»The Juwes are not the men That Will be Blamed for nothing«

»Women uh… women sense my power and they seek the life essence. I, uh… I do not avoid women, Mandrake…. But I… I do deny them my essence.«
(General Jack D. Ripper, Dr. Strangelove)

1. Der Spurenleser

»Die Taten sadistisch devianter Serienmörder kennzeichnen vielfach ein zumindest partiell rituelles Verhaltensmuster. Dabei dient die Phantasie als Skript, als geistige Vorlage, als Schema.« (Harbort, 104) Der authentische Serienmörder folgt ebenso einem Skript, wie der fiktive. Das jeweils vorhandene Motiv, der Anlass, aus dem die Tat begangen wird, ist dabei irrationaler Natur: Es liegt außerhalb der Wahrnehm- und Verstehbarkeit des Ermittlers – in historischen wie fiktiven Kriminalfällen.

Um dieses unsichtbare Skript dennoch zu lesen, bedarf es besonderer Methoden und eines besonderen Spurenlesers: des Profilers. Der Profiler ist ein Text-Arbeiter. Sein Werkzeug ist der hermeneutische Zirkel. Sein Ziel ist es, zunächst aus den einzelnen Zeichen einen »Satz« zu rekonstruieren, der die »kohärente Verbindung« zu seinem Vor- und Nachsatz – den einzelnen Fällen – nachzeichnet. Aus diesem Satz schließlich soll ein Text entstehen, der im Idealfall die genaue Beschreibung des Täters ist. Er »liest« das Skript des Täters und transkribiert es in rationale Muster. Das Verfahren, dessen sich der Profiler bedient, orientiert sich an verschiedenen psychologischen Erkenntnissen über die Natur von Anthropologie und Verbrechen sowie die Archetypen sexueller Devianz. Aus der Art und Weise, wie bestimmte Zeichen (Wunden, Fundorte, Leichenstellungen etc.) in Zusammenhang zu den Zeichen vorheriger Taten stehen, schließt der Profiler auf Charakteristika des Täters. Der Vorgang selbst beschreibt dabei einen hermeneutischen Zirkel: Je mehr über den Täter erfahren wird, desto mehr relativieren, erübrigen oder verstärken sich frühere Erkenntnisse. Immer deutlicher wird dabei die Signatur des Täters: »In diesem Kontext propagieren insbesondere Wissenschaftler und Autoren aus dem angloamerikanischen Sprachraum, dass die so genannte Signatur beziehungsweise Handschrift – beide Begriffe werden in der wissenschaftlichen Nomenklatur synonym verwendet – des multiplen Sexualmörders ›konstant‹ und ›veränderungsresistent‹ sein. Unter einer Signatur sollten unverwechselbare Handlungssequenzen verstanden werden, die die speziellen Bedürfnisse eines Täters abbilden und keinen strategischen oder rationalen Charakter aufweisen. Hierdurch unterscheidet sich die Signatur vom Modus operandi, der lediglich die kognitiv gesteuerten Tathandlungen beschreibt, die innere, psychopathologisch bedingte und hochsignifikante Struktur der Tat, ihre charakteristische Ausprägung hingegen weitestgehend unberücksichtigt lässt.« (Harbort, 104)

Das Verfahren des Profilings, das sich in der Kriminalistik durchaus noch nicht durchsetzen konnte, erfreut sich im Film wachsender »Beliebtheit«. Im modernen Whodunnit ist der Zuschauer aufgefordert, die Zeichen des Täters zusammen mit dem Ermittler zu enträtseln, Hypothesen aufzustellen und die Tat aufzuklären. Nicht selten stößt er dabei jedoch an seine Grenzen. Die Spuren werden oft falsch gelesen, es werden Einzelheiten übersehen, aus Hinweisen falsche Schlüsse gezogen oder der Mörder führt Ermittler und Zuschauer schlicht und ergreifend an der Nase herum und simuliert Zeichen.

2. The real Case

Interessant wird die Verquickung von fiktionaler und authentischer Ermittlung, wenn es sich um die filmische Adaption eines »wahren« Verbrechens handelt. Hier muss der Whodunnit notwendigerweise hinter den »Howdunnit« zurücktreten, denn über die Kriminalhistorie des jeweils inszenierten Falls ist der Kinozuschauer in aller Regel bereits aufgeklärt – sei’s durch frühere Adaptionen oder durch mediale Aufbereitungen des authentischen Falls. In solchen Filmen raten wir nicht zusammen mit dem Profiler, sondern befinden uns mit unserem Wissen »über« diesem. Wir beobachten sein Scheitern und seine Erfolge und zwischendrin den Täter bei seiner Tat, von der wir wissen: So könnte es wirklich gewesen sein. Die Spannung (der »Thrill«) erwächst dabei aus unserer Machtlosigkeit, mit ansehen zu müssen und nicht eingreifen zu könnne.

Hierbei lassen sich zwei Typen von Filmen unterscheiden, nämlich – ganz trivial – diejenigen, in denen der Täter geschnappt wird und der Profiler Erfolg hat und diejenigen, in denen der Täter unerkannt bleibt. So viele Beispiele es für ersteren Typ gibt, so wenig existieren vom zweiten. Der bekannteste unbekannte Serienmörder der Kriminalgeschichte hat dabei einen besonders hohen Output an filmischen Adaptionen zu verzeichnen: Jack the Ripper.

Jack the Ripper »operierte« im Londoner East End des Jahres 1888 – einer Gegend, die »White Chappel« genannt wird. Seine Opfer waren fünf Prostituierte. Besondere Kennzeichen seiner Vorgehensweise waren, dass er die Frauen zunächst erdrosselte und ihnen dann die Kehle durchschnitt. Bei vier der fünf Opfer beging er umfangreiche Verstümmelungen: Er öffnete die Bauchdecke und den Unterleib, entfernte Organe, drapierte die Eingeweide auf dem Leichnam oder in der Umgebung des toten Körpers. Er entfernte große Hautpartien, schnitt Augenlider, Nasen und Ohren ab. Der Verstümmelungsgrad ist bei allen Opfern unterschiedlich. Einzig die dritte von ihm umgebrachte Prostituierte (Elizabeth Stride) verstümmelte er nicht, was Anlass zu der Vermutung gab, dass er während der Tat unterbrochen wurde. Noch in derselben Nacht beging er jedoch einen weiteren, besonders grausamen Mord (an Catherine Eddowes), bei dem er seine ganze »Kunst« zur Anwendung brachte.

Interessant in Hinblick auf das Profiling des Falls zu erwähnen ist der Dialog, den Jack the Ripper mit den Ermittlern führte. Er schrieb mehrere Briefe, von denen einer als unumstößlich authentisch gilt, weil in diesem eines der fehlenden Organe seiner Opfer mit aufs Polizeirevier geschickt wurde. Am vierten Tatort hinterließ er (oder jemand anderes) eine Kreideinschrift auf der Mauer, die auch diesen Text betitelt. »The Juwes (sic!) are not the man that will be blamed for nothing«, sollte den Verdacht doppeldeutig in eine bestimmte Richtung lenken. Die »falsche«(?) Schreibweise von »Jewes« provozierte einige der bislang bemerkenswertesten Theorien über die Identität des Rippers (vgl. Knight). Jack the Ripper begann seine Tatserie am 31.8.1888 und beendete Sie am 9.11.1888. Und obwohl er den Ermittlern freiwillig mehr Spuren zu »lesen« gab, als andere Mörder unfreiwillig hinterlassen, wurde er nie gefasst. Der Fall des White Chappel-Mörders hat eine tiefe Wunde in der auf »Happy Ends« ausgerichteten Kriminalhistorie hinterlassen. Der Fall ist dadurch über die Jahrzehnte hin immer weiter in den öffentlichen Diskurs diffundiert. Unzählige Theorien über Dauer seines Wirkens, Zahl seiner Opfer und natürlich Identität des Rippers kursieren seither.

3. Ripper-Mythen

Um den Prostituierten-Mörder von White Chappel hat sich daher in den vergangen 120 Jahren ein dichter medialer Mythos entwickelt. Zahlreiche Bücher und Filme entstanden; Jack the Ripper war bislang Vorlage für wenigstens 25 filmische Adaptionen (vgl. Jahn, 67). Seine erste filmische Erwähnung findet er in einer kurzen Sequenz am Ende von Paul Lenis Das Wachsfigurenkabinett (D 1929) – dem damit allerersten Serialkiller-Movie überhaupt. Dort träumt die Protagonisten Eva (Olga Belajeff) von »Jack, dem Bauchaufschlitzer« (Werner Krauß) wie ihn die eingeblendete Zwischentafel bezeichnet. Er verfolgt sie durch die expressionistischen Straßenzüge einer nicht genannten Stadt. Die Sequenz ist kaum drei Minuten lang und es ist zu vermuten, dass wohl die historische Nähe zum Jack the Ripper-Skandalon der Grund für die Kürze und im Vergleich zum übrigen Film wenig ausführliche Darstellung gewesen sein mag. Doch mit Das Wachsfigurenkabinett setzt eine Reihe von Filmproduktionen ein, die den Londoner Ripper immer wieder zum Gegenstand von Spekulationen und Anlass mehr oder weniger reißerischer Thriller macht.

An den Jack the Ripper-Filmen der Gegenwart offenbart sich eine bemerkenswerte Tendenz, die ihn von anderen Serienkiller-Filmen unterscheidet. Die Tatsache, dass der Stoff immer und immer wieder für den Film adaptiert wurde und wird, lässt sich nicht allein aus der für das Subgenre sonst so typischen Widerholung des Immergleichen ableiten, sondern zeigt auch die mit jeder Adaption größere Mühe, sich dem Fall hyperrealistisch anzunähern. Diese Annäherung findet aber nicht allein mit den Mitteln immer authentischerer Erzählweisen statt (etwa der für den modernen Horrorfilm progressiven Explizitheit der Gewaltdarstellung), sondern vor allem in der Auf- und Abarbeitung der jeweiligen Theorien über die Identität des Rippers.

Dem Profiling kommt dabei eine Doppelfunktion zu. In den Jack the Ripper-Filmen forciert der Profiler die intradiegetische Ermittlung (und damit die Filmhandlung selbst) und stellt gleichzeitig den Vermittler für die extradiegetische Hypothesenbildung des Real-Ripper-Case dar. Mit anderen Worten: Der Charakter des Profilers versorgt die Filmzuschauer mit den neuesten Erkenntnissen und Hypothesen über den Jack the Ripper-Fall. Er ist ein Katalysator zwischen Realität und Fiktion. Damit stützt die Profiler-Figur zusätzlich die fortschreitende Mythologisierung des kriminalhistorischen Falles und sorgt für einen höheren Grad an Authentizität der Erzählung.

3. Jack the Ripper (1976)

In Jess Francos Adaption hält sich die Erzählung mit keiner Exposition auf: Wenn der Film beginnt, bekommen wir eine Straßenszene zu sehen, die vom Ripper soeben heimgesucht wurde. Entlarvt wird der Täter Dr. Dennis Orloff (gespielt von Klaus Kinski) bereits nach sieben Minuten (allerdings nur vom omnipräsenten Auge des Zuschauers). Nun ist es die Sache der Polizei, die Identität des Mörders zu klären. Dieser lebt allerdings ein Doppelleben. Tagsüber ist er ein wortkarger, philanthropischer Arzt, der von seinen ärmsten Patienten nicht einmal Geld nimmt und daher Mietschulden hat. Nachts macht er Jagd auf Dirnen, die er mit ärztlichem Können aufschlitzt und – wie in einem Fall, wo er die Brüste einer Hure abtrennt und über dem Bett an der Wand drapiert – fachgerecht tranchiert. Unterstützt wird er von einer semi-debilen Haushaltshilfe namens Frieda.

Als Zeugen lässt Regisseur und Drehbuchautor Franco neben einer alten Dame und ein paar Bewohnerinnen des Hurenhauses, in dem Orloff aktiv war, einen blinden »Augenzeugen« eines Mordes und einen halbseidenen Fischer, der die Leichenbeseitigung beobachtet hat, auftreten. Während letzterer sein Wissen zu nutzen versucht, um den Täter zu erpressen, versorgt der Blinde Seher uns und die Fahnder mit im Wortsinne feinsinnigen Analysen: Am Geruch erkennt er, dass es sich beim Täter um einen Arzt handeln muss. Geräusche, die er bei der Tat wahrgenommen hat, leisten ein Zusätzliches bei der Bestimmung der Körpergröße und Statur. Doch das ist längst nicht alles: Eine »neuartige« Methode soll Scotland Yard dabei helfen, die Daten der Augenzeugen in ein Bild des Rippers zu übertragen. Die »Phantomzeichnung« soll laut Jess Franco ihren Ursprung als Fahndungswerkzeug beim Ripper-Fall haben. Der Mörder hat seine Spuren in das visuelle Gedächtnis verschiedener Passanten und Bewohnerinnen eines Hurenhauses eingegraben. Diese sollten nun ins Bild übersetzt werden. Nachdem man sich nicht entscheiden kann, ob der Ripper hünenhaft-groß oder eher pyknisch-klein ist, kann abermals der Bettler mit seinen substituierten Sinnen weiterhelfen.

Während der fieberhaften Recherche nach dem Täter begeht dieser weitere Morde. Währenddessen wird Orloff immer wieder von Tagträumen geplagt: Er musste seiner Mutter, die selbst Prostituierte war, bei der Arbeit zusehen. Dies als Tatmotivation und der psychologische Epilog des Films, in dem der Ripper seinem vermeintlich letzten Opfer seine Beweggründe darlegt, unterstreichen die fieberhaften Erklärungsversuche des Films. Auf eine historisch authentische Täterfigur will sich der Film hingegen nicht berufen. Dass es ein Arzt war (und auch solche Hypothesen sind historisch verbrieft) soll genügen.

4. Der New York Ripper (1982)

Vom Meister des Wunden-Closeups, Lucio Fulci, stammt eine weitere, auf den ersten Blick wesentliche freiere Interpretation des Ripper-Stoffes. Fulci verlegt den Fall in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts und in die Metropole New York. Gekennzeichet ist der Film vor allem durch seine expliziten Gewaltdarstellungen, die reißerische Inszenierung der Morde und die Zeichnung seiner Figuren. Waren es im London des Jahres 1888 allein die Prostituierten (von denen es etwa 40.000 gegeben haben soll), so hat sich die Promiskuität und sexuelle Devianz im New York von Fulci auf die gesamte Stadtbevölkerung ausgedehnt. Dies nimmt der Film zum Anlass, den Hurenmörder zu einem »gewöhnlichen« Serienmörder werden zu lassen. Sein Modus operandi ist dabei dem des Londoner Rippers ähnlich: Auch hier werden die Opfer »fachmännisch aufgeschlitzt«, wie ein Gerichtsmediziner des Films urteilt. Und auch der New York Ripper meldet sich bei der Polizei und führt diese an der Nase herum. Mit verstellter Stimme (die nach Donald Duck klingen soll), begegnet er nicht nur seinen Opfern – was die Surrealität der Splatterszenen akustisch noch weiter untermauert – sondern liefert auch telefonische Falschhinweise an die Polizei. Der Zuschauer tappt zusammen mit der Polizei im Dunkeln: Die Morde werden ausschließlich aus der Subjektiven Kameraeinstellung präsentiert. Diese Optik suggeriert: Der Zuschauer wird zum Mitwisser aber zumindest zum stillen Beobachter, was The New York Ripper, der bis zum Ende ein Whodunnit bleibt, besonders unangenehm macht und Fulcis Film zu einem typischen Vertreter des modernen Horrorfilms macht.

Der letzte Mord zeigt die strukturelle Ähnlichkeit zu anderen Ripper-Filmen besonders deutlich. Um die Intensität der Erzählung zu unterstreichen, ist es oft die Freundin oder Frau des Ermittlers, die dem Ripper als letztes in die Hände fällt. Dieses Motiv kam bereits bei Francos Adaption zur Anwendung und taucht ebenso in späteren Filmen immer wieder auf. Im Showdown von The New York Ripper wird Lieutenant Fred Williams (Jack Hedley) vom entenstimmigen Ripper mit einem Telefonanruf an das andere Ende der Stadt gelockt, wo er entdecken muss, dass er ausgetrickst wurde: In einer Telefonzelle, in der die Polizei den Ripper zu lokalisieren geglaubt hatte, befindet sich lediglich ein Funkgerät, das dessen Enten-Stimme in den Telefonhörer überträgt. Als Williams das Funkgerät in die Hand nimmt, muss er Ohrenzeuge der brutalen Ermordung seiner Freundin werden. Der Zuschauer hingegen darf auch visuell am Geschehen partizipieren. In einer empörend intensiven Sequenz bekommen wir zu sehen, wie der Mörder sein (letztes) Opfer mit einer Rasierklinge tranchiert. Wie im authentischen Kriminalfall sind das Auge und die Brust Hauptangriffspunkte des Rippers – von Fulci im chirurgischen Detail präsentiert. Lieutenant Williams erreicht den Tatort schließlich und kann zwar seine Freundin nicht mehr retten, jedoch den Mörder mit einem gezielten Schuss zur Strecke bringen. Und auch beim New York Ripper kulminiert die Handlung schließlich in der psychologischen Erklärung des Falles. Der Mörder habe schlicht und ergreifend aus schlechtem Gewissen seiner totkranken Tochter gegenüber gemordet. Während das kleine Mädchen im Krankenhaus im Sterben liegt, jagt Vater in den Straßen New Yorks Frauen. Ab und zu meldet er sich telefonisch bei seiner Tochter und heitert sie mit seiner Entenstimme auf.

5. Copy-Rip

Eine Anzahl von Serialkiller-Filmen nutzt den Ripper-Case als Rahmenhandlung. In zwei Adaptionen dienen die White Chappel-Morde als Inspiration für einen Copycat-Mörder: Jack’s Back (USA 1988, R: Rowdy Herrington) und Ripper – Letters from Hell (USA 2001, R: John Eyres). Im ersten Film orientiert sich der Leiter eines Krankenhauses am Londoner Serienmörder. Auch hier sind Prostituierte die Opfer, die allesamt exakt 100 Jahre nach dem »Originalverbrechen« ermordet werden. Die Ermittlerfiguren John bzw. Rick Westford (James Spader) sind Zwillingsbrüder, die in telepatischem Kontakt zueinander stehen. Während im ziemlich verworrenen Plot des Films ersterer dem vermeintlichen Täter auf der Spur ist, jedoch den Falschen verdächtigt und vom Verdächtigten umgebracht wird, nutzt der zweite Zwilling die mentale Verbindung zu seinem toten Bruder, um den Fall aufzuklären. Das Ermittlungsverfahren »Außersinnliche Wahrnehmung« ergänzt dabei den Katalog des Profilers. Es findet auch in späteren Adaptionen Anwendung. Vor allem in der Comic-Adaption From Hell (USA 2001, R: Allen Hughes) wird der Ermittler zu dieser methode greifen (welche sich bereits in Francos Film subtil in der Figur des Blinden Sehers andeutete).

In Ripper – Letters from Hell wird der Fall postmodernistisch gebrochen präsentiert: Ein Haufen junger Kriminologie-Studenten und deren Professor Marshall Kane (Bruce Payne) gerät in die Fänge des unbekannten Copycat-Killers, der seine Taten nach verschiedenen, den White Chappel-Morden angelehnten Aspekten ausrichtet: Die Namen Opfer tragen dieselben Initialen wie die der getöteten Huren aus London, ihnen werden dieselben Wunden zugefügt, der Ripper hinterlässt sogar dieselben Spuren am Tatort (und versorgt seine Verfolger ebenfalls mit Bekennerbriefen). Im Zentrum von Ripper – Letters from Hell steht dabei die Frage, auf welche Weise Kriminologie (und schließlich Profiling) betrieben wird. Durch die Pseudo-Akademisierung des Falles und seiner Spiegelung im Copycat offeriert der Film eine Handvoll Theorien über die Identität Jack the Rippers, die schließlich zur Entlarvung des Copycat-Mörders führen. Sein »kopiertes Skript« hat ihn schließlich soweit in seiner Handlungsfähigkeit hinein determiniert, dass die Überführung zu einem reinen Akt von Übertragung historischen Wissens geriert.

Beide Filme machen auf unangenehme Weise eine Eigenart fiktionalisierter Fälle der Kriminalhistorie deutlich. Es liegt eine gewisse Fatalität in der Narration, die nicht mehr allein dem Zuschauer (der auf sein außerfilmisches Wissen über den Ripper zurückgreifen kann), sondern auch den Protagonisten bewusst ist. In dem Moment, wo der Copycat-Killer seine Taten am »Original« ausrichtet, sind seine nächsten Schritte nicht nur vorhersehbar, sondern – und das zeigen beide Filme überdeutlich – auch unvermeidbar. Es ist in beiden Fällen die Wiederholung der Historie in der Fiktion, die den Profilern zu denken gibt: Harborts Unterscheidung zwischen Signatur und Modus operandi verwischt im Copycat: Der Nachahmungstäter »leiht« sich die Signatur von Jack the Ripper, um daraus seinen modus Operandi abzuleiten. Je mimetischer seine Vorgehensweise ist, desto mehr zwingt er den filmischen Ermittler den Fall vom historischen Jack the Ripper aufzurollen und sich vom vorliegenden Fall abzuwenden, um brauchbare Hypothesen zu erhalten.

6. Die Hyperrealität der Identität

Im historischen Fall von Jack the Ripper sind die Ermittlungen stecken geblieben. Die Methoden waren nicht ausgereift genug, um den Kreis der Verdächtigen weiter einengen zu können. Aufgrund der Tatsache, dass der Ripper zu viele widersprüchliche Beweise hinterlassen, sein »Werk« zu früh beendet hat und eindeutige Ermittlungsmethoden (Gentests, …) noch nicht verfügbar waren, blieben bis heute allein Spekulationen über seine Identität. Diese jedoch sind ein fruchtbarer Boden für die Fiktionalisierung des Stoffes, birgt doch jede Vermutung wenigstens einen Plot in sich, der das Wie und Warum des Falles aus einer weiteren Perspektive beleuchtet.

Hier werden fiktionale und kriminalhistorische Diskurse enggeführt. Die Tendenz, dass der moderne Serienkillerfilm (besonders, wenn er auf authentische Kriminalfällen basiert) nicht allein der Unterhaltung dienen soll, sondern in zahlreichen Fällen auch eine »Fortsetzung der Kriminalistik mit anderen Mitteln« ist mittlerweile die Grundlage einiger diskursüberschreitender Untersuchungen geworden. (vgl. hierzu Fuchs, Meiderding und Golde) Daher bemühen sich einige Filme vor allem um historisch genaue Kontextualisierung ihrer Handlung, um eigene und plausible Hypothesen über Jack the Ripper unterbreiten zu können. Die ästhetische »Ausschmückung« der Fälle erhält dadurch nicht mehr allein den Charakter der von Puristen oft geäußerten »Verfälschung« historischer Tatsachen, sondern den von Hypothesen. Jamet Meyers’ The Ripper (Aus/USA 1997) und zuletzt bereits angesprochener From Hell haben sich genau dieser Vorgehensweise verpflichtet.

The Ripper konfrontiert uns nach wenigen Minuten mit seiner Theorie über die Identität des Mörders: Prinz Albert Victor sei es gewesen. Darin folgt der Film einer der populärsten Verschwörungstheorien des Ripper-Falles, von denen Die große Enzyklopädie der Serienmörder nicht weniger als 15 anzubieten hat: »Prinz Albert Victor Christian Edward (1864-1892), der Herzog von Clarence und Thronerbe von England, wurde 1962 zum ersten mal als ein Verdächtiger genannt. Die meisten ›Royla Ripper‹-Theorien beschreiben den Prinzen als einen frauenhassenden Homosexuellen, der von der Syphilis wahnsinnig geworden war. Durch seine Erfahrung aus der Hirschjagd soll er gewußt haben, wie man Leichen ausnimmt. Probleme: Kein Beweis führt zu den Morden; kein Nachweis von Syphillis; offizielle Aufzeichnungen belegen, daß er zu den Zeitpunkten aller fünf Morde weit weg von London war; schwule Serienmörder suchen meist gleichgeschlechtliche Opfer.« (Newton, 190) The Ripper greift alle Punkte der Hypothese auf und lässt dabei die »Probleme« außer acht. Prinz Albert wird in der Tat als Psychopath dargestellt: Immer wieder präsentiert uns der Film verschwommene und ineinander kopierte Bilder des Prinzen in Zeitlupe, die jeden Ausdruck seiner Miene einfangen sollen. Zum Beleg seiner »Wahnsinns-Hypothese« ist dem Film jedes Mittel recht: Nachdem der Prinz von einem Pferd im Galopp abgeworfen wird, bringt er dieses in den Stall zurück und reibt es in einer langen Einstellungskette mit Petroleum ein, um es schließlich bei lebendigem Leibe zu verbrennen.

The Ripper versucht sich in recht genauen Milieu-Studien des viktorianischen Englands. Die feine Gesellschaft trifft sich in Clubs, um über den neuesten Tratsch zu diskutieren – nicht zuletzt auch über Jack the Ripper, der in Form des Prinzen Albert (Samuel West) stets anwesend ist und die neuesten Informationen über die Ermittlungen von den Ermittlern Inspector Jim Hanson (Ptrick Bergin) und Sergant Tommy Bell (Adam Couper) abgreift. Im Kontrast dazu wird das chaotische Londoner East End als das Armenhaus der Stadt inszeniert. Die Ripper-Morde haben alle Einwohner verschreckt; doch so weit, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, gehen die Huren dann doch nicht. Als Inspector Hanson schließlich auf eine Spur des Rippers kommt, wendet sich das Blatt. Die junge Prostituierte Florry Lewis (Gabrielle Anwar) ist die einzige Augenzeugin, die den Ripper beschreiben kann und daher in besonderer Gefahr schwebt. Sie wird vom Ermittler schließlich überredet, aus dem East End zu sich in die Wohnung abzutauchen, bis der Täter gefasst ist. Der Polizeibeamte verstrickt sich in eine Liebesbeziehung zu dem Mädchen, die ihn schließlich einen starken Gewissenskonflikt bringt: Sein Vorgesetzter Sergant Bell hat vor, das Mädchen als Köder zu benutzen, um Hansons Hypothese, dass Prinz Albert der Täter sei, belegen zu helfen. Während eines Club-Treffens wird die Information, wo sich die Zeugin aufhält, wie zufällig im Ohr des Prinzen platziert und dieser wird auch prompt aktiv, kann jedoch vor dem finalen Mord gestellt werden und wird in die Verbannung geschickt, in der er – einige Texttafeln des Epilogs klären uns auf – wenige Jahre später an der Syphilis stirbt. Die teilweise exakte Benennung von historischen Persönlichkeiten und Umständen verhilft dem Stoff zu hyperrealistischer Glaubwürdigkeit und unterstützt so den »Hypothesencharakter« des Spielfilms.

From Hell geht darin noch einen entscheidenden Schritt über The Ripper hinaus. Sowohl die Schilderung des London im ausgehenden 19. Jahrhundert wirkt noch authentischer (nicht zuletzt durch vielfach in die Handlung eingewobene historische Begebenheiten) als auch die Anzahl der Hypothesen wird in dieser bislang jüngsten Adaption vervielfacht. Durch einen geschickten Aufbau der Erzählung stellen sich zum Schluss nahezu alle Hypothesen über die Identität Jack the Rippers als »richtig« heraus. From Hell liefert für eine handvoll Verschwörungstheorien die filmischen »Beweise«. Der Profiler Fred Abberline (Johnny Depp) nutzt als Ermittlungsmethode im Wesentlichen die bei ihm unter Opium-Rausch auftretenden Visionen und hat damit sogar Erfolg. Seine Wahrnehmungen werden dem Zuschauer in Form grell eingefärbter Inserts präsentiert.

Erstaunlich an From Hell ist, wie fast sämtliche historischen und fiktiven Elemente des Ripper-Falles sowie etliche Elemente der Vorgängerfilme in einem Punkt zusammengeführt werden. Der Film wirkt dadurch wie eine Zusammenfassung der Fallgeschichte – und für das Comic, das From Hell ihm als Grundlage diente, wurde in der Tat über Jahre hinweg zum Jack the Ripper-Fall recherchiert. Darüber hinaus sind zahlreiche intertextuelle Verweise auf historische Begebenheiten in die Handlung verwoben; so erleben wir en passant die Präsentation des Elefantenmenschen John Merrick (ein Mythos aus einem anderen filmischen Universum, auf den hier referiert wird) auf einer Londoner Tagung, den Alltag in einem Irrenhaus der viktorianischen zeit sowie die Ausläufer einer irischen Rebellion.

From Hell ist bislang der hyperrealistische Endpunkt der Auseinandersetzung mit dem Ripperfall, der die Agonie des Profilers besonders deutlich vor Augen führt. In der verwirrenden Vielzahl widerstreitender Hypothesen über die Mögliche Lösung des Ripperfalls kann kein abschließendes Urteil getroffen werden, denn die Beweise sind nichts weiter als Indizien, die sich aufgrund der historischen Distanz nicht mehr verifizieren lassen. Der Text muss notwendig Fragment bleiben – und selbst dann, wenn sich die Indizien doch noch verdichten sollten (die kürzlich durchgeführte DNA-Untersuchung am Leichentuch Kaspar Hausers hat ja auch einen Schlusspunkt hinter die verschiedensten – auch filmischen – Verschwörungstheorien gesetzt) hat die Kriminalistik im Fall Jack the Ripper versagt: Der Mörder ist ungeschoren davongekommen. Daran ändern selbst nachträgliche Dokumentarfilme, wie etwa Stephen Knights Jack the Ripper – The final Solution von 1995, nichts. Die Hypothesen bleiben unbelegbar. Der Auftrag der Filmgeschichte ist es, dieses Faktum in Sisyphosarbeit immer und immer zu wiederholen – dem Profiler sein Versagen immer und immer wieder vor Augen zu führen.

Literatur:

  • Golde, Inga. Der Blick in den Psychopathen. Kiel: Ludwig, 2002.
  • Harbort, Stephan. Mörderisches Profil. Phänomen Serientäter. Leipzig: Militzke, 2001
  • Juhnke, Karl. Das Erzählmotiv des Serienmörders im Spielfilm. Eine filmwissenschaftliche Untersuchung. Wiesbaden: DUV, 2001
  • Knight, Stephen. Jack the Ripper – The final Solution. London: HarperCollins, 2001 (auch als Dokumentarfilm)
  • Meiderding, Gabriele. Psychokiller – Massenmörder und alltägliche Gewalt. Reinbek: Rowohlt, 1993
  • Murakami, Peter & Julia. Lexikon der Serienmörder. 450 Fallstudien einer pathologischen Tötungsart. München: Ullstein, 2001
  • Newton, Michael. Die große Enzyklopädie der Serienmörder. Graz: Stocker, 2002
  • Ryder, Stephen P. & Johnno, Casebook – Jack the Ripper: www.casebook.org (1996 – 2003)

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.