Blaubeeren und Braunbären

Die filmische Adaption von Comics ist auch eine recht „dankbare“ Form der Übertragung des einen Mediums in ein anderes, weil der Sprung vom Comic-Bild zum Film nicht so groß zu sein scheint, wie von der Schrift. Heikel wird es allerdings, wenn die vorliegenden Comics das Grafische vor dem Narrativen betonen. Denn entgegen den „leicht übertragbaren“ Superhelden-Strips kann die Adaption eines Comics von Jean Giraud (alias Moebius) als solche ordentlich missraten, wenn versucht wird, die Bildsprache in Film zu übersetzen. Dies zeigt jüngst Jan Kounens Blueberry.


Erzählt wird die Geschichte des Cowboys Marshall Mike Blueberry, der als Jugendlicher vor dem Killer Wally Blount flieht und Unterschlupf bei Indianern findet. Dort erhält er Zugang zu ihrer naturverbundenen, spirituellen Lebensweise. Als er Jahre später in seine eigene Gesellschaft zurückkehrt, stößt er unvermutet abermals auf Blount. Blount ist auf der Suche nach einer Karte namens „El Rio“, die zu einem Goldschatz der Indianer führen soll. Dieser ist in den Heiligen Bergen verborgen, und jeder, der sich den Bergen nähert, wird von den Indianern skalpiert und ermordet. Blounts Kumpane Baron Werner Amadeus von Luckner (genannt: Prosit) will sich Zugang zum Schatz verschaffen, indem er die Weißen glauben macht, die Indianer würden grundlose Morde verüben. Blueberry versucht, dies zu widerlegen, und macht sich auf zu seinen ehemaligen Stammesbrüdern. Währenddessen schaffen es Blount und Prosit, Zugang zum „Schatz“ der Indianer zu bekommen. In der Schatzhöhle trifft schließlich Blueberry auf seinen alten Widersacher und es kommt zum Finale.

Die Story von Blueberry könnte verworrener kaum sein, denn zur Rache- und Schatzsuch-Geschichte gesellen sich Erzählseitenstränge aus Blueberrys Vergangenheit, Liebesgeschichten und vor allem Erlebnisse mit den Indianern. Und so verliert der Zuschauer recht bald den Überblick über das „Wer mit bzw. gegen wen und warum“. Die mangelhafte Glaubwürdigkeit der Figurenentwicklung, die damit einhergeht, versucht der Film mit seiner Optik zu kaschieren. Unendliche lange, hypnotische Kamerafahrten durch Wüstenlandschaften, an schroffen Bergen vorbei und über Seen hinweg wechseln sich mit etwas ab, was den Film eigentlich als Moebius-Stoff auszeichnen soll: Blueberry verwendet nämlich einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Zeit damit, dem Zuschauer die Geisterwelt der Indianer, sichtbar gemacht durch den Genuss des Peyote-Kaktus, vor Augen zu führen.

Hierbei wird exzessiv auf CGI zurückgegriffen, was bereits nach den ersten Szenen ungute Assoziationen zu Filmen wie Der Rasenmähermann (1992) wachruft. Denn auch bei Blueberry kann man sich des Eindrucks nicht erwähren, hier haben die Designer alle Register der Rechentechnik gezogen, weil sie es konnten – und nicht etwa, weil es der Story oder sonst etwas dienlich gewesen wäre. Was eingangs eine noch einigermaßen skurrile Idee, die Geister und Dämonen der menschlichen Seele zu visualisieren, zu sein scheint, entpuppt sich spätestens im Showdown als albern, wenn etwa übergewichtige Krokodile um die Köpfe der Helden schwirren und Stürze hinab in die indianische Seele gezeigt werden, die man weniger manieriert bereits im Sturz in den Monolithen aus Kubricks 2001 mit ansehen durfte.

Blueberry hängt sich an die Erzähltradition des Westerngenres an und zeigt dem Zuschauer einmal mehr, dass sich aus diesen Sujets eigentlich kein interessanter Stoff mehr herausdestillieren lässt. Der Western ist tot und damit die wohl uninteressanteste Grundlage für eine mystische Erzählung überhaupt, wenn man nicht gerade mit dem literarischen und philosophischen Codierungsverfahren eines Jim Jarmusch (Dead Man) ausgestattet ist. Blueberry ist leider jenseits einer Deutung als Drogenerfahrung kaum zu ertragen. Intellektuelle Mängel der Erzählung, unendliche Längen zeichnen den Film aus. Hinzu kommen leider nur „bemühte“ schauspielerische Leistungen, wie die von Juliette Lewis, die hier recht schnell an die Grenzen ihres Könnens stößt, das sie als White Trash-Queen in Filmen wie Natural Born Killers (1994) oder Kalifornia (1993) jja durchaus unter Beweis gestellt hat. Allein die wenigen Szenen, in denen es ein Wiedersehen mit Ernest Borgnine gibt, entschädigen für dieses ansonsten sedierende Filmerlebnis.

Blueberry
(F/Mex/GB 2004)
Regie: Jan Kounen
Buch: Matt Alexander, Gérard Brach, Jan Kounen nach einem Comic von Moebius; Kamera: Tetsuo Nagata; Musik: Jean-Jacques Hertz, François Roy
Darst.: Vincent Cassel, Juliette Lewis, Michael Madsen, Temuera Morrison, Ernest Borgnine u. a.
Verleih: Tobis, Länge: 122 Minuten

Stefan Höltgen

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