Die „verrückten“ Künstlerwelten


Gestern handelten gleich zwei große Festivalbeiträge von tragischen Künstlerschicksalen, freilich auf eine sehr unterschiedliche Art und Weise. Heute bespreche ich die beiden Filme „Janine F“ und „Modigliani“.

Teresa Renn
Janine F
D 2004, 80′, deutsch, Farbe, Beta SP
Internationaler Wettbewerb: Spurensuche

Mit ihren Werken hat die Künstlerin Janine F. kaum für öffentliches Aufsehen gesorgt. Erst ihr Selbstmord, den die damals 24-jährige beging, machte Schlagzeilen: Sie ist aus dem Fenster des Berliner Kulturhauses Tacheles gesprungen, in dem sie auch künstlerisch tätig war. Der Film untersucht die Geschichte, die hinter diesem sowohl tragischen als auch sensationellen Vorfall steht, anhand Interviews mit ihren Freunden und Künstlerkollegen. Die Interviews sind meist frontal, in klaren, eindeutigen Bildern gefilmt, was nicht nur zur besseren Konzentration auf das gesprochene Wort dient, sondern auch eine verstärkte Beobachtung der Befragten erlaubt, die mit ihrer Mimik und Gestik oft mehr über die möglichen Hintergründe aussagen, als sie das mündlich vermögen. Das Gesicht von Janine selbst wird dagegen nie in Großaufnahme gezeigt: Alles, was wir von ihr sehen, sind stilisierte Selbstporträts und verschwommene Fotos bzw. Videoaufnahmen. Ihre Gestalt bleibt dunkel, jedenfalls nicht mehr eindeutig rekonstruierbar. Das steht im merkwürdigen Kontrast zu der Ausführlichkeit, mit der Freunde und Bekannte die Verstorbene beschreiben. Ein Freund glaubt sogar, sich an die komplizierten Wandbemalungen in jedem einzelnen Zimmer ihrer Wohnung zu erinnern, und gibt vor, zu ihr eine telepatische Verbindung gehabt zu haben. Die beste Freundin scheint genauestens über ihre Beziehungen und kulinarische Vorlieben informiert zu sein. Doch im Grunde offenbaren diese detaillierten Angaben nur die fehlende Einsicht in die innere Welt der Künstlerin und die Machtlosigkeit, das Wichtigste zu erklären. Die Beschreibungen, die Janine als einen lebensfrohen, selbstbewussten, belastbaren Menschen darstellen, entsprechen offensichtlich eher dem Wunschbild, das die Umwelt von ihr hatte und das sie ihrerseits mit letzter Mühe aufrechtzuerhalten versuchte. Obwohl ihre psychische Störung und ihr Drogenkonsum für die meisten Freunde kein Geheimnis waren, reagierte keiner alarmiert, auch nicht, als sie Selbstmordgedanken äußerste. Die Toleranz, die man in den Künstlerkreisen traditionell einander entgegenbringt, zeigt hier ihre gefährliche Grenze zur Ignoranz überschritten zu haben. Auch bei dem Kulturhaus selbst, in dem sich Janine nach Aussagen von Kollegen sehr wohl gefühlt hatte, sind die Schattenseiten nicht zu übersehen: Die Künstler arbeiten in sehr kargen räumlichen Verhältnissen und haben bei ihrer Tätigkeit kaum Rückzugsmöglichkeiten. Was von den Künstlern selbst gerne beschönigend als kreatives Chaos aufgefasst wird, ist tatsächlich eher ein Zeichen der Misere, das von der Gesellschaft ähnlich verdrängt wird, wie das Leiden von Janine F. von ihrem Freundeskreis.

Mick Davis
Modigliani
USA/GB/D/Rumänien 2003, 115′, englisch, Farbe, 35 mm
Internationaler Wettbewerb: La Bohème

Wie eine abendfüllende, mit großem Budget gedrehte und auf ein Massenpublikum abzielende Hollywoodproduktion in das Wettbewerbprogramm neben den zum Teil sehr kurzen, experimentellen Filme geraten könnte, bleibt für mich ein Rätsel. Nichtsdestotrotz ist „Modigliani“ für sich genommen durchaus interessant, obwohl er sich zwangsweise mit dem Film „Montparnasse 19“ (1958) vergleichen lassen muss, in dem der Künstler selbst von Gérard Philipe und seine Geliebte Jeanne von Anouk Aimée eindringlich verkörpert wurden. Im Gegensatz zu seinem schwarzweißen Vorgänger, der eher leisere Töne anschlägt, spart „Modigliani“ nicht mit drastischen Bildern und bis ins Hysterische überdrehten dramatischen Situationen. Die biographische Geschichte an sich gibt auch genug Anlass für Pathos und effektvolle Übertreibungen: Amadeo Modigliani stirbt tragisch, kurz bevor seine künstlerische Leistung anerkannt wird, seine schwangere Geliebte folgt ihm am nächsten Tag freiwillig in den Tod. Ihre Liebesgeschichte bildet auch den zentralen Handlungsstrang des Films. Aber es geht parallel noch um eine andere „Liebesgeschichte“, und zwar: zwischen Modigliani und Picasso. Die beiden Künstlerpersönlichkeiten werden als heftige Rivalen dargestellt, die trotzdem eine Art neckische Hassliebe zueinander pflegen, die Grenzen einer einfachen Freundschaft (bzw. Feindschaft) eindeutig überschreitet. Schon in einer der ersten Szenen bekommt der verblüffte Picasso in einem der Pariser Cafes beinah einen (scherzhaft gemeinten) Mundkuss vom Modigliani, woraufhin der „Betroffene“ förmlich ausflippt und den „Beleidiger“ fast verprügelt. Dies tut aber ihrem ambivalenten Verhältnis keinen Abbruch, und im Verlaufe des Films spielen sie einander noch mehrmals (zum Teil sehr böse) Streiche, die sich mit Bekundungen gegenseitiger Zuneigung abwechseln. Im allgemeinen lebt der Film von den „Verrücktheiten“ der Pariser Kunstwelt, die er allerdings stets in der bewährten Hochglanzästhetik ins Szene setzt, was einen unausgewogenen Eindruck hinterlässt. Auch der Hauptdarsteller Andy Garcia, der vom Typ her mehr für „bodenständigere“ Charaktere prädestiniert ist, wirkt in der Rolle des nervösen Genies nicht ganz überzeugend und beweist die innere Zerrissenheit seines Helden höchstens mit impulsivem Zerbrechen der Bilder und dem schnellen Griff zur Waffe.

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