Einer, der überzählig ist …

»Sie sind nicht aus dem Schloss,
Sie sind nicht aus dem Dorfe,
Sie sind nichts.
Leider aber sind Sie doch etwas,
ein Fremder,
einer, der überzählig
und überall im Weg ist.«
(Die Wirtin zu K.)


Bei filmischen Literaturadaptionen ist die Versuchung immer groß, die Frage nach der adäquaten Umsetzung des Stoffes zu stellen. Eine alleinige Konzentration darauf würde natürlich den Kunstcharakter des Films hintanstellen zugunsten eines Vergleichs des nicht Vergleichbaren. Aber dennoch scheint die Stoff-Verwertungsindustrie, die auf ihrer Jagd nach Profit den Erfolg des einen Mediums dringend auf ein anderes Medium ausdehnen muss, dem Filmzuschauer das Vergleichen nahe zu legen.

Im vorliegenden Fall tritt eine weitere Schwierigkeit hinzu, denn „Das Schloss“ ist nicht nur irgendein kassenträchtiger Bestseller, sondern ein multiples Rätsel der Literatur. Selbst Fragment geblieben hätte Kafka es lieber den Flammen anvertraut, als es jetzt auch noch ins Kino adaptiert gesehen. Die Erzählung – und bei weitem nicht nur diese Erzählung Kafkas – scheint aber dennoch nicht nur besonderen Reiz, sondern sogar besondere Verträglichkeit für einen Medienwechsel zum Film zu bieten. Nicht selten wird Kafka von der Forschung ein „filmischer Blick“ beim Schreiben unterstellt und er selbst war auch eifriger Kinogänger, wenn man den Ausführungen Hanns Zischlers in „Kafka und das Kino“ Glauben schenken will. Alles gute Bedingungen für das Schreiben von Drehbüchern.

„Das Schloss“ von Michael Haneke scheint dem Rechnung tragen zu wollen und darüber hinaus noch die Frage beantworten zu wollen, wie sich denn nun Film angemessen einem solchen Stoff nähern kann. Haneke schlägt hierzu eine „pseudo-literarische“ Filmschrift vor. Abweichend von gängigen Inszenierungsmustern lässt er zum Beispiel immer wieder einen Sprecher aus dem Off genau das kommentieren, was gerade im Bild zu sehen ist (und fast immer sind diese Off-Kommentare gelesene Prosa-Stellen des Romanfragmentes, wie auch die Film-Dialoge oft direkt aus der Feder Kafkas stammen) oder er unterbricht selbst bedeutsame Handlungssequenzen durch einsekündige Schwarzblenden – ganz so, als würde er für den Filmzuschauer umblättern – nur, um dann oft an der selben stellen „weiter zu erzählen“.

Der Inszenierungstil kommt der Rhetorik und dem Stil Kafkas recht nahe. Nicht nur die abstruse und verstörende Handlung (auf die ich noch zu sprechen kommen werde) findet in diesen optisch-akustischen Verfahren ein Pendant. Auch die den Kafka’schen Helden-Figuren stets anhaftende „verweifelte Souveränität“ wird durch diese brachialen Einschnitte in die Sukzession ihrer Handlungen und Gedanken immer wieder hervorgekehrt. So scheint man die „Mikrophysik der Verschwörung“, die im Dorf unter dem Schloss herrscht – ja, die den Landvermesser beherrscht -, förmlich sehen zu können.

Haneke nähert sich der Erzählung Kafkas mit dem selben Respekt und dem Wunsch, für sie eine angemessene filmische Form zu finden. Das komplizierte Netz aus sozialen Beziehungen und Barrieren, auf das der Landvermesser stößt, wird in all seiner Unverstehbarkeit bebildert. Die Figuren, sind wie im Romanfragment eigenartig opak. Immer scheinen sie gleichzeitig für die Verheißung K.s zu stehen, einen „Zugang“ zum Schloss oder wenigstens doch zu dem Schlossbeamten „Klamm“ zu bieten und zerfallen doch andererseits immer wieder in die Fragmente ihrer eigenen Ohnmacht. Die „verzweifelte Souveränität“, von der ich sprach, betrifft zwar in aller erster Linie die Identifikationsfigur des Landvermessers K., ist aber auch ein Charakterzug, der jedem der Dorfbewohner irgendwie anzuhaften scheint. Einzig die „unsichtbaren“ Beamten des Schlosses (seien sie nun am Telefon, wie Klamm in der verschlossenen Wirtsstube oder auch nur im Gemunkel der Dorbewohner anwesend) genißen die volle Souveränität über sich selbst und das Geschehen. Haneke setzt dies gekommt durch eine uneigentliche Inszenierung um: Die Souveräne glänzen durch Abwesenheit und Bildnisverbot. Die Anwesenden Dorfbewohner wirken allesamt alt, schwach und krank (oder doch zumindest schwachsinnig, wie die Gehilfen), so dass der hochgewachsenen und aufrechten von Ulrich Mühe dargestellten K. zumindest physisch nicht zu ihnen zu gehören scheint. Aber gehört er deswegen schon zum Schloss?

Um sich voll auf die „Inszenierung der Schrift“ konzentrieren zu können, verzichtet Haneke auf jedes überflüssige Detail. Das heißt, dass der normative Kontext der Erzählung weitestgehend ausgespart bleibt (Romanfragment wie Film scheinen sich in keiner Zeit verorten zu lassen). Darüber hinaus fällt aber auch der Verzicht auf einen Soundtrack, „korrekte“ Ausleuchtung der Szenerie oder auffällige Kameraarbeit auf. Dadurch erhält der Film eine Authentizität, die der Zuschauer erst auf den zweiten Blick „spürt“ und die sein unangenehmen Potenzial zumindest unterstützt, wenn nicht gar ausmacht.

Der Film „Das Schloss“ erweist dem Romanfragment „Das Schloss“ den größtmöglichen Respekt, indem er gar nicht erst versucht nicht etwas zu sein, was er doch so offenkundig ist: eine „Verfilmung“. Im Gegenteil: Haneke nutzt die Chance und bereitete denn Stoff „mediengerecht“ in all seinen Facetten so auf, dass selbst demjenigen, der die Prosa nicht kennt, hinterher ein Eindruck vom Stil und der Erzählung gegeben sein dürfte.

Das Schloss
(Deutschland/Österreich 1997)
Regie: Michael Haneke, Buch: Michael Haneke (nach einem Roman von Franz Kafka), Kamera: Jirí Stibr, Schnitt: Andreas Prochaska
Darsteller: Ulrich Mühe, Susanne Lothar, Frank Giering, Felix Eitner, Nikolaus Paryla, André Eisermann u.a.
Länge: 123 Minuten
Verleih: absolutMEDIEN

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