Ehedrama in Kassel

Vater, Mutter, Tochter im Hessischen: Ein Eigenheim wird bezogen, es ist Winter, am Montag kommen die neuen Fenster, auch wenn man das eigentlich im Sommer macht. Es scheint harmonisch zuzugehen, etwas zu beschaulich vielleicht, ein wenig fad auch alles, ein Fassbinder’scher Eheknast aber ist das nicht und wird es nie. Dann will die Mutter abends das zuckersüße Töchterchen bei den Schwiegereltern abholen; sie steht vor deren Hause, schaut durchs Fenster, sieht ihr Kind, dreht wortlos um, zum Auto hin, fährt ab. Autobahn, nachts, rote Autolichter, außerhalb des Schärfebereichs, keine Flucht im eigentlichen Sinne, ein Abtauchen ins Unscharfe eher. „Ich komme nicht mehr zurück“, sagt sie schließlich später in ihr Handy als sie Rast macht.

Sie fährt zum Wochenendhäuschen ihrer Eltern, wo ihr Bruder gerade, was sie jedoch nicht weiß, als sie dort hinfährt, ein bisschen Liebespaar mit seiner neuen Flamme spielt; er ist ein rechter Weiberheld, wie wir erfahren, immer Geschichten am Start. Bald kommt ihr Gatte hinterher (der Bruder hatte ihn eingeladen, nach einer kleinen, wechselseitigen Gemeinheit unter Geschwistern), sie entgeht der Begegnung gerade noch rechtzeitig in ein nahes Hotel, dort Möglichkeit zum Seitensprung. Dann stirbt der Nachbarssohn zuhause, und die Fenster sind noch immer nicht da und es wird zur Beerdigung geladen. Sie kommt zurück, nähert sich wieder an, während ihr Mann eine alte Liebschaft ausgebuddelt hat; wie man in der Krise eben tickt.

Montag kommen die Fenster zeigt einiges, spielt mit den Möglichkeiten des Stoffes und auch dem Wissen des Zuschauers, erklärt aber nichts und verfällt in keine Konvention. Es mag kein Zufall sein, dass der Film in jener Sequenz, in der die Frau orientierungslos durch das Hotel geistert, für einen kurzen Moment lang Gus van Sants Elephant zu zitieren scheint; hier wie dort geht es um eine Situation, die förmlich darauf zu drängen scheint, erklärt, durchleuchtet und einsortiert zu werden, wohingegen beide Filme es vorziehen, eine naheliegende Erklärung gerade eben nicht zu konstruieren. Im Hotelzimmer schaut sie schließlich einen französischen Film, als läge die Ahnung eines französischen Ehedramas in der Luft; auch diese Ausfahrt nimmt Köhler nicht. Der erste näher ins Bild geratende Gegenstand im Waldhäuschen ist eine eindrucksvolle Kettensäge; man fürchtet, sie wird noch wichtig, als Instrument zur, wie Metapher für Zerfleischung – weit gefehlt, die Kettensäge bleibt ihrem ursprünglichen Zweck vorbehalten. Der Seitensprung im Hotel mit einem dicklich-älteren Lebemann, dessen Charme Behauptung bleibt, bleibt selbst wiederum Episode, nichts weiter. Es geht nicht um das große Drama, es geht nicht um die conditio humanae, für die man den Stoff als Sinnbild vielleicht in Frankreich verwendet hätte, es geht auch nicht um eine neue Moral, auf die ein Haneke vielleicht abgezielt hätte; es geht zunächst nur um diese drei Figuren, nur um diese drei, um nichts weiter, und die nimmt Köhlers Film ohne Vorbehalte ernst, kein tiefschwingender Pathos, keine Überwältigung suchende Tristesse.

Mithin mag es dann doch, dies aber nur vielleicht (zumindest die letzte Sequenz legt es nahe), um den Verlust der Erotik im Alltag gehen, das Einschlafen der fleischlichen Reize, wenn man sich einzubuddeln droht im Ehe- und Heimglück. Nicht umsonst spielt der Film in Kassel, einer Art Nicht-Ort in der Mitte von Deutschland, wo das ländlich-bequeme, aber nicht rustikale des alten West-Deutschlands vielleicht noch in Spuren erahnbar ist; eine (Um-)Welt, die zur Formulierung einer Utopie nicht imstande ist, weshalb die Flucht der Frau, wie ihre Rückkehr, vielleicht so sinnlos wirken mag, wie sie schließlich auch im Norweger-Pullil und Schlabberjeans durch die Wälder streift. Kein Ausbruch möglich, da kein Ventil in diese Richtung, und wenn ist es längst absorbiert: Ihr Bruder baut einen Joint, hört Ton, Steine, Scherben oder Rio Reiser, ein bisschen Kiffen ohne auflehnende Geste, seine Freundin, die nicht minder kifft, macht ein Praktikum im Bundestag; über 200 Gesetze hätten „die“ (gemeint ist Rot-Grün) verabschiedet, natürlich hat sich was verändert, meint sie, mit den anderen stünden „wir“ jetzt im Irak. Kein Gegenkonzept, das nicht immer schon regierungsfähig wäre. Das simple Bonmot des kurzfristigen Liebhabers: Ein Land, das nicht recht zu essen, nicht recht zu trinken, nicht recht zu ficken weiß, und obendrein Tennis zu wichtig nimmt.

Die Umwelt ist deshalb wichtig für den Film: Immer ist da mehr als bloßer Bildraum; ein Film, in dem man, wie vielleicht vorher noch nie, immer wieder Stimmen aus Nebenräumen hört, sei es durch offenstehende Türen oder durch Wände hindurch. Im Hotel ein monotones Rauschen im Hintergrund; über dem Abspann die Laute der nahen Autobahn. Ein akustisch erschlossener Raum, der gerade in seiner Weite so trostlos wirkt, hier wie dort sein bleibt sich da gleich; ein intensiver Film ganz ohne den Pathos der Intensität, in seiner Klar- und Einfachheit nichts weniger als tief beeindruckend.

imdb ~ weitere Informationen ~ Interview mit U. Köhler

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