Sadismus ohne Spaß

Drei aufmüpfige Bewohnerinnen einer vermutlich südamerikanischen Militärdiktatur werden beim Fluchtversuch geschnappt und in ein Gefängnis gesteckt, wo sie vom kreativen Folterarzt Dr. Milton (Howard Vernon) einigen höchst unangenehmen „Experimenten“ unterzogen werden. Nachdem die Damen der Reihe nach „behandelt“ wurden, gelingt ihnen schließlich unter Einsatz ihrer gottgegebenen Waffen die unbekleidete Flucht in den Urwald, bevor sie schließlich doch von ihren Häschern gestellt und exekutiert werden. Ende.

eWdtwv5W17rnftI[1]So unspektakulär, wie sich das hier liest, ist der Film tatsächlich, zumindest, wenn man ihn mit herkömmlichen Kriterien bewerten will. Doch man hat es hier ja mit einem Film des spanischen Sleazemeisters Jess Franco zu tun, was eine andere Herangehensweise zumindest nahelegt, wenn nicht gar erzwingt. Die Auseinandersetzung mit Francos von Kritikern meist als „dilettantisch“ diffamiertem Werk beginnt zunächst fast immer mit der Frage nach dem „Warum“: Warum genießt Franco (bei manchen) den Stellenwert, den er genießt? Die Antwort auf diese Frage, fällt sie denn dann positiv aus, hat in ihrer Argumentationsstruktur meist Ähnlichkeit mit einer Verteidigungsrede, einem Plädoyer und läuft nicht selten auf ein „Trotzdem“ hinaus: Seine Filme gefallen eben trotz aller technischen Unzulänglichkeiten, trotz ihrer erzählerischen Schwächen, die man nach eigehender Beschäftigung gar nicht mehr als solche, sondern eben als Ausdruck eines eigenen Stils betrachtet. Und so wird auch „Women in Cellblock 9“, den Franco für Erwin C. Dietrich inszenierte, erst wirklich interessant, wenn man die Bereitschaft aufbringt, ihn „anders“ zu sehen.

Was an Francos Film zunächst auffällt, ist die äußerst knapp bemessene Laufzeit von nur 77 Minuten und die mit dieser einhergehende minimalistische Teilung des Films nicht in drei Akte, sondern in nur zwei Hälften, die sich mit den Begriffen „Haft“ und „Flucht“ überschreiben ließen. Dieser Minimalismus ist durchaus untypisch für das Women-in-Prison-Genre, das sich sonst vor allem durch kolportagehafte Akkumulation und Redundanz auszeichnet und in seinen Folterszenen einen fast barocken Detailreichtum an den Tag legt. „Women in Cellblock 9“ ist fast schon als sachlich-nüchtern zu bezeichnen, weil Franco alle Zutaten des Genres streng nach Rezeptur und ohne jeden Anflug von Kreativität verwendet: Die Protagonistinnen erfahren ebenso wenig eine Charakterisierung wie ihre Gegenspieler, die Diktatur bleibt Chiffre und die Beziehung zwischen dem sadistischen Dr. Milton und der lesbisch-nymphomanen Gefängniswärterin ist ebenfalls nur ein Klischee, das nie mit Leben gefüllt wird. In der Inszenierung der Gewaltszenen – eigentlich das Salz in der Genresuppe -versteckt sich Franco beinahe hinter der Figur des Dr. Milton. Anstatt mit der Kamera gnadenlos „draufzuhalten“, sich in Nah- und Großaufnahmen sowie in elaborierten Splattereffekten zu suhlen, gibt es Aufnahmen des erregt blickenden Arztes, in dessen weit aufgerissenen Augen sich der Zuschauer auf unangenehme Art und Weise gespiegelt sehen muss. Die moralische Anrüchigkeit eines Genres, das ganz spekulativ auf das (männliche) Bedürfnis nach Gewalt, Sex und die Verbindung der beiden ausgerichtet ist – kongenial von Franco in der zweiten Hälfte auf den Punkt gebracht, wenn die nackten Schönheiten nur mit einem Maschinengewehr „bekleidet“ durchs Unterholz rennen – und sich immer haarscharf an der Grenze zur Pornografie bewegt, wird bei Franco geradezu bloßgestellt. Anders lässt sich auch die aus dramaturgischer Sicht haarsträubend unglaubwürdige Szene, in der die eben noch fast zu Tode gefolterten nackten Frauen durch ein vorgetäuschtes lesbisches Liebesspiel die Aufmerksamkeit eines Wächters auf sich ziehen, diesem Sex anbieten und ihn so schließlich überwältigen und fliehen können, kaum interpretieren: In seiner Geilheit ist der Mann blind. Aber von dieser Behinderung dürfte auch Franco nicht unerheblich profitiert haben, denn die Verfehlungen dieses Films sind schon enorm. Das beginnt bei den hölzern agierenden Aktricen, die diesem Schmuddelfilm einen paradoxerweise geradezu sterilen Charme verleihen, setzt sich bei den hanebüchenen Dialogen fort – als eine der Frauen auf der Flucht angeschossen wird und sie sich daraufhin weigert, durch einen Tümpel zu schwimmen, entgegnet ihr eine ihrer Freundinnen, dass das sie Wasser bestimmt „erfrischen“ wird – und endet bei technischen Unzulänglichkeiten wie plötzlichen Unschärfen und der Verwendung von Archivmaterial, das nur sehr bedingt zum Rest des Films passt.

Nicht wenige dieser Pannen – wie auch das Fehlen wirklich überzeugender Effekte – sind sicherlich auch auf den engen budgetären Rahmen des Films zurückzuführen, der nur wenig Raum für große Sprünge ließ. Entscheidend ist, was Franco aus den ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen gemact hat. „Women in Cellblock 9“ ist kein besonders aufregender und schon gar kein wirklich guter Film. Die Frage ist jedoch, ob Franco einen solchen überhaupt drehen wollte. In seinem Abstraktionsgrad scheint „Women in Cellblock 9“ jedenfalls weniger ein nach den Regeln des WIP-Films geformter Exploiter mit Unterhaltungsanspruch als vielmehr stilistische Überspitzung und essayistischer Kommentar zu diesem durch und durch skandalösen Genre. Und als solcher ist er durchaus gelungen.

Women in Cellblock 9
(Frauen für Zellenblock 9, Schweiz 1977)
Regie: Jess Franco; Drehbuch: Jess Franco; Musik: Walter Baumgartner; Kamera: Ruedi Küttel
Darsteller: Karine Gambier, Howard Vernon, Susan Hemingway, Aida Gouveia, Esther Studer
Länge: 77 Minuten
Verleih: Ascot Elite

Zur DVD von Ascot Elite

Im Rahmen der „Official Jess Franco Collection“ erscheint „Women in Cellblock 9“ als „Dreictor’s Cut“, was jedoch nichts anderes bedeutet, als dass der Film ungeschnitten veröffentlicht wird. Bild- und Tonqualität sind ordentlich, lobenswert ist das Vorhandensein von drei verschiedenen Tonspuren,dem jedoch das Fehlen jeglicher Untertitel gegenübersteht. Was soll das? Bekritteln muss man außerdem die willkürlich erscheinende Ausstattung: Neben Texttafeln zu Cast & Crew, von denen man sich zu Beginn des mittlerweile zweiten DVD-Jahrzehnts doch endgültig mal verabschieden könnte, finden sich eine sehr willkürlich platzierte Dokumentation zu Francos „Jack the Ripper“ sowie diverse Foto- und Postergalerien. Letztere muss man zusammen mit der extensiven Trailershow eindeutig unter „Werbung“ abheften, finden sich dort doch nicht etwa verschiedene internationale Postermotive zu Francos WIP-Film, sondern wahllose Bildchen zu verschiedenen Erotikfilmen aus dem Hause Dietrich, die man zum Teil – welch ein Zufall – bei Interesse ebenfalls bei Ascot erwerben kann.

Bild: 1,78:1 (anamorph/16:9)
Ton: Deutsch, Englisch, Französisch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Untertitel: Keine
Extras: Dokumentation „Jack the Ripper“, Texttafeln, Foto- und Postergalerie, Trailer
Freigabe: FSK 18

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