Gangs of New York

Lange hat Martin Scorsese mit der Produktion zu Gangs of New York zu tun gehabt. Immer wieder wurde der Starttermin verschoben, vor allem, weil die Produktionsfirma mit der Länge des Films nicht einverstanden war. So sind schließlich etliche Szenen der Schere zum Opfer gefallen und herausgekommen ist ein Film, der mit 160 Minuten immer noch fast doppelte Spielfilmlänge hat. Gangs of New York ist im Frühjahr 2003 in den deutschen Kinos angelaufen und seit kurzem als Kauf-DVD von Splendid erhältlich.

Scorsese Film spielt in New York Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Elendsviertel werden von den Gangs beherrscht, die gegeneinander um die Macht konkurrieren. Gangs of New York erzählt die Geschichte des jungen Amsterdam Vallon aus dem Bezirk „Five Points“, dessen Vater als Anführer der Gang „Dead Rabbits“ in einem Bandenkrieg von Billy the Butcher, dem Anführer der „Natives“, ermordet worden ist. Nachdem Amsterdam mit 16 aus dem Waisenhaus entlassen wird, treibt ihn der Wunsch, den Tod seines Vaters zu rächen, zurück in die Five Points. Er schmeichelt sich nach und nach bei Billy the Butcher ein und gewinnt dessen Vertrauen. Doch bevor Amsterdam ein Attentat auf den Butcher durchführen kann, wird er verraten. Der Anführer der Natives lässt den Jungen jedoch leben und dieser gründet eine eigene Gang und eine politische Organisation, um die Macht der Natives ein für allemal zu brechen. Doch die historischen Ereignisse des amerikanischen Bürgerkrieges durchkreuzen das finale Aufeinandertreffen der beiden Gangs.

Gangs of New York – das kann man den Dokumentationen der Bonus-DVD entnehmen, ist ein sorgsam recherchiertes Historien-Drama. Von den Settings bis hin zu den Kostümen ist der Film um Authentizität bemüht. Und auf eigenartige Weise vermag Gangs of New York dem Historismus seiner Erzählung nur schwer zu entkommen. So verbringt Scorsese das gesamte erste Drittel des Filmes damit, den geschichtlichen Kontext darzulegen und unterlegt dies mit der wenig abwechslungsreichen Annäherung Amsterdams an Billy. Als das Attentat jedoch missglückt schwenkt der gesamte Film um und erstmals erscheint ein wenig von Scorseses Handschrift: Das mikrosoziale Drama zwischen Amsterdam, Billy und Jeanny Everdane (Billys Ziehtochter und Amsterdams Geliebte) wird auf einen größeren Kontext übertragen, der dann auch nicht unbeeinflusst von den historisch-politischen Ereignissen des 19. Jahrhunderts bleibt. Zu guter Letzt überrumpelt der Bürgerkrieg und die damit verbundene Wehrungerechtigkeit gegenüber der verarmten Bevölkerung der New Yorker Slums das Drama vollständig. Und erst eine halbe Stunde vor Ende des Films wird auf diese Weise das schon fast peinliche Historien-Melodram konterkariert.

Der Grund dafür, warum Gangs of New York in weiten Strecken der „Kinematographisierung der amerikanischen Geschichte“ verpflichtet zu sein scheint, ist nur oberflächlich in der zeitgenössischen literarischen Vorlage zu suchen. Sicherlich hätte Scorsese eine derart mimetische Annäherung an die „wirkliche Vergangenheit“ nicht nötig gehabt. Und so drängt sich der Verdacht auf, dass er mit Gangs of New York wohl auch gern ein Stück vom großen Kuchen der „Geschichte als cineastischem Retro-Szenario“ abhaben wollte. Auf bedenkliche Weise reiht sich Scorseses Film einschlägige Beiträge der us-amerikanischen Film-Geschichte (im doppelten Wortsinne) ein.

Sicherlich sind oberflächen-ästhetisch nahezu alle Register gezogen worden – dies war allein schon der Authentizität geschuldet. Doch bei genauerer Betrachtung scheinen sich einige Details auch hier zu sehr auf den Effekt der Erzählung verlassen zu haben. So ist das Schauspiel von Leonardo DiCaprio relativ eindimensional geraten (fast zwanghaft muten auch hier seine Versuche an, allein durch grimmig-verkniffenen Gesichtsausdruck der Titanic-Rolle endlich zu entkommen – und dann doch wieder einen ähnlichen Charakter zu mimen). Und auch Cameron Diaz gewinnt kaum Plastizität und hat aufgrund ihrer eingeschränkten Begabung sichtlich mit der Rolle zu kämpfen. Sie gerät schließlich zur reinen Erfüllungsgehilfin des Plots und wirkt genauso wenig „echt“, wie die ambivalente Beziehung, die sie an die beiden männlichen Protagonisten fesselt. Einzig Daniel-Day Lewis scheint in der Rolle des Butchers voll aufgegangen zu sein und sein Spiel ist äußerst facettenreich und beherrscht den gesamten Film.

Der eingangs erwähnte Disput zwischen dem Regisseur und der Produktion ist Gangs of New York recht deutlich anzusehen: Die Erzählung hat – wohl auf die oktroyierten Kürzungen zurückzuführen – deutliche rhythmische Schwächen. Die Tatsache, dass der Film anfangs einen einstündigen Handlungsstrang etabliert, den er dann unvermutet fallen lässt, so dass der Eindruck entsteht, hier wären nur Charakterisierungen vorgenommen worden, hinterlässt einen faden Beigeschmack. Ebenso etliche recht hölzern wirkende Montagen, die – so etwas ist man weder von Scorsese noch von seinem Kameramann Michael Ballhaus gewohnt – standardisiert Analogien evozieren sollen, fallen auf. So bekommen wir etwa in aneinander geschnittenene „Gebets-Szenen“ zu sehen, wie sich die verfeindeten Gangs auf den Kampf und die Aristokratie auf das Mittagessen vorbereiten, wohl nur, um deren situative Verbindung zu verdeutlichen. Aber auch ansonsten halten sich Schnitt und Kamera mit originellen Einfällen eher zurück und überlassen – ich wiederhole mich – der Bombastik des Settings das Feld.

Nach dem hervorragenden Bringing out the Dead (USA 1999) hat sich Scorsese mit Gangs of New York einen „Ausrutscher“ in die Vergangenheit geleistet, der ihm schlecht zu Gesicht steht. Der Verdacht liegt nahe, dass seine Sujets eher der Gegenwart verpflichtet zu sein scheinen, dort blüht seine Originalität auf. Im Kontrast der Einzelschicksale und der modernen (oftmals urbanen) Welt, finden Scorseses Filme ihre besondere Handschrift. Filme, die (die) Massen bewegen, gehören nicht zu seinen Stärken. In Gangs of New York wird dies zum Ende hin deutlich, als die Armee den Aufstand der Armen niederschlägt, damit auch das finale Zusammentreffen der beiden Gangs verhindert und die beiden Ganglieder als Karikaturen ihrer eigenen Obsessionen entlarvt. Diese Form der Ironie ist typisch für den New Yorker Autorenfilmer Scorsese – doch darauf muss man in Gangs of New York 160 Minuten warten.

Gangs of New York
(USA 2002)
Regie: Martin Scorsese; Buch: Jay Cocks; Kamera: Michael Ballhaus;, Schnitt: Thelma Schoonmaker;
Musik: Peter Gabriel; Darsteller: Daniel Day-Lewis, Leonardo DiCaprio, Cameron Diaz, Liam Neeson uvm.
Verleih: Splendid, Länge 160 Min.


Doppel-DVD von Splendid

Die Kauf-DVD von Splendid wartet neben der üblich ausgestatten Spielfilm-Scheibe mit einer Bonus-DVD mit „herausragendem Zusatzmaterial“ auf. Hierzu zählen Dokumentarmaterial über die historischen Hintergründe von Gangs of New York vor allem Informationen über die Produktion des Films in Form von Interviews mit dem Production-Designer, einem Set-Besucht (mit interaktiven 360°-Besichtigungsmöglichkeiten). Daneben findet sich als Bonus das Musik-Video zum SOng „The hands that built America“ von U2, ds denTitelsong des Films darstellt und eine Sammlung von Trailern des Films.

Bild und Ton der DVDs sind tadellos und selbst die Bonus-DVD ist fast vollständig mit optionalen deutscchen Untertitel versehen worden. Des Weiteren befindet sich als alternative Tonspur auf der Spielfilm-DVD ein Audio-Kommentar des Regisseurs Martin Scorsese.

Die technischen Details im Einzelnen:

# Ton: Deutsch & Englisch (jeweils DD 5.1)
# Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte, Englisch
# Bild: 19:9 / 2,35:1

Zusatzmaterial:

# 2 Disc Special Edition
# Audiokommentar von Regisseur martin Scorsese
# Production-Designer Dante Ferreti über das Design und die Entstehung der Kulissen
# Führung mit Martin Scorsese durch die Original-Kulissen
# 360-Grad-Virtual-Set-Tour durch die Original-Kulissen
# Das Kostüm-Design
# Die Geschichte der „Five Points“ (Dokumentation)
# Discovery Channel-Show „Die wahren Gangs of New York“ (Dokumentation)
# Musik-Video von U2 „The Hands that built America“
# Kinotrailer & Teaser-Trailer
# DVD-Programmvorschau

Preis der DVD: 22,99 Euro

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Stefan Höltgen

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