Wiederholungen sind die Hölle

In einer Folge „Ex Post Facto“ (dt. „Die Augen des Toten“) der Serie „Star Trek – Voyager“ (1995) wird eine Zivilisation vorgestellt, die die ultimative Strafe für Mord gefunden hat: Dem Mörder werden durch einen neurologischen Eingriff die letzten Erinnerungsmomente des Opfers implantiert, die er von nun an bis zu seinem Lebensende im Abstand von 14 Stunden immer wieder gedanklich durchleben muss. Ziel der Strafe ist es, das zugefügte Leid für den Täter erfahrbar zu machen und auf diese Weise für „ausgleichende Gerechtigkeit“ zu sorgen. Der Verurteilte mag diese Bestrafung als Hölle empfinden, der er nicht mehr entkommen kann – und in der Tat hat der Aspekt der „ewigen Qual“, der dahinter steht, seine Wurzeln in der Höllenvorstellung des christlichen Abendlandes – auch dort ist die Hölle ein Ort, an dem Bilanz für die Sünden des Lebens gezogen wird.

salvage-poster.jpgSo wundert es zunächst, dass es in Josh und Jeff Crooks Mystery-Thriller „Gruesome“ das scheinbar unschuldige junge Mädchen Claire (Lauren Currie Lewis) ist, das in einer fürchterlichen Wiederholungsschleife gefangen ist: Immer und immer wieder erlebt sie, wie sie von einem Mann (Chris Ferry) verfolgt wird, dieser sie brutal überwältigt und tötet. Dann wacht sie auf – oft in ihr bekannten Situationen –, versucht herauszufinden, was ihre Träume zu bedeuten haben und gerät bei diesen Nachforschungen abermals in die Fänge des wahnsinnigen Killers. Als Claire ihrem Freund Jimmy (Cody Darbe) von ihren Träumen und Déjà vus berichtet, stößt sie auf Unverständnis. Bei ihrem Nebenjob als Tankstellenverkäuferin scheint die Bedrohung eines Nachts real zu werden: Der sie in ihren Träumen verfolgende Mann greift sie dort an und nur die herbeieilende Polizei kann dem Mädchen das Leben retten. Als sie den Angreifer in einer Zeugenaussage beschreiben will, glaubt man ihr abermals nicht und versucht ihr sogar zu unterstelle, dass sie unter Drogeneinfluss fantasiert habe. Doch das hilft der immer panischer werdenden Claire alles nichts: Sie bleibt in ihrer scheinbare Wahnfantasie gefangen und meint schließlich, wenn sie den Täter selbst zu suchen beginnt, einen Ausweg aus dem Kreislauf zu finden. Was sie dabei allerdings entdeckt, scheint das Gegenteil anzukündigen.

Dass Jugendliche in ihren Träumen von Mördern verfolgt werden, die nach dem Aufwachen verschwunden sind und dennoch die Macht haben, von der Traumwelt aus in die Realität einzugreifen, hat Wes Craven bereits 1984 in „A Nightmare on Elm Street“ erzählt. Und „Gruesome“ erinnert in viel zu vielen Details an Cravens Film und dessen Sequels. Was er jedoch nicht erreicht, ist die Konsequenz seiner Vorlage. Gelang es Craven noch auf grandiose Weise die Regeln der Wahrscheinlichkeit auszuschalten und eine eigene Horror-Traumphysik auf die Tagwelt seiner Opfer-Protagonisten zu übertragen, so versagt „Gruesome“ genau in diesem Detail. Es wirkt einfach zu beliebig, was Claire erlebt, zu zusammenhanglos. Die Erzählung im Traum erfährt zwar eine Fortsetzung im Wachzustand, aber keine, die der Zuschauer nachzuvollziehen in der Lage wäre. Es scheint schlicht egal zu sein, wie sich der Plot weiterentwickelt, weil er sowohl für die Träumerin als auch für den Zuschauer allein von einer zur nächsten lose miteinander verbundenen Einzelsequenz weiterspringt.

Zu dieser Kontingenz gesellt sich eine weitere Form von „Gleichgültigkeit“: Schon nach dem ersten Träumen und Erwachen ist klar, dass gar keine wirkliche Gefahr zu drohen scheint, dass jeder Aufbau von Spannung und jeder Ausbruch von Gewalt konsequent immer wieder in eine Aufwachszene mündet. Mit derlei Souveränität ausgestattet, dürfte sich kaum ein Zuschauer mehr von der Handlungsentwicklung einnehmen lassen. Einzig die Frage, in welchem Aufwach-Plottwist sich die nächste Minisequenz wohl auflösen lässt, bestimmt dann den Rezeptionsprozess und man beginnt zu ahnen, dass hinter all dem ein großes, finales Erwachen steht. Als dieses dann eintritt, strukturiert es zwar nachträglich das Gesehene, löst die Verwirrung damit aber keinesfalls in Wissen auf – denn eine wirkliche Struktur hat es angesichts der Zufälligkeiten und Inkohärenzen ja zu keiner Zeit gegeben. Der einzige Horror, den der Film bis zu seinem Finale zu verbreiten vermochte, war der der Wiederholung – immer und immer wieder dieselbe Plotlogik vorgeführt zu bekommen, ist nämlich auch gegenüber dem Zuschauer von „Gruesome“ eine Grausamkeit und macht das Anschauen zu einer Höllenerfahrung.

Gruesome
(Salvage, USA 2006)
Regie & Buch: Jeff & Josh Crook; Musik: Evan Wilson; Kamera: John Ashmore; Schnitt: Josh Crook
Darsteller: Lauren Currie Lewis, Cody Darbe, Chris Ferry, Maureen Olander, John P. Miller u. a.
Länge: 80 Minuten
Verleih: offen

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