Didi, das Chamäleon

Der Detektiv Harry App muss sich gegen zwei gefährliche Räuber zur Wehr setzen, die ihre Beute ausgerechnet im Käfig des wertvollen Zuchtkaninchens Mr. Theo versteckt haben, als dessen „Leibwächter“ Harry fungiert; Taxifahrer Herbert Böckmann gerät durch einen dummen Zufall zwischen die Fronten eines Spionagekrieges zwischen CIA und KGB und muss um sein Leben fürchten; Kneipenwirt Bruno Koob wird von seinem Doppelgänger, dem misanthropischen Konzernchef Hans Immer, für ein Wochenende als dessen Double engagiert, ohne zu wissen, dass dieser eine Entführung befürchtet; der mittellose Dieter Dödel sieht sich den Mordversuchen entfernter Verwandten ausgesetzt, die ihm eine Millionenerbschaft abspenstig machen wollen; dem LKW-Fahrer Didi verschweigen dessen Auftraggeber, dass die Ladung, die er nach Frankreich bringen soll, aus gefährlichem Giftmüll besteht, und der KFZ-Mechaniker und Politikverdrossene Willy Schulze wird mit einem berühmten Wahlkampfberater verwechselt, der vor der anstehenden Wahl eine marode Partei auf den richtigen Kurs bringen soll.

62b1b41a51a31ab674d77ef1c6744fd3[1]Der Kabarettist Dieter Hallervorden, Jahrgang 1935, gelangte in den Siebzigerjahren mit der Sketchsendung „Nonstop Nonsens“ zu bundesdeutscher Fernsehberühmtheit und somit beinahe zwangsläufig auch zu einer zwar kurzen, aber durchaus veritablen Filmkarriere, deren Höhepunkte nun in der Didi-Box von Turbine Medien vertreten sind. Hallervordens Alter Ego, im Folgenden der Einfachheit halber „Didi“ genannt, ist der einfache, arglose Bürger meist Berliner Herkunft, der sich mit Gelegenheitsjobs mehr schlecht als recht über Wasser hält. Dass er nicht durch die Maschen des sozialen Netzes fällt, hat er einer gesunden Mischung aus Optimismus, Unverdrossenheit, Flexibilität und einer guten Portion Improvisationstalent zu verdanken: So lange noch Geld für ein „kleines Bierchen“ und eine Bulette übrig ist, kann es so schlimm nicht sein. Mit seiner sympathischen Figur positioniert sich Hallervorden auf der Schattenseite der von Wohlstand und oberflächlichem Glanz geprägten Achtziger, er erzählt von den Verlierern einer Gesellschaft, die von den Errungenschaften eines grenzenlosen Kapitalismus zehrt. Immer wieder fällt der gutgläubige Didi auf findige und rücksichtslose Geschäftemacher herein, die in ihm ein leichtes Opfer erkennen, sieht sich seines Guthabens, seiner Identität oder seiner Würde beraubt, nur um über diesen Verlust seinen Kampfes- und Siegeswillen zu entdecken. Das geteilte Berlin liefert den perfekten Background für Hallervordens Verlierergeschichten: In den heruntergekommenen Fassaden erkennt man noch die letzten Spuren des Zweiten Weltkriegs, den man im Alltag bemüht ist, zu verdrängen, und die Ziellosigkeit, mit der Didi in den Tag hineinlebt, wird konterkariert von den globale politische Vorgänge widerspiegelnden Ereignissen in der Stadt: In „Der Schnüffler“ sehen wir ein Berlin, hinter dessen Fassade die Weltmächte sich einen erbitterten Agentenkrieg liefern, in „Didi – Der Doppelgänger“ besucht der amerikanische Präsident die geteilte Stadt, in „Didi – Und die Rache der Enterbten“ vermutet der überforderte Kommissar Becker internationale Industriespionage hinter den sich häufenden Morden. Hallervordens Filme werfen somit einen durch die humoristische Brille gebrochenen Blick auf ein Deutschland, das als geografischer Puffer zwischen den Weltmächten fungiert, deren jahrzehntewährender Konflikt kurz vor einem noch ungewissen Ende steht. Während der zur gleichen Zeit immens erfolgreiche Otto Waalkes und sein clowneskes Alter Ego die reale Welt in ihre eigene Traumwelt verwandeln und den Zuschauern damit die Möglichkeit zur Flucht aus dem tristen Alltag bieten, verbrüdert sich Hallervorden mit seinem Publikum, indem er sich auf seine eigene Art und Weise gerade gegen die Fährnisse dieses Alltags – Rechnungen, Schulden, Hunger, Arbeits-, Hilf- und Ahnungslosigkeit – wehrt, ohne dabei unter die Räder der Gleichschaltung zu geraten. Auch wenn Didi am Ende erfolgreich ist, den Posten von Hans Immer übernimmt oder die Millionenerbschaft einstreicht: Er wird sich nicht verändern. Didi mag einfältig sein, aber es ist die Einfalt zum Guten. Er ist und bleibt unkorrumpierbar, weil er keinerlei materiellen Ambitionen hat. In Zeiten des Umbruchs bleiben seine Ansprüche zeitlos.

Was Hallervordens Filme neben diesem zeitgenössischen Anstrich interessant macht und sie vereint, ist ihr Spiel mit der Identität ihres Hauptdarstellers. Mit Ausnahme von „Ach du lieber Harry“ und „Didi auf vollen Touren“ bieten sie Hallervorden die Möglichkeit, die Fesseln seiner Didi-Figur abzustreifen und sich in anderen Rollen und Lebensentwürfen zu versuchen. Diese Metamorphosen dienen ihm jedoch letztlich nicht dazu, seinem Didi zu entfliehen, sondern im Gegenteil diesen zu festigen: In „Der Schnüffler“ wächst der ängstliche Böckmann durch ein vermeintliches Wundermittel über sich hinaus, verwandelt sich in den unerschrockenen, weltgewandten und selbstbewussten „Herbie Melbourne“, der die feindlich gesonnene Agenten gekonnt gegeneinander ausspielt und nebenbei auch noch eine Frau für sich gewinnt. Als er am Ende herausfindet, dass das Wundermittel nur ein Placebo war, erkennt er, dass er den „Herbie Melbourne“ nicht braucht: Es reicht vollkommen, wenn er Herbert Böckmann ist. Ähnliches passiert in „Didi – Der Doppelgänger“: Als Bruno erkennt, welches böse Spiel Hans Immer mit ihm treibt, zieht er dessen Angestellte mit seiner freundlich-kumpelhaften Art auf seine Seite, bootet Immer aus und übernimmt dessen Posten als Konzernchef, während Immer ins Kneipengewerbe wechselt, wo er sofort wieder in seine angestammten Verhaltensmuster fällt. Auch hier zeigt sich: Didis Flexibilität lässt ihn überall bestehen. In „Didi – Und die Rache der Enterbten“, der an Robert Hamers britische Komödie „Adel verpflichtet“ von 1949 angelehnt ist, in der Alec Guinness eine ganze Familie verkörpert, ist das Verkleidungsspiel hingegen kaum mehr als ein optischer Reiz. Zwar gibt dies Hallervorden ausgiebig Gelegenheit, vom gefräßigen Restaurantkritiker, den zerstreuten Wissenschaftler über die biestige Ehefrau und den raubeinigen Söldner bis hin zum Mafiosi in verschiedene Rollen zu schlüpfen, doch wird daraus kein Gewinn für die Didi-Figur gezogen. Der wächst im Kampf gegen die rachsüchtigen Verwandten zwar erneut über sich hinaus und darf am Ende die Millionenerbschaft einstreichen, doch das letzte Bild macht klar, dass ihn dieser Reichtum nicht verändern wird: An seinen Hosenträgern hängend baumelt er an der Dachrinne eines Hauses auf und ab, wie er sich befreien wird, bleibt offen. Der folgende „Didi auf vollen Touren“ ist recht deutlich als satirische Reaktion auf die diversen Giftmüll- und Umweltskandale der Achtzigerjahre angelegt und versucht seinen Hauptdarsteller, der schon in den vorigen Filmen etliche Stunts selbst ausgeführt hatte, in einen actiongeladeneren Rahmen zu überführen. Wieder behauptet sich Didi gegen die Mächtigen, diesmal gegen die Machenschaften eines rücksichtslosen Großkonzerns, der allzu gern bereit ist, den kleinen LKW-Fahrer über die Klinge springen zu lassen, um die eigene Weste reinzuhalten. Didi triumphiert wieder einmal: Nicht nur beweist er seine Unschuld, er deckt auch noch einen Umweltskandal von betröchtlichen Ausmaßen auf. Eine Rückkehr zu den Identitätsspielen von „Didi – Der Doppelgänger“ stellt „Der Experte“ dar, der letzte der in der Box vertretenen Filme. Unverkennbar inspiriert von Hal Ashbys „Willkommen, Mr. Chance“, in dem ein geistig minderbemittelter Gärtner, dessen einziger Kontakt zur Außenwelt seit Jahrzehnten im täglichen Fernsehkonsum bestand, mittels seiner botanischen Weisheiten zum Berater des US-Präsidenten avanciert, wird der nach einem Autounfall an Gedächtnisverlust leidende KFZ-Mechaniker Willy Schulze mit einem berühmten Wahlkampfberater verwechselt. Mit Aphorismen aus der Welt der öligen Motoren bringt er eine ins Schlingern geratene Partei pünktlich zum Wahlkampf wieder auf Kurs. Als Willy, der ein tiefes Misstrauen gegenüber Politikern hegt, merkt, dass er seinen natürlichen Feinden geholfen hat, nutzt er das Missverständnis um seine wahre Identität, um die beiden konkurrierenden Parteien gegeneinander auszuspielen und vor der Bevölkerung bloßzustellen (einen Kandidaten überredet er etwa zu einer unangenehme Assoziationen weckenden Rede im Berliner Olympiastadion). Nach verrichteter Arbeit kehrt er danach wieder in seine kleine Werkstatt zurück.

Zwischen 1980 und 1988 – den Jahren der hier beprochenen Filme – befand sich Hallervorden auf dem Gipfel seines Erfolgs. „Ach du lieber Harry“ bescherte Hallervorden auf Anhieb über eine Million Kinozuschauer, „Didi – Der Doppelgänger“ war 1984 mit über zwei Millionen Zuschauern gar der zehnterfolgreichste Film in der BRD, „Didi – Und die Rache der Enterbten“ und „Didi auf vollen Touren“ schlossen 1985 bzw. 1986 nur unwesentlich schlechter ab. Auf den immer noch achtbaren Erfolg von „Der Experte“ folgten mit „Bei mir liegen sie richtig“ und „Alles Lüge“ zu Beginn der Neunzigerjahre noch zwei weitere Filme, die jedoch nicht mehr an die Erfolge der Vorgänger anknüpfen konnten und Hallervordens Abschied vom Filmgeschäft bedeuteten. Heute ist er abgesehen von einigen Synchronarbeiten wieder ausschließlich als Kabarettist tätig: Möglicherweise haben ihm auch seine Erfahrungen im Körper des liebenswerten Tölpels „Didi“ dabei geholfen, den Dieter im Hallervorden wiederzufinden.

Ach du lieber Harry
(BRD 1980)
Regie: Jean Girault; Drehbuch: Jean Girault, Jacques Vilfrid, Dieter Hallervorden, Ralf Gregan; Musik: Hermann Weindorf; Kamera: Hermann Gruber; Schnitt: Margot von Schlieffen
Darsteller: Dieter Hallervorden, Iris Berben, Jacques Marin, Manfred Lehmann, Lisa Helwig
Länge: 85 Minuten

Der Schnüffler
(BRD 1982)
Regie: Ottokar Runze; Drehbuch: Christian Rateuke, Hartmann Schmige; Musik: Wilhelm Dieter Siebert; Kamera: Michael Epp; Schnitt: Gela-Marina Runne
Darsteller: Dieter Hallervorden, Catherine Alric, Tilo Prückner, Anton Diffring, Siegfried Wischnewski
Länge: 91 Minuten

Didi – Der Doppelgänger
(BRD 1983)
Regie: Reinhard Schwabenitzky; Drehbuch: Christian Rateuke, Hartmann Schmige, Walter Kempley, Dieter Hallervorden; Musik: Harold Faltermeyer, Arthur Lauber; Kamera: Charly Steinberger; Schnitt: Clarissa Ambach
Darsteller: Dieter Hallervorden, Tilo Prückner, Gert Burkhard, Ruth-Maria Kubitschek, Götz Kauffmann
Länge: 96 Minuten

Didi – Und die Rache der Enterbten
(BRD 1984)
Regie: Dieter Hallervorden, Christian Rateuke; Drehbuch: Christian Rateuke, Hartmann Schmige; Musik: Günther Fischer, Kamera: Günter Marczinkowsky; Schnitt: Siegrun Jäger
Darsteller: Dieter Hallervorden, Wolfgang Kieling, Gerhard Wollner, Christoph Hofrichter, Karl Schulz
Länge: 88 Minuten

Didi auf vollen Touren
(BRD 1985)
Regie: Wigbert Wicker; Drehbuch: Dieter Hallervorden, Felix Huby, Christoph Treutwein; Musik: Uwe Borgward; Kamera: Joseph Vilsmaier; Schnitt: Gabriele Probst, Sybille Windt
Darsteller: Dieter Hallervorden, Bernard Menez, Pierre Tornarde, Hans Peter Hallwachs, Gert Haucke
Länge: 92 Minuten

Der Experte
(BRD 1987)
Regie: Reinhard Schwabenitzky; Drehbuch: Martin Büttner, Christian Rateuke, Hartmann Schmige; Musik: Konstantin Wecker; Kamera: Joseph Vilsmaier; Schnitt: Sybille Windt
Länge: 93 Minuten

Zu den DVDs von Turbine Medien/Al!ve

Die sechs in der Box von Turbine Medien enthaltenen DVDs waren bereits allesamt in Einzeleditionen erhältlich, die nun unverändert gebündelt wurden. Um Platz zu sparen, wurden die DVDs lediglich in schmaleren Cases untergebracht. Die technische Aufbereitung ist durchschnittlich: Weder wurde das Bild remastert, noch ist Stereoton enthalten. Dem nostalgischen Vergnügen tut dies aber keinen Abbruch. Leider finden sich außer den jeweiligen Trailern keinerlei Extras auf den DVDs. Angesichts der großen Popularität, die Hallervorden in der hier dokumentierten Phase seines Schaffens genoss, hätte sich sicher noch der ein oder andere Schnippsel aus den Archiven bergen lassen.

Die Ausstattung der DVDs

Bild: 1.66:1
Ton: Dolby Digital 2.0 Mono
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Extras: Trailer
Länge: ca. 530 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Preis: 39,95 Euro

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