geworden und glaubt, den Gang des Schicksals wie ein Schachspieler durch geschickte Züge lenken zu können. Den im Hongkong-Kino stets schwelenden Konflikt zwischen dem Heute und dem Gestern bildet Ching-Po Wong aber nicht nur auf der Figurenebene ab, er findet seine Entsprechung auch in der Aufteilung des Geschehens auf zwei Erzählebenen: Dem oben zusammengefassten Inhalt steht ein Rückblick in die Nacht gegenüber, in der Hung und Lefty ihren ersten Karriereschritt im organisierten Verbrechen machten. Der Kontrast zwischen den hungrigen Jungspunden, die ohne Skrupel ihren ersten Auftragsmord ausüben, und den älter gewordenen Geschäftsmännern, die heute andere die Drecksarbeit erledigen lassen, während sie bei einem delikaten Abendessen allein im Restaurant tafeln, könnte deutlicher kaum sein.  

„Blood Brothers – Jiang Hu“ suhlt sich aber niemals in stumpfer Melancholie, denn auch die Konstanten in der harten Gangsterwelt bringt Wong ans Tageslicht und lässt durchblicken, dass Nostalgie immer eine Sache der Perspektive, mithin des Betrachters ist: Es bleibt lange Zeit offen, ob die beiden Jungen, die ihr erstes Opfer suchen, die Killer sind, die mit Hungs Ermordung beauftragt sind. Erst am Schluss löst Wong das Geheimnis um ihre Identität auf, wird zweifelsfrei klar, dass es sich um eine Rückblende handelt. Das Bild, das Ching-Po Wong von der Karriere in der Gangsterwelt zeichnet, ist ein ungemein trostloses. Der Weg in der Triadenwelt ist vorbestimmt und nicht einem Wandel der Dinge geschuldet. Die Geschichten sind immer die gleichen, nur die Protagonisten sind andere. So wie Hung und Lefty als Jugendliche die Straßen nach dem Opfer durchkämmten, so sind auch heute wieder die kleinen Handlanger unterwegs, die sich von einem Auftragsmord den ersten Schritt zum großen Ruhm versprechen.

Blood Brothers – Jiang Hu
(Gong Wu, Hongkong 2004)
Regie: Wong Ching-Po, Drehbuch: To Chi-long, Kamera: Charlie Lam, Kenny Lam, Musik: Mark Lui, Schnitt: Pang Ching Hei
Darsteller: Andy Lau, Jacky Cheung, Edison Chen, Shawn Yu, Eric Tsang, Wu Chien-lien, Norman Tsui Siu Kung, Lam Suet
Länge: 82 Minuten
Verleih: e-m-s  

 


Zur DVD von e-m-s

Die DVD präsentiert den Film mit optimaler Bild- und Tonqualität, so wie es sich für diesen erlesen fotografierten Film gehört. Die sonstige Ausstattung verblasst dagegen: ein mageres Interview, ein Videoclip, eine Bildergalerie sowei diverse Trailer, mehr gibt es nicht zu sehen. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn in erster Linie zählt natürlich die Präsentation des Filmes und die lässt keine Wünsche offen.

Zur Ausstattung der DVD:

Bild: 1,85:1 anamorph (16:9)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Deutsch (DTS 5.1), Kantonesisch (Dolby Digital 5.1)
Extras: Interview, Videoclip, Bildergalerie Trailershow
SK: ab 16
Länge: 82 Minuten
Preis: 13,99 Euro

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