Taking Nerves

Es muss schon ein besonderes Verbrechen vorliegen, wenn die kanadische Polizei einen US-FBI-Agenten über die Grenze nach Montreal ruft. In diesem Fall ist ein mysteriöser Serienmord-Fall und die auf solche Fälle spezialisierte Profilerin Special Agent Illeana Scott (Angelino Jolie) soll ihren kanadischen Kollegen Duval (Jean-Hugues Anglade), Lecliare (Tchéky Karyo) und Paquette (Olivier Martinez) zur Hand gehen. Scotts Spezialität liegt in der genauen Beobachtung von Details, die augenscheinlich nichts mit dem Verbrechen zu tun haben. Die Spezialität des Serienmörders ist es, seine Opfer lange Zeit zu beobachten, viel über sie und ihr Leben zu lernen und sie dann zu töten, um eine Weile in ihrer Rolle zu leben. Dieses Vorgehen hat natürlich seine Gründe in der Kindheit des Täters. Wie Scott herausfindet, hat dieser in seiner frühen Jugend einen Zwillingsbruder verloren und ist danach immer gewalttätiger geworden. Zudem kommt der FBI-Agentin ein Zeuge zu Hilfe: Costa (Ethan Hawke) hat einen Mord beobachtet soll nun als Lockvogel eingesetzt werden. Und tatsächlich versucht der Täter auch seine Identität zu übernehmen – damit scheint er in die Fänge zu gehen. Doch es kommt ganz anders.

Ein Serienmörderfilm, der nach einem derartig konstruierten Plot entwickelt wird, kann durchaus auch seine Stärken haben: Das Gedankenspiel um den Modus operandi, das Täterprofil und die Interaktion mit der Umwelt (zumeist den Ermittlern) hat in der Vergangenheit bei Filmen wie David Finchers Seven (1995) oder Jonathan Demmes Silence of the Lambs (1991) interessante cineastische Studien über „den Mord als schöne Kunst betrachtet“ (Thomas de Quincey) ermöglicht. Damit das funktioniert, bedarf es jedoch eines ausgeklügelten Skriptes und guter darstellerischer Leistung.

An allen drei Zutaten mangelt es D. J. Carusos Taking Lives leider. Zu schnell wird ersichtlich, dass mit Costa irgend etwas nicht stimmt. Die Handlung, die zunächst wie ein Whodunnit daherkommt, entwickelt sich, nachdem sich Costa und Agentin Scott näher kommen, zu einem Suspense-Thriller, bei dem nur den Ermittlern nicht klar ist, dass die Gefahr sozusagen „direkt vor der Tür“ lauert. Damit erweist sich die Peripethie des Films, etwa fünfzehn Minuten vor Schluss dann auch als wenig überraschend und alles, was danach kommt als recht hilflose Bemühung, die Geschichte, das Gesicht der Hauptfigur Scott und vor allem das Happy End zu retten.

Regisseur D. J. Caruso, der zuvor hauptsächlich TV-Serien inszeniert hat, sein im Sujet ebenso unerfahrener Drehbuchautor Jon Bohnenkamp und vor allem Schauspielerin Angelina Jolie bilden ein recht hoffnungsloses Gespann. Jolie ist der Agenten-Rolle kaum gewachsen. Ihre anfängliche Kühle (oder besser: Coolness) wirkt selbst für die filmisch immer etwas „sagenumwobenen“ FBI-Mitarbeiter zu aufgesetzt. Leider ist in diesem überzogenen Spiel kaum die ironische Distanz auszumachen, die man in Stoffen wie z. B. Twin Peaks durchaus genießen konnte (in der Tat erinnern viele Details des Anfangs von Taking Lives an die Lynch-Serie) und die solch ein Gehabe erträglich gemacht hätte. Vielmehr spielt der Star mit seinem künstlichen Gehabe die anderen Figuren an den Rand der Bedeutungslosigkeit und füllt das Zentrum der Erzählung mit seiner eigenen Leere. Dies ändert sich nicht einmal, als Agent Scott sich durch sein „unprofessionelles Verhalten“ selbst desavouiert und – nachdem sie in einem Moment der Schwäche mit dem Serienmörder ins Bett gehopst ist – wie ein geprügelter Hund den Polizeidienst verlässt. Jolie trifft mit ihrem Spiel nun die Versagerin genauso wenig wie zuvor die Heldin.

Was von Taking Lives bliebt, ist ein im Ansatz interessanter Stoff, aus dem hätte mehr werden können. Dazu hätte es nur wenig bedurft: Ein wenig mehr Wagnis in der Darstellung der Serienmorde, ein wenig ambivalenteres Spiel von Killer und Ermittlern und ein wenig weniger Vorhersehbarkeit. So jedoch bleibt der Eindruck eines rund gelutschten, für den Massengeschmack kompatibel gemachten Gänsehaut-Filmchens, dem übrigens auch der interessante Score von Philip Glass nicht zu helfen vermag.

Taking Lives
(USA 2004)
Regie: D. J. Caruso
Buch: Jon Bohnenkamp; Musik: Philip Glass; Kamera: Amir M. Mokri; Schnitt: Anne V. Coates
Darst.: Angelina Jolie, Ethan Hawke, Kiefer Sutherland, Gena Rowlands, Olivier Martinez u.a.
Verleih: Warner; Länge: 103 Minuten

Stefan Höltgen

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