Me evil – You good?

Als 1992 der belgische Film „Mann beißt Hund“ in die Kinos kam, schien es so, dass der authentisierte Serienmörderfilm damit seinen Höhepunkt erreicht hatte. Getarnt als Dokumentarfilm über einen Berufskiller, der den Filmemachern Einblick in seine Arbeit verschaffen will, reizte „Mann beißt Hund“ alle Simulationsästhetiken voll aus. Die schwarz-weißen Bilder, die scheinbare Zufälligkeit und Inkohärenz der Szenen, die mise-en-abyme, mit der Kamera, Filmteam und selbst Filmfehler immer wieder mitinszeniert wurden, vermittelten den Eindruck absoluten Dokumentarismus. „Mann beißt Hund“ war als hyperrealistischer Serienmörderfilm gleichzeitig eine Kritik an den Medien, die solche Stoffe auf immer reißerische und realistischere Weise inszenierten und sich damit selbst „schuldig“ machten.

Doch in einigen Details war der Realitätseindruck in „Mann beißt Hund“ längst noch nicht konsequent auf die Spitze getrieben. Denn gerade die Tatsache, dass sich im Film jeden moralischen Kommentars enthalten wird, dass sich anstelle dessen das Filmteam vom Mörder zum Morden verführen lässt, hat eine zwar subtile aber merklich konstruierte „Intention“ forciert, wie sie für das Arthouse-Kino typisch ist. Und die Tatsache, dass trotz der Willkür, mit der der Killer seine Opfer auswählte, die Grenze zwischen Opfern und Tätern stets gewahrt blieb, und schließlich, dass eigentlich die künstlerischen Intentionen des Filmteams die Handlung des Films (und damit des Täters) bestimmten, verhinderten eine konsequente moralische Perspektive auf den Stoff. Schließlich war in „Mann beißt Hund“ trotz aller simulativer Authentisierung, deren Ziel es stets ist, die Differenz zwischen Film und Realität aufzulösen, noch nicht die letztmögliche Grenze verwischt: die zwischen „Leibraum und Bildraum“ (Benjamin). Diese „Fehler“ zu beheben hat sich nun der britische Pseudo-Snuff-Film „The Last Horror Movie“ angeschickt.

„The Last Horror Movie“ beginnt mit den Bildern eines x-beliebigen 80er-Jahre-Slasherfilms. Dramatisierender Synthi-Soundtrack, ein nächtlicher, innen wie außen mit Neon beleuchteter Imbiss, in dem eine 80er-Jahre-Schönheit die letzten Säuberungsarbeiten vornimmt, bevor sie den Laden schließt. Doch noch jemand ist im Gebäude, der sich an die nichts ahnende junge Frau heranschleicht. Bevor er sie attackiert, tritt eine Bildstörung auf und wir sehen eine Videoaufnahme von einem grausamen Mord auf einer Herrentoilette. Danach erscheint das Gesicht von Max (Kevin Howarth) auf dem Bildschirm. Max stellt sich als Serienmörder vor, der sich beim Zuschauer des Videofilms für den Abbruch der Handlung entschuldigt und dann ankündigt, ihm seine Arbeit näher zu bringen. In der Folge werden wir Zeuge von etlichen Morden, dann wieder Aufnahmen von Hochzeitsfeiern, mit denen Max sich seinen Lebensunterhalt verdient, dann Filmszenen von Familientreffen. Im Verlauf des Films gibt es dann immer wieder Ansage-Szenen, in denen Max vor einer Wand mit Videokassetten sitzt und über die Motive des Zuschauers, der sich diesen Film ansieht spekuliert. Bei der „Arbeit“ – also den Morden – ist Max’ Interesse zunächst vor allem an der Interaktion zwischen Opfer und Medium geprägt. So versucht er etwa eine Frau, die er in ihrer Wohnung überfällt und mit etwa 20 Messerstichen in den Unterleib traktiert, während sie stirbt zu interviewen, um herauszufinden, wie es sei, für eine Filminszenierung zu sterben. Etwa ab der Mitte des Films wird dieser dokumentarische Gestus aufgegeben und der Kameramann (Mark Stevens) tritt vor die Kamera. Ein schüchterner Junge, der die Taten Max’ mitleidlos dokumentiert. Max versucht ihn mehr und mehr in das Geschehen zu integrieren – sowohl in seine Privatsphäre (seiner Familie stellt Max ihn Dokumentarist, der einen Film Max dreht, vor) als auch in seine Arbeit (als Assistent für die Erstellung von Hochzeitsvideos) und schließlich in sein privates Hobby (als Kameramann, der selbst auch einmal morden soll).

Als der Kameramann zum ersten Mal selbst eine Frau ermorden soll und Max dies filmt, wird das offensichtliche moralische Dilemma des Films ausbuchstabiert: Der Kameramann traut sich nicht, er schafft es nicht, das wehrlos auf einem Stuhl gefesselte Mädchen mit einem Knüppel zu erschlagen. Nachdem Max eingreift und dem Mädchen kurzerhand die Kehle durchschneidet, entbrennt ein Streit zwischen den beiden Männern: Von Max darauf hingewiesen, dass schon das Filmen der Morde eine moralische Involviertheit sei, entgegnet der Kameramann „but it didn’t feel real“. Diese „Gefühlsdifferenz“, die erst durch die mediale Schranke ermöglicht wird und den Zuschauer vor praktischen Konsequenzen schützt, ist es, die Max besonders interessiert. Daher folgt nun ein Experiment: Max fesselt ein Ehepaar auf zwei einander gegenüber stehenden Stühlen. Er weist seinen Kameramann an, das Gesicht des Mannes zu filmen, während dieser dabei zusehen muss, wie seine Frau mit einer Messerattacke erstochen wird (aus dem Off sind die dumpfen Einstiche, das Stöhnen der Frau und die Atemlosigkeit Max’ zu hören). Dann bekommt der Kameramann die Anweisung, nun die sterbende Frau zu filmen, während Max dieselbe Messerattacke bei ihrem Mann vollzieht. Völlig außer Atem spricht der blutüberströmte Mörder in die Kamera und fragt seine Zuschauer: „Habe ich sie enttäuscht? Sie wollten doch etwas ganz anderes sehen! Gut, ich zeige es ihnen.“ Und dann bekommen wir noch einmal die jeweils andere Perspektive, in der die Morde direkt zu sehen sind, vorgeführt.

Der den Zuschauer integrierende Diskurs wird von „The Last Horror Movie“ an einer entscheidenden Stelle auf die Spitze geführt. Im Gegensatz zu „Mann beißt Hund“ (auf den Max einmal ironisch anspielt, als er sagt: „Sie glauben bestimmt immer noch, dass dies hier irgendein französischer Arthouse-Film ist!“) wendet sich Max an den Zuschauer nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer. Zum Ende seines Homevideo-Dokumentarfilms integriert er diesen in seinen Film. Er zeigt auf einer zweiten Stufe von Fiktion (die ihre Fiktionalität zum dokumentarischen Gegenstand macht), wie sich Leute die von ihm überspielte Videokassette aus der Videothek ausleihen, filmt sie heimlich durch ihr Wohnzimmerfenster, wie sie sich seinen Film ansehen und dringt dann schließlich in ihre Wohnung ein, um sie direkt zu fragen, was sie denn glauben, da gerade gesehen zu haben. Um den Ungläubigen zu beweisen, dass der Film echter „Snuff“ ist, fesselt er sie vor dem laufenden Film, ermordet sie, nimmt diesen Mord auf und kopiert ihn wiederum auf die Leihkassette. Das „last“ in „The last Horror Movie“ bekommt hier für die Videotheken-Kunden eine ganz neue Bedeutung …

Damit „The last Horror Movie“ als Simulation von Snuff funktioniert, müsste er ohne jeden Hinweis auf einer Videokassette erscheinen, wie sie die Opfer von Max aus den Videotheken ausleihen. Im Kino (oder auf DVD, die sich nicht ohne weiteres „überspielen“ lässt) kann sich der Zuschauer des Film noch „sicher“ fühlen – bleibt die ästhetische Distanz gewahrt. Einzig ein anfängliches Stutzen über schlechte Qualität des Films wäre ein schwaches Echo dieser Simulation. In jenem anderen Fall aber wäre die Grenze zwischen Filmraum und Rezeptionsraum endgültig aufgelöst. Die schützende Distanz der kinematografischen Inszenierungen aus „Mann beißt Hund“ (35-mm-Kamera, Schwarz-Weiß-Bild, …) werden zu Gunsten der obszönen Privatheit eines Homevideos aufgegeben.

Aus der abstrakten moralischen Involviertheit als „Zeugen“ einer Medienpräsentation in „Mann beißt Hund“ wird in „The last Horror Movie“ für den Zuschauer eine konkrete Gefahrensituation. Denn bevor die (wiederum im Stil des überkopierten 80er-Jahre-Slashers gehaltenen) Schlusstitel über den Bildschirm rollen richtet Max sich ein letztes Mal an den Zuschauer: „Sie wissen wie ich aussehe und was ich getan habe. Sie sind gefährlich für mich geworden … und ich bin jetzt gefährlich für Sie! Vielleicht stehe ich ja in diesem Moment an ihrem Fenster und beobachte Sie.“ In dieser Pointe konkretisiert „The last Horror Movie“ seine Agenda als „authentisch“ (im Sinne von „Gewalt habend“) und wird damit zu einem Meilenstein innerhalb der Geschichte des Serienmörderfilms.

The last Horror Movie
(GB 2003)
Regie: Julian Richards

Stefan Höltgen

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