Die offenen Adern der Nordamerikaner

Der Kalender der Azteken war in Zyklen von 52 Jahren unterteilt. Im 12. Jahr sollte ihr Gott des Windes, des Himmels, des Krieges – Schöpfergott Quetzalcoatl von Osten zurückkehren und das goldene Zeitalter einläuten. Zufällig war dieses 12. Jahr nach dem damals noch gültigen julianischen Kalender das Jahr 1519 und aus dem Osten kam nicht Quetzalcoatl, sondern Hernan Cortez, der vom damaligen König der Azteken, Moctezuma II für den angekommenen Gott gehalten wurde, weshalb sein Volk ihm widerstandslos das Land übereignete.

In Larry Cohens Q kehrt nun endlich der echte Quetzalcoatl zurück. Doch er verfehlt seine ehemalige Heimstadt, die nun Mexiko heißt, um ein paar Breitengrade und landet im New York der 1980er Jahre. Für seinen Nistplatz wählt der das Crysler Building, dessen stufig-spitz zulaufende Kuppel ihn vielleicht an die aztekischen Pyramiden in Teotihuacán erinnert. Blutopfer gewohnt zieht er über dem New Yorker Himmel seine Runden und pflückt sich Menschen von Baugerüsten und Hochhausdächern. Bei jedem Raubzug regnet es Blut auf die Straßen und Passanten. Gleichzeigig versucht am Boden der Ex-Junkie und Kleinkriminelle Jimmy Quinn ein normales Leben zu führen. Doch immer wieder gerät er in die falschen Kreise und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Schließlich entdeckt er auf der Flucht vor der Polizei das Nest Quetzalcoatls. Dies nutzt er nicht nur, um sich seiner brutalen Gangster-Kollegen zu entledigen, sondern schlägt der Polizei, die auf der Suche nach dem „Monstervogel“ nicht weiterkommt, einen Deal vor: Viel Geld, eine Generalamnestie und die Exklusivrechte für die mediale Ausbeutung des Monsters. Die Polizei lässt sich notgedrungen auf den Handel ein.

Dass die Gründungsmythen der Amerikaner im Kino vor allem von der gewaltsamen Eroberung der Zivilisierten über die „Wilderness“ erzählen, wird nirgends so deutlich wie im Western. Eine kritische Wende nahm diese Motivgeschichte ab den 1960er Jahren (im sog. Spätwestern). Nun wurde die Grausamkeit der Weißen gegenüber den amerikanischen Ureinwohnern thematisiert. Interessant ist, dass die Eroberungsmythen Mittel- und Südamerikas so gut wie nie Thema der US-Filmindustrie wurden. Gerade in der genozidartigen Brutalität standen die Raub- und Plünderzüge von Eroberern wie Hernan Cortez (Mittelamerika) oder Francisco Pizzaro (Südamerika) dem westwärts strebenden Zivilisierungsdrang nordamerikanischer Eroberer und Siedler in nichts nach.

Larry Cohen besinnt sich in seinem B-Horrorfilm nun der aztekischen Mythologie und dreht den Spieß – im Sinne des Spätwesterns – um: Die Eroberten rächen sich posthum und symbolisch an ihren Eroberern. Sicherlich ist in einem Monsterfilm wie Q die fliegende Bedrohung nicht nur als Allegorie zu verstehen. Doch scheinen einige Details des Films auch eine solche Lesart zu favorisieren: Zeitgleich zu den Attacken aus der Luft bereitet auf dem Boden ein aztekischer Priester durch blutige Opferrituale die entgültige Ankunft seines Gottes vor – während Protagonist Jimmy sich schließlich vom Bösen zum guten entwickelt – analog zum aztekischen Mythos als Reinkarnation des Priestergottes der Tolteken, der ebenfalls unter dem Namen Quetzalcoatl in Tula herrschte und die blutigen Menschenopfer abgeschafft haben soll und stattdessen Blumen- und Tieropfer dargebracht hat. Der verzweifelte Ausstieg aus dem Gangstermilieu, den Jimmy während des gesamten Films versucht und der ihm nach der finalen Konfrontation mit dem Opfer-Priester gelingt, resümmiert und kreitzt beide aztekischen Mythen in filmdramaturgisch moderner Manier.

Für einen Film dieses Subgenres ist die Verknüfung der drei Erzählfäden exzellent gelungen. Cohen versteht es nicht nur, seinen Protagonisten Dramatik und Authentizität einzuhauchen, sondern verfügt auch über das rechte Maß, mit dem Handlungs-/Dialog-Sequenzen mit Ausschnitten aus der „Monstershow“ zu würzen sind. So bekommt der Zuscher den fliegenden Aztzekengott nur selten zu Gesicht und verfolgt dessen horribles Treiben eher in der Arbeit der Polizei und den Bestrebungen Jimmys. Auf diese Weise gelingt Cohen das, was knapp 50 Jahre zuvor mit King Kong bereits in erreicht wurde: dem kulturell Anderen, das sich als übergroßes Monster an den (im Wortsinne) „Auswüchsen“ der Zivilisation zu schaffen macht, seine allegorischen Implikationen zuzugestehen und es nicht einfach auf ein „Monster“ zu reduzieren (wie es bei Q übrigens der deutsche Verleihtitel „American Monster“ versucht). Auf King Kong scheint sich ironisch dann auch die Schlusssequenz von Q zu beziehen: Von der Kuppel des Crysler Buildings aus schießen die Polizisten auf den darum kreisenden Gott-Vogel – der – in der Symbolik King Kongs gedacht – seine moderne Aztekenpyramide gegen die kulturellen Eindringlinge verteidigt.

American Monster
(Q, USA 1982)
Regie und Buch: Larry Cohen
Musik: Robert O. Ragland; Kamera: Fred Murphy; Schnitt: Armond Lebowitz
Darsteller: Michael Moriarty, Candy Clark, David Carradine, Richard Roundtree, James Dixon u.a.
Verleih: Koch Media
Länge: 93 Minuten (uncut)

Stefan Höltgen

Diesen Film bei Amazon kaufen.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.