Exotik, Ritual und Auflehnung


Am Samstag stand das Programm „Exotica“ im Mittelpunkt des Publikumsinteresses, nicht zuletzt dank dem angekündigten neuen Film von Matthew Barney, über den ich heute neben anderen Higlights dieses Abends berichte. Und am Sonntag habe ich ein ebenfalls sehr begehrtes Programm zum Thema „Fluxus im Rheinland“ besucht.

Julian Rosefeldt
Asylum
D 2004, 14’20“, ohne Dialoge, Farbe, 35mm
Internationaler Wettbewerb: Exotica

In diesem Film müssen Ausländer (meist aus „exotischeren“ Ländern) in einer überspitzten Form die Klischees erfüllen, die ihnen von der Gesellschaft auferlegt werden. Zum Beispiel erscheint in einer leeren U-Bahn-Halle eine Gruppe von südländisch aussehenden Männern, die zum Verkauf bestimmte Zeitungsstapeln bei sich tragen. Oder ein Team von türkischen Putzfrauen (an Kopftüchern und weiter Kleidung zu erkennen) saugt in einem Kakteentreibhaus den Boden. Zu sehen sind auch asiatische Köche, die über den Essstäbchen meditieren und gleichzeitig Bewegungen einer orientalisches Kampfsportart vorführen, bunt gekleidete Zigeunerinnen auf dem Jahrmarktkarussel und andere Menschengruppen, die weitere Assoziationsketten anregen. Die Räume, in die Julian Rosefeldt seine Protagonisten versetzt, sind stets ästhetisch schön photographiert, wirken aber isoliert und steril, was auf die Randstellung verweist, die diesen Menschen in Deutschland zukommt. Der artifizielle Charakter der Bilder entlarvt aber auch die Künstlichkeit der bestehenden Stereotypen, die nur abseits der Realitätserfahrungen in dieser Form bestehen können.

Besonders beeindruckend ist die Szene, die schwarze Männer in ebenfalls schwarzen Bomberjacken in einer Art nachgestellter Museumshalle zwischen den schneeweißen Skulpturen herumirren zeigt, die das klassische Ideal der europäischen Männerschönheit abbilden. Der kühle, abweisende Marmor der Skulpturen illustriert treffend die Allianz zwischen dem Rassismus und der Berufung auf das Kulturerbe.

Anthony Goiclea
Act of Contrition
D 2003, 2’40“, englisch, Farbe DVD
Internationaler Wettbewerb: Exotica

Ein sehr kurzer und dennoch extrem ausdruckstarker Film. Die Kamera bewegt sich nicht und zeigt aus einiger Entfernung immer wieder dasselbe Szenario: Fast identisch aussehnde Jungen in Schul- bzw. Internatuniform steigen in zwei offene, sich jeweils nach oben und nach unten bewegende Aufzüge, der wie Beichtkabinen hergerichtet sind, ein und dann wieder aus. Dabei sprechen sie leise ein katholisches Gebet nach. Der distanzierte, fast entfremdete Kamerablick sowie die äußere Ausdruckslosigkeit der Beteiligten erschaffen eine traumwandlerische Atmosphäre. Die immer wiederkehrenden Bewegungsabläufe unterstreichen den rituellen Charakter der dargestellten Handlungen, die einer rationalen Erklärung nicht mehr bedürfen und vielleicht gerade dadurch den Zugang zur anderen, höheren Wirklichkeit erlauben. Aber gleichzeitig wird das Ritual durch seine offensichtliche Absurdität in Frage gestellt und dekonstruiert. Am Ende verdichten sich viele betende Stimmen zu einem leidenschaftlichen Flüsterchor, der eher mit Lust als mit Frömmigkeit assoziativ in Verbindung gebracht werden kann. Die Hingabe an Gott bekommt an dieser Stelle noch mal eine andere, körperlich konnotierte Bedeutung.

Matthew Barney
De Lama Lamina
USA/BRA 2004, 50′, OmeU, Farbe, 35mm
Internationaler Wettbewerb: Exotica

Schon in seinem berühmten „Cremaster Cycle“ arbeitete Matthew Barney gerne mit jeweils zwei aufeinanderbezogenen Vorgängen, die räumlich getrennt sind, aber dennoch eine formale und spirituelle Verbindung aufweisen. Im seinem neuen Film „De Lama Lamina“ kombiniert er dokumentarische Bilder eines Karnevalumzugs in Salvador de Bahia mit sehr artifiziellen Aufnahmen einer rätselhaften männlichen Gestalt, die sich im unteren Bereich eines Wagens verbirgt, der von Barney persönlich entworfen und dekoriert wurde. Im oberen Bereich – für alle sichtbar – tritt eine einheimische Musikband auf, die für Stimmung sorgt und die Aufmerksamkeit auf den Wagen lenkt, der freilich im Karnevalsgedränge auf den ersten Blick nicht unbedingt als künstlerisches Projekt erkannt werden kann. Doch im Inneren vollziehen sich schon geheimnisvolle Prozesse, die von einer Akrobatin auf einer in die Höhe ragenden Wagendekoration scheinbar empfangen und als Vorlage für ihre eigenen Handlungen benutzt werden…

Nach Mikhail Bachtin ist Karneval ein Fest der Erneuerung der bestehenden Ordnung, die zu diesem Zweck einer vorübergehenden Deformierung unterzogen werden muss. Bei Barney scheint sich diese karnevalistische Erneuerung in eine Art Mutation zu verwandeln, von der die Realität unmittelbar betroffen wird, auch wenn sie zunächst nichts davon mitbekommt.

Wilhelm Flues
Kagels Beethoven
1970 D, 30′, Beta SP
Fluxus im Rheinland

Einen Film über die Dreharbeiten an einem anderen Film zu drehen, kommt fast einer überflüssigen Multiplikation der Sinneseinheiten gleich, insbesondere wenn beide einen ähnlichen Anspruch vertreten, und zwar: den Missbrauch von Beethovens musikalischem Erbe zu entlarven und die Möglichkeiten eines kreativen Umgangs damit aufzuzeigen. Doch entbehrt Wilhelm Flues‘ Dokumentation trotzdem nicht eines gewissen kulturolgoischen Interesses, zumal sie die Legende des Neuen Musiktheaters Mauricio Kagel bei seiner Arbeit zeigt, die freilich gleichzeitig immer schon eine Performance ist. Zugleich beweist der Film, dass das, was hinter der Kamera passiert, manchmal mindestens genauso spannend ist, wie das, was nachher als Ergebnis herauskommen mag. Besonders deutlich wird das zum Beispiel in der Szene, die den nach der Mode von Beethovens Zeit verkleideten Kameramann zeigt, der zusammen mit Kagel dem Geburtshaus Beethovens in Bonn einen Besuch abstattet und allein schon dadurch bei dem Mitarbeiter des Museums den Ausdruck der Verblüffung auslöst, den er für den Film festzuhalten beabsichtigt. Nebenbei sehen wir übrigens noch eine andere legendäre Gestalt der avantgardistischen Kunstszene, Josef Beuys, der einen Teil der Ausstattung für Kagels Film mitverantwortete. Insgesamt kann diese Dokumentation, die sich gegen die institutionelle Vereinnahmung der Beethovens Musik und ihre gedankenlose Rezeption auflehnt, heute auch als ein Beitrag gegen die Domestizierung der Fluxus-Szene gedeutet werden, die ja selbst längst eine museale Existenz führt und deren revolutionäres Potenzial dadurch erheblich gemildert wird.

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