Weder Rocky noch „Rocky“

Ein Verlierer mit großer Klappe und dem Traum vom Aufstieg gespielt von Sylvester Stallone, heruntergekommene Straßenzüge, qualmende Gullis, ein Milieu halbseidener, aber meist gutmütiger Glücksjäger, mies bezahlte Drecksjobs, kräftige Männer im Ring, die um Ruhm und Ehre kämpfen, und ein Farbspektrum, das alle Schattierungen von „Schmutziggrau“ abdeckt: Nein, die Rede ist hier nicht von „Rocky“, Stallones Welterfolg und einem der prägenden Filmklassiker der Siebzigerjahre, jenem Film, der die Geschichte des einen großen Moments eines kleinen großen Mannes erzählt, sondern von „Vorhof zum Paradies“, einem der vielen Flops, die Stallones Karriere säumen, und seiner ersten Regiearbeit. Ironischerweise wird gerade die Tatsache, dass die Parallelen zwischen den beiden Filmen so unübersehbar sind, zum Stolperstein für „Vorhof zum Paradies“, der nie den richtigen Ton, nie seinen Rhythmus findet und einen letztlich entfremdeten Zuschauer zurücklässt.

Brooklyn 1946: Cosmo Carboni (Sylvester Stallone), ein erfolgloses, aber liebenswertes Großmaul, lebt zusammen mit seinen beiden Brüdern, dem gehbehinderten Kriegsveteranen Lenny (Armand Assante) und dem treudoofen Koloss Victor (Lee Canalito), am Rande des Existenzminimums. Doch er hat einen Plan, wie es nach oben gehen soll: Im „Paradise Alley“, in dem regelmäßig Ringkämpfe veranstaltet werden, soll Victor eine große Karriere als Ringer starten. Lenny ist zuerst strikt dagegen, den kleinen Bruder rücksichtslos zu verheizen, doch gelockt vom Geld treibt er diesen bald unerbittlich an …

Schon in der ersten Szene offenbaren sich die Schwächen des Films, die sich bis zu dessen Finale ziehen: Über den Dächern von Brooklyn tritt Cosmo zu einem Rennen an, bei dem er mehrere Häuserschluchten überspringen muss, um bei einem Sieg am Ende mit einer lausigen Dollarnote belohnt zu werden. Als Cosmos Kontrahent kurz vor dem Ziel abstürzt, tritt die ganze Tragik eines Lebens in bitterer Armut hervor, dessen wenigen Glücksmomente sich neben dem allgegenwärtigen Leid geradezu lächerlich ausnehmen, doch dann erfolgt der Schnitt und zeigt, dass sich der Unglückliche gerade noch an einer zwischen den Häusern gespannten Wäscheleine festhalten und vor dem sicheren Tod retten konnte. Nicht nur, dass diese wundersame Rettung, so wie sie inszeniert ist, höchst unglaubwürdig, wenn nicht gar vollkommen unrealistisch ist: Das unmittelbare Nebeneinander von real erscheinender sozialer Tristesse und eines haarsträubenden, an Cartoons erinnernden Humors wirkt mehr als einmal befremdlich, macht es dem Zuschauer nahezu unmöglich, eine emotionale Bindung zum Gezeigten einzugehen. In einer weiteren, ganz ähnlichen Szene kündigt der ausgebrannte, alternde Ringer Big Glory (Frank McCrae) nach einer mit Cosmo durchzechten Nacht unvermittelt seinen Selbstmord an – man solle sein Leben beenden, wenn es am schönsten ist – und springt in den Hudson River. Die nächste Einstellung zeigt jedoch, dass Big Glory statt im Fluss auf einem kleinen Boot gelandet ist, und löst die zunächst so dramatische Situation mit einem Witz auf, bis dann schließlich doch noch der tödliche Sprung in den eisigen Fluss folgt. Stallone zielte in diesen Szenen wahrscheinlich auf einen Efekt Camus’scher Absurdität ab, doch man kommt als Betrachter kaum umhin, sich von dieser fragwürdigen Strategie benutzt und hintergangen zu fühlen. Diese seltsame Unausgeglichenheit und Holprigkeit setzt sich auch auf der Ebene der Figuren fort: Da macht die Liebesbeziehung zwischen Lenny und seiner Ex Annie (Anne Archer) innerhalb von 30 Minuten gleich zwei 180-Grad-Wendungen durch, verwandelt der Bruder sich binnen weniger Szenen vom mitfühlenden Humanisten in einen zynischen Geldgeier, ohne dass dies plausibel gemacht würde, während Cosmo, der seinen gutgläubigen Bruder immer wieder für seine Zwecke eingespannt hatte, kaum weniger unvermittelt sein Gewissen entdeckt. Am Ende scheinen diese Entwicklungen allesamt wieder egal zu sein, wenn sich die Brüder – nach einem Erfolg Victors um 9.000 Dollar reicher – in die Arme schließen dürfen, als sei nie etwas gewesen.

„Vorhof zum Paradies“ ist ein reichlich missglückter Film, der deutlich macht, dass Stallone vor allem ein emotionaler und weniger ein intellektueller Filmemacher ist: Er scheitert hier schlicht und einfach an der komplexen Mischung aus Period Piece, Tragikkomödie, melancholisch verklärtem Rückblick, Familien- und Sozialdrama, für die er niemals den richtigen Ton findet, die ihm immer wieder entgleitet. Seine Regie mutet plump an, wo sie eigentlich sensibel sein müsste, er inszeniert mit großem Pathos und ausschweifenden Pinselstrichen, wo es Detailgenauigkeit und Zurückhaltung bedurft hätte. Dass er seinen Cosmo immer wieder proklamieren lässt, wie sensibel er sei, mutet vor diesem Hintergrund beinahe wie der Versuch einer vorauseilenden Entschuldigung für die Verfehlungen seines Films an, der über ein paar gute Szenen leider nicht hinauskommt und dessen schöne Fotografie letztlich verschenkt ist. Was aber wirklich verwundert, ist, dass es Stallone auch nicht gelungen ist, seine Plotline klarer herauszuarbeiten, denn dass er sich auf die Geschichten der Verlierertypen mit großem Herz versteht, hat er ja mehr als einmal bewiesen. „Vorhof zum Paradies“ fehlt das Zentrum, er verliert sich auf zu vielen Nebenkriegsschauplätzen und kann letztlich auf keinem einen Sieg verzeichnen. Wie ich es oben schon sagte: Cosmo ist eben kein Rocky. Und „Vorhof zum Paradies“ demzufolge auch kein „Rocky“.  

Vorhof zum Paradies
(Paradise Alley, USA 1978)
Regie: Sylvester Stallone; Drehbuch: Sylvester Stallone; Musik: Bill Conti; Kamera: László Kovács; Schnitt: Eve Newman
Darsteller: Sylvester Stallone, Armand Assante, Lee Canalito, Anne Archer, Frank McCrae, Kevin Conway, Joe Spinell, Tom Waits
Länge: 102 Minuten
Verleih: EuroVideo

Zur DVD von EuroVideo

EuroVideo präsentiert den in Deutschland auf Video zuvor ab 18 freigegebenen und dennoch gekürzten Film nun erstmals ungekürzt und mit einer Freigabe ab 16 heraus. Die Bildqualität ist akzeptabel, in dunklen Szenen macht sich aber leider ein unschönes Rauschen bemerkbar. Auf der Tonspur findet sich neben der deutschen Synchronfassung der ungekürzten Kinoversion des Films auch die um neu vertonte Passagen ergänzte Synchronfassung der geschnittenen Videofassung sowie natürlich die englische Version, die jedoch leicht matschig klingt.

Bild: 1,85:1 (anamorph/16:9)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0 Stereo)
Untertitel: Deutsch
Extras: Trailer
Freigabe: Ab 16
Preis: 11,95 Euro

Diese DVD bei Amazon kaufen

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.