Die Bettwurst

Luzi Kryn ist eine alleinstehende Frau im fünften Lebensjahrzehnt. Ihre Alltagsprobleme kreisen um den Grabschmuck ihrer Mutter und Fragen innenarchitektonischer Geschmacks. Dieses mit Fug und Recht als „gut-bürgerliche“ zu bezeichnende Leben ändert sich schlagartig, als sie den zwanzig Jahre jüngeren Dietmar Kracht kennen und lieben lernt. Dietmar ist Luzi in der Exzentrität seines Auftretens recht ähnlich, unterscheidet sich jedoch von ihr vor allem durch seine Vergangenheit, in der er Kontakt zu „leichten Mädchen und schweren Jungs“ hatte. Das letzere immer noch eine Rechnung mit ihm zu begleichen haben, hindert ihn nicht daran, mit Luzi in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen und sein Leben ebenfalls auf ein bürgerliche Fundament zu stellen. Doch es kommt, wie es kommen muss: Die Vergangenheit holt ihn ein und nachdem Luzi von Gaunern entführt wird, greift Dietmar zur Gewalt um sie zu befreien und seinem biografischen Ballast entgültig über Bord zu werfen.

Praunheims erster Langfilm zeichnet sich weniger durch seine „originelle“ Geschichte aus als durch deren Inszenierung. Konsequent an Originalschauplätzen gedreht und mit Laiendarstellern besetzt, dokumentiert der Regisseur das Bild der frühen 1970er Jahre zwischen grobgemusterten Erdfarben-Tapeten und einem aus allen Fugen drängenden Kleider- und Einrichtungsgeschmack. Sicherlich: Luzy und Dietmar bilden wohl selbst für diese Zeit und Gesellschaftsschicht Ausnahmefälle, aber die Tatsache, dass sie für ihre Rollen in Die Bettwurst kaum Vorgaben für Dialoge und Ausstattung bekommen haben, erzeugt eine nicht immer angenehme Authentizität. Doch genau diese Überschwänglichkeit des Spiels, die hilflosen Blicke Luzys in die Kamera und die brachiale Sprach-Grammatik Dietmars waren es wohl, die den Kult-Charakter des Films einst begründet haben.

Ob Die Bettwurst dadurch „die Qualitäten eines seriösen, wohldurchdachten Soziogramms“ (Der Spiegel) bekommt oder „eine in Deutschland überaus seltene Mischung aus künstlerischem Ideenreichtum, sozialkritischen Bewusstsein und Humor“ (FAZ) ist, erfordert nicht wenig des Gutwillens der zeitgenössischen Interpreten dieses wohl peinlich-deutschesten aller Deutschen Nachkriegsfilme. Auf jeden Fall ist Praunheims Debüt-Spielfilm aus heutiger Perspektive aber ein Guckkasten in die 1970er Jahre. Mit seiner Veröffentlichung auf DVD, dem reichhaltigen Zusatzmaterial – zu dem neben einem sechzehnminütigen Filmnachruf auf die Darstellerin Luzy Kryn auch das etwas misslungene, weil zu „stilisierte“ Sequel Berliner Bettwurst (1973) gehört – erhalten wir wieder Einblick in diesen Guckkasten. Und der verursacht auch aus der Distanz von 33 Jahren noch dasselbe spaßige und skurrile Erlebnis wie damals.

Die Bettwurst (D 1971)
Berliner Bettwurst (1973)
Regie, Kamera & Buch: Rosa von Praunheim
Schnitt: Gisela Bienert, Bernd Upnmoor, Rosa von Praunheim
Darsteller: Luzy Kryn, Dietmar Kracht u. a.
Länge: 81 Min. & 80 Min.; Verleih: absolutMEDIEN
Preis: 24,99 Euro


Zur DVD von absolutMEDIEN

Die DVD-Erstveröffentlichung von Praunheims Film weist weder Bild- noch Ton-Probleme auf, was für die gute Bearbeitung spricht, vor allem wenn man das Alter des Films und die Produktionsbedingungen berücksichtigt. Die Fortsetzung wurde jedoch – aufgrund des schlechten Ausgangsmaterials und finanziellen Aufwandes – unbearbeitet beigefügt, was für nur ausreichend gute Ton- und Bildverhältnisse verantwortlich ist, aber vom Verleiher angekündigt und entschuldigt wird. Ganz im Sinne einer filmhistorischen Archivierung fällt das übrige Zusatzmaterial aus: Neben einem 16-minütigen filmischen Nachruf auf die im Jahr 2000 verstorbene Luzy Kryn finden sich Trailer, Auszüge aus zeitgenössischen Filmkritiken (oben zitiert) und Bio- und Filmografien, sowie eine Linksammlung.

Die Daten im Einzelnen:

# Bild: DVD 9, PAL, codefree, 4:3
# Ton: N. N.
# Länge insg.: ca. 160 Minuten
# Aussattung: Kapiteleinteilung, Luzy Kryn-Special, Bio- und Filmografien, Filmkritiken, Links, Trailer.

Preis: 24,99 Euro

Stefan Höltgen

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