Moneyshots

Linda Williams stellt in ihrem Buch „Hard Core“ die Gemeinsamkeit von Porno- und Splatterfilm heraus: Beide Genres zielten auf somatische Effekte beim Zuschauer ab, die sexuelle Erregung auf der einen, die Übelkeit auf der anderen Seite. In dieser Intention weiten beide Genres den Filmraum von der Leinwand/dem Bildschirm auf den Zuschauerraum aus und lassen den Zuschauer ganz unmittelbar am Geschehen teilhaben. FFF 2006Die Ejakulation und das flaue Gefühl im Magen sind die manifesten Fortsetzungen des Films in der Realität. Um diese Wirkung zu erzielen, bedienen sich beide Genres einer sehr ähnlichen Struktur, die dem dramaturgischen Wechsel von Stimulation und Entspannung geschuldet sind. Sowohl Porno- als auch Splatterfilm gliedern sich in von Linda Williams als solche bezeichnete „Nummern“: Den unverbunden oder durch weit gehend unwichtige Handlungselemente verknüpften Sexszenen im Porno stehen im Splatterfilm die einzelnen Gewalttableaus gegenüber, der klimaktische cumshot des Pornos findet seine Entsprechung im Blick auf klaffende Wunden und sich ergießendes Blut.

Von allen Subgenres des Horror- und Splatterfilms scheinen sich die von Williams festgestellten Parallelen im Slasherfilm beinahe idealtypisch zu spiegeln. Die auf ein Minimum reduzierte Handlung wird in regelmäßigen Abständen von spektakulären Mordszenen unterbrochen, die entsprechend breit ausgewalzt werden. Die Zeit zwischen diesen Nummern wird durch banale Füllszenen überbrückt, dann und wann mit dem Blick auf nacktes Fleisch gewürzt. Ungeachtet des psychologischen Subtextes des Slasherfilms ist es vor allem diese Beschaffenheit seiner Oberfläche, die den Reiz ausmacht: Was die Attraktivität und Experimentierfreude seiner Darsteller für den Porno ist, sind die kreative Ausgestaltung der Morde und die Detailgenauigkeit seiner Special Effects für den Slasherfilm. Kein Wunder also, dass der ehemalige Pornoregisseur Gregory Dark (NEW WAVE HOOKERS) sein Spielfilmdebüt eben mit einem Slasherfilm bestreitet, der die Herkunft seines Regisseurs zu keiner Sekunde verbirgt.

SEE NO EVIL beginnt mit der genreüblichen Rückblende, in der der Killer des Films etabliert wird. In diesem Fall ist das ein glatzköpfiger Hüne mit religiöser Neurose, der seinen Opfern mit Vorliebe die Augen aus den Höhlen pult. Der tapfere Polizist, der ihm auf der Spur ist, verliert zwar einen Arm, kann den Killer aber mit einem gezielten Schuss in den Kopf niederstrecken. Sprung in die Gegenwart: Sieben Jahre später ist der Polizist Wärter in einem Gefängnis für jugendliche Straftäter, die an einem Wochenende die Möglichkeit erhalten, ihr Strafmaß zu reduzieren, indem sie ein leer stehendes Hotel aufräumen. Schon bald fallen sie jedoch dem wiederauferstandenen Killer von damals zum Opfer, der sich in dem verrotteten Gemäuer niedergelassen hat. So weit, so langweilig.

Was Gregory Darks SEE NO EVIL so interessant macht, ist die Gestaltung seiner Oberfläche und die konsequente Reduktion der Handlung auf ein nacktes Gerüst. Das beginnt bei der Besetzung mit Kraftprotz und Wrestling-Profi Kane, der einen besonders emotions- und regungslosen Killer gibt, setzt sich in der Zusammensetzung des Opfermaterials aus ebenso attraktiven wie uninteressanten Darstellern und der schmucklos voranschreitenden Handlung fort, die keinen Zweifel daran lässt, worum es hier eigentlich geht, und erfährt in der inflationären Verwendung visueller Effekte und einer sehr extrovertierten Montage seine Vollendung, die sich nie damit begnügt, einfach nur von a nach b zu schneiden, sondern noch die banalste Handlung durch ausgiebige Fragmentierung optisch veredelt und aufbläst. Das ergibt wirklich zu keiner Sekunde einen Sinn. Doch gerade in dem Aufeinanderprall des bemitleidenswert blöden Plots und der formalen Zaubershow, die Dark daraus macht, bezieht SEE NO EVIL seinen beträchtlichen Reiz. Man könnte meinen, Tony Scott habe Dark beim Schnitt unter die Arme gegriffen.

Die phallische Penetration des Opferkörpers mit Messern weicht in Darks Film der Entfernung der Augäpfel, der Blick auf vaginale Wunden dem ausgiebigen Verharren auf leeren Höhlen. Die Symbolik von SEE NO EVIL ist eindeutig und doppelt die von Williams angesprochene Integration des Zuschauers in den Film – sehen heißt sterben. Und als hätte der Regisseur Fragen an seiner filmischen Herkunft gelassen, gibt es am Schluss auch einen echten cumshot: Ein Hund läuft ins Bild und pisst dem toten Killer in die ausgeräumte Augenhöhle. Dark ist sich also treu geblieben. Auch mit SEE NO EVIL fickt er sein Publikum ordentlich durch.

See no Evil
(USA 2006)
Regie: Gregory Dark, Drehbuch: Dan Madigan, Kamera: Ben Nott, Musik: Tyler Bates, Schnitt: Scott Richter
Darsteller: Kane, Christina Vidal, Michael J. Pagan, Steven Vidler, Samantha Noble
Verleih: Lionsgate
Länge: ca. 84 Minuten 

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