Peak of the Geek

Der Zuhälter Smooth Walker (Howard Hesseman) hat ein Problem: Er steht bei „Mom“ (Kate Murtagh), dem weiblichen Chef des Chicagoer Rotlichtmilieus, mit einem stattlichen Geldbetrag in der Kreide. Weil er sich nicht anders zu helfen weiß, erfindet er (in einer Szene, die an die Auflösung des über zehn Jahre später entstandenen „Die üblichen Verdächtigen“ erinnert) kurzerhand einen Konkurrenten namens „Doctor Detroit“, einen Gangsterboss, der ihm das Geld abgenommen habe. „Mom“ ist fürs Erste zufrieden mit dieser Erklärung, doch nun steht Smooth vor der Aufgabe, eben jenen mysteriösen Doctor Detroit aus dem Hut zu zaubern. Da läuft ihm der gutgläubige Clifford Skridlow (Dan Aykroyd) über den Weg …

Clifford Skridlows Wesen entäußert sich schon in seinem Namen: Der Professor für Literaturwissenschaften trägt mit Vorliebe hässliche karierte Jacketts, wohnt noch bei seinen Eltern, interessiert sich für indisches Kino und die Vorzüge der indischen Küche, frönt dem „Power Walking“, mit dem er sich unwissend zum Gespött seiner Umwelt macht, und schwärmt für das moralische Konzept der Ritterlichkeit, wohl auch, weil es denkbar weit von seinem eigenen langweiligen Leben entfernt ist. Er ist ein Geek, ein Nerd, und gehört damit einem Typus an, der die Randbezirke des Hollywoodkinos zwar schon seit Schwarzweißzeiten bevölkert (man denke etwa an Cary Grant in Howard Hawks’ „Liebling, ich werde jünger“, an Jerry Lewis’ Filmpersona oder auch an Ryan O’Neal in Peter Bogdanovichs „Is’ was, Doc?“), jedoch seit den Achtzigerjahren und der Ankunft der Postmoderne im filmischen Mainstream immer mehr von diesem Rand ins Zentrum des Interesses rückt. Der Konflikt, der anhand der Figur des Nerds ausgetragen wird, ist jener von einem im Ungleichgewicht befindlichen Verhältnis von Geist und Körper: Der Nerd ist ein Schwächling, dessen Körper unter der Last des übervollen Kopfes zusammenzubrechen droht, dann aber im Rahmen einer großen Aufgabe über sich hinauswächst und nicht nur zum „kompletten“ Menschen, sondern sogar zum Helden reift. Das, was ihn vorher noch zum belächelten Außenseiter stempelte – der mit als „unnütz“ abgetanem Wissen gefüllte Kopf –, wird zu einem positiven Merkmal, wenn die physischen Defizite erst einmal eingeebnet wurden: Seine Spinnereien sind plötzlich Ergebnis einer nie versiegenden Kreativität, sein vermeintlich unnützes Wissen wird plötzlich überaus nützlich, seine Individualität, die ihm vorher den Status eines Sonderlings bescherte, macht ihn auf einmal zum Leader.

So nimmt Clifford – erst nur bezirzt, dann schließlich verführt von den leichten Mädchen Smooths, die den unbeholfenen Nerd niedlich finden – die Rolle des Doctor Detroit an, weil es seinen moralischen Überzeugungen entspricht. Statt den gelangweilten Studenten nur von der Ritterlichkeit zu erzählen, bietet sich ihm nun die Gelegenheit, seine Überzeugungen zu leben. In einer abstrusen, knallbunten Kostümierung mit an eine Ritterrüstung erinnernder Stahlhand tritt er als Doctor Detroit auf – eine vermutlich von Cliffords nerdigem Comic-Konsum inspirierte Mischung aus Superschurke und exzentrischem Popstar –, rettet so nicht nur die Mädchen und Smooth, sondern besiegt gleichzeitig „Mom“, wird zur Chicagoer Untergrundlegende und emanzipiert sich schließlich sogar von seinen Eltern, die ihn trotz seiner beruflichen Erfolge nie ganz ernst genommen hatten.

Das Ressentiment gegenüber dem als weltfremd und lebensunfähig gezeichneten Intellektuellen, das in der filmischen Figur des Nerds zum Ausdruck kommt, ist untrennbar mit der „Botschaft“ dieser Filme verbunden, die letztlich genau jener herablassenden Haltung verpflichtet sind, mit der sie ihren Helden kollidieren lassen. Im Kern erzählt „Doctor Detroit“ natürlich wieder einmal vom amerikanischen Traum: Jeder kann es zu etwas bringen, so lange er nur etwas Kreativität, Mut und Entschlossenheit aufbringt und weiß, wie man diese in geordnete Bahnen lenkt. Man muss nicht erst an Bill Gates oder Steve Jobs denken, um das schlummernde Potenzial des Nerds zu erkennen. Doch um dieses Potenzial zu heben, muss er sein Nerdtum erst funktionalisieren und instrumentalisieren. Clifford Skridlow spielt zwar ein anderes Spiel, aber dennoch unterscheidet er sich letztlich nicht vom herkömmlichen Player: Wie er versucht Termine zu halten, unterschiedlichste Interessengruppen zufriedenzustellen und dafür in immer andere Kostüme und Rollen schlüpft, erinnert unweigerlich an die Geschäftsmänner und Börsenmakler, die in den Achtzigerjahren zu Helden avancierten – obwohl sie doch, ebenfalls reichlich nerdig, mit Computer und Rechenschieber verheiratet zu sein schienen. Diese Ausrichtung sorgt dafür, dass „Doctor Detroit“ über harmlose, stromlinienförmige und nur oberflächlich hysterische Unterhaltung nie hinauskommt. Verheißt die Tagline „He’s making the world safe for insanity“ noch einen gewissen Anarchismus, eine Ausweitung festgefahrener gesellschaftlicher Normen und eine Akzeptanz alternativer Lebensentwürfe, so entpuppt sich Michael Pressmans Film doch stets einer gesellschaftsteleologischen Sicht verhaftet: Das Andere ist nur so lange gut, wie es dem Gesamten hilft. So bleibt unterm Strich eine etwas zahnlose Komödie, die keineswegs Anti-, sondern durchaus Pro-Establishment ist und heute einzig aufgrund ihres Zeitkolorits sehenswert ist. Beide Aussagen spiegeln sich im Gastauftritts James Browns wider, der – damit den Geist von „Doctor Detroit“ perfekt zusammenfassend – als „hardest working man in showbusiness“ bezeichnet wird. Inspiration ohne Arbeit, das ist eben nicht nur nicht denkbar, sondern irgendwie sogar ganz schön pfui.

Doctor Detroit
(Doctor Detroit, USA 1983)
Regie: Michael Pressman; Drehbuch: Carl Gottlieb, Robert Boris, Bruce Jay Friedman; Musik: Lalo Schifrin; Kamera: King Baggot; Schnitt: Christopher Greenbury
Darsteller: Dan Aykroyd, Howard Hesseman, Fran Drescher, T. K. Carter, Kate Murtagh
Länge: ca. 85 Minuten
Verleih: EuroVideo

Zur DVD von EuroVideo

EuroVideo präsentiert „Doctor Detroit“ in ausgezeichneter Bild- und Tonqualität, aber ohne Extras außer einer Bildergalerie.

Bild: 1,85:1 (anamorph/16:9)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0 Stereo)
Untertitel: Deutsch, Englisch
Extras: Bildergalerie
FSK: Ab 16
Preis: 11,45 Euro

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