… 9, 10, never sleep again?

„Don’t see it alone“ mahnt die Unterzeile auf den US-Kinoplakaten an, und die Filmdatenbank imdb.com trägt Forumsdiskussionen zur Schau, in denen Menschen offenbaren, nach dem Genuss des Films nicht mehr geschlafen zu haben. Videoaufnahmen einiger Testscreenings zeigen Zuschauer, die sich ihre Pullover über die Augen ziehen, sich an ihren Nebenmann klammern, zögerlich durch vorgehaltene Hände schielen und regelmäßig kreischend aufschrecken.

paranormal-activityDie Rede ist von „Paranormal Activity“, dem Erstlingswerk des Regisseurs Oren Peli. Der Film wurde bereits 2006 gedreht, und erlangte dann durch den überragenden Erfolg der Vorführung bei dem Los Angeles Screamfest sowie dem Slamdance Festival nicht nur die Aufmerksamkeit der Produzenten Steven Schneiderund Jason Blum, sondern wurde auch dem Produktionsleiter von Paramount Pictures empfohlen. Der Film wurde ursprünglich nur in vereinzelten Kinos gezeigt, doch bald wurden Rufe nach einer landesweiten Veröffentlichung laut, weswegen „Paranormal Activity“ nun zum Glück der breiten Masse zugänglich ist.

Das junge Paar Katie und Micah wird zunehmend von nächtlichen Vorfällen gestört, die sich auf Katie konzentrieren. Um der Sache auf den Grund zu gehen, besorgt Micah eine Videokamera, die er jede Nacht auf ein Stativ vor ihrem gemeinsamen Bett platziert. Nun nimmt diese jede Nacht die Ereignisse auf, die sich abspielen: Schritte im Flur, umfallende Gegenstände, Kratzen, Türen, die sich „wie von Geisterhand“ öffnen und schließen.
Ein Geistheiler wird gerufen, der das Wesen als Dämon erkennt und jegliche Hilfe verweigert. Da der Dämon Katie bereits als Kind folgte und auch für einen Brand in ihrem Elternhaus verantwortlich zu sein scheint, sei eine Flucht nicht möglich. Er verweist sie auf einen Dämonologen und ergreift die Flucht.

Micah wird zunehmend ungehalten und beschimpft das Wesen, fragt es, ob es nicht noch mehr ‚drauf‘ habe und besorgt schließlich sogar entgegen aller Warnungen ein Ouija-Brett. Seine Weigerung, sich auf die Horrorkonventionen einzulassen, kommt dem Pärchen teuer zu stehen. Micah wurde davor gewarnt, den Dämon anzusprechen, ihn zu verhöhnen, ihn nicht ernst zu nehmen. Doch stattdessen benimmt er sich wie der typische Protagonist eines Horrorfilms. Er klopft Sprüche, zeigt sich als unerschrockener Jäger und ist fest davon überzeugt, seine Freundin beschützen zu können. Das ‚Schöne‘ ist, dass diese klischiert-maskuline Verhaltensweise, die in anderen Filmen des Genres dem unerschrockenen Helden im Kampf gegen das Böse wie ein Werkzeug dient, völlig nach hinten losgeht.

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Bevor auch nur an einen Exorzismus gedacht werden kann, verschärft sich nämlich die Situation. Der Dämonologe ist verreist, der Geistheiler weigert sich, das Haus noch einmal zu betreten, und der Dämon ist mittlerweile durch Micahs ständige Herausforderung auch am Tage zu Gewalt bereit. Katies Verhalten wird immer beunruhigender, man sieht sie nachts regungslos vor dem Bett stehen und dem Counter der Kamera zufolge mehrere Stunden Micah anzustarren, um dann über den Hausflur das Haus zu verlassen und von Micah fast katatonisch auf der Terrasse vorgefunden zu werden. Der Dämon übernimmt demnach langsam aber sicher die Kontrolle über sein Opfer. Als sie eines Nachts von dem Dämon aus dem Bett und in ein anderes Zimmer gezerrt wird, liegen die Publikumsnerven blank, und das Dénouement des Films geht noch einmal mehr unter die Haut (und wird an dieser Stelle einfach nicht verraten).

Es ist erfrischend einen Film zu sehen, der gewissenhaft mit den Horrorkonventionen umgeht (der Dämon konzentriert sich auf die Frau, bei Kontaktaufnahme und Spott verschlimmert sich die Situation, Übergriffe erfolgen hauptsächlich nachts…) und dennoch nicht vorhersehbar oder langatmig wird. Die Handheld-Perspektive, aufgrund derer jeder Film mit „The Blair Witch Project“ verglichen wird, sowie die Nachtsichtaufnahmen sind fast ein Garant für erfolgreiche Schreckeffekte. Obgleich derartige Vergleiche zulässig sind, beziehen sie sich lediglich auf die Ästhetik des Films. Beide Filme gehören dem Horrorgenre an, doch die Mittel der Angsterzeugung sind keinesfalls identisch. Während „Blair Witch“ mit viel mehr Bewegung der Kamera als vor ihr arbeitet, geschehen die erschreckendsten Szenen bei „Paranormal Activity“ entweder direkt im Off – um die Fantasie des Zuschauers anzuregen – oder vor stillstehender Kamera.

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„Paranormal Activity“ wirkt nachhaltig. Man gruselt sich im Kino, doch der wahre Erfolg dieses Films offenbart sich in der gespeicherten Information, die das Gehirn im unpassendsten Moment (also wenn man ins Bett geht und das Licht ausschaltet, oder wenn man um 3 Uhr nachts aufwacht und eigentlich zur Toilette müsste) abruft. Selbstverständlich weiß man als aufgeklärter Mensch und erfahrener Horror-Fan, wie so ein Film funktioniert. Nachdem man „Paranormal Activity“ gesehen hat, achtet man verstärkt auf jedes Geräusch in der eigenen Wohnung, sobald das Licht aus ist. Man versteckt seine Füße unter der Bettdecke, die man am besten noch festklemmt, damit weder die Katze noch ein Dämon direkten Zugriff haben. Das Knacksen und Knirschen des Hauses, das jeden Tag vorhanden ist, ist jetzt mindestens dreimal so laut und auf einmal bedrohlich. Während man sich fürchtet, erinnert man sich an diese Bücher über Horrorfilme, die man gelesen hat, gräbt sämtliches Wissen über die Wirkungsweise solcher Produktionen hervor … und fürchtet sich weiter.

Paranormal Activity
(USA 2007)
Regie, Buch & Schnitt: Oren Peli; Casting: Rikki Maslar
Darsteller: Katie Featherston, Micah Sloat, Mark Fredrichs, Ashley Palmer, Amber Armstrong
Länge: 86 Minuten
Verleih: Wild Bunch/Central Film

Autorin: Jana Toppe

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