Antikino

Antikörper, D 2005, Christian Alvert

Der vieldeutige Titel sowie das aussagekräftige Filmplakat lassen mehr Körperlichkeit vermuten als „Antikörper“ tatsächlich zu bieten hat. Zwar läuft der Hauptbösewicht Gabriel Engel (André Hennicke) schon in der Eröffnungssequenz nackt durch das Bild (das hätte man Hannibal Lector, der an einer Stelle als Referenzfigur erwähnt wird, nicht zugetraut), ansonsten aber bleibt der Film seltsam zugeknöpft und vermeidet auf ästhetischer Ebene genau diejenigen Abgründe, die er verbal deklariert. Dem Mörder mit einem recht gruseligen „modus operandi“ – er lässt seine Opfer (meistens Jungen im Teenageralter) ausbluten und malt mit ihrem Blut Bilder – wird direkt am Anfang durch einen dramaturgischen Fehler fast jeder Schrecken und jede Faszination genommen: Der Regisseur lässt seinen Antihelden während der Tat aus dem Off zum Publikum (bzw. zu sich selbst) sprechen und seine Motive für die Mordtaten darlegen. Er tötet nämlich aus Angst, nach seinem Tod in Vergessenheit zu versinken und nichts Großes zustande gebracht zu haben (was übrigens keine wirklich originelle Erklärung für einen mit den Konventionen der Serienmörderfilme vertrauten Zuschauer ist). Sind die psychologischen Beweggründe des Mörders einmal genau geklärt (und sie werden im Laufe des Films nicht mehr revidiert), geht die Spannung, die sich für den Zuschauer aus der Begegnung mit dem Unfassbaren und Unverständlichen in jedem gelungenen Thriller resultiert, verloren. Das ist um so bedauerlicher, weil Hennicke als Schauspieler für die Verkörperung angsteinflößender Bösewichtfiguren durchaus geeignet ist. Das hat er kürzlich in „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ bewiesen, wo er sehr überzeugend in der Rolle des Präsidenten des NS-Gerichts Roland Freisler agierte.

In „Antikörper“ bekommt Hennicke dagegen keine Chance, sein schauspielerisches Potential zu entfalten. Das Drehbuch ist ihm dabei genauso hinderlich, wie der mit seiner Leinwandpräsenz merklich überforderte Partner Wotan Wilke Möhring. Der letztere spielt einen Dorfpolizisten namens Michael Martens, der den inzwischen gefassten Engel aus Eigeninitiative befragt, und zwar in der Hoffnung, neue Indizien im Fall des in seinem Bezirk ermordeten Mädchens aufzutreiben. Die Psychospielchen mit dem (homosexuellen) Serientäter, auf die er sich dabei einlässt, sollen offensichtlich auf das Duell Anthony Hopkins – Jodie Foster aus dem „Schweigen der Lämmer“ anknüpfen, wirken aber unfreiwillig komisch und bewegen sich stellenweise an der Schwelle der ästhetischen Schmerzgrenze.

Was der Film auf dramaturgischer Ebene nicht zustande bringt, versucht er durch Aneinanderreihung drastischer Aussagen auszugleichen, die dann oft solange ausgeschlachtet werden, bis sie ihre Wirkung als provokanter Gag vollständig verlieren. Das gilt sowohl für die von Engel mitten im Verhör wiederholt an sein Gegenüber gestellte Frage: „Was denkst du, wenn du deine Frau fickst?“ als auch für den etwas penetranten Gebrauch des Wortes „Wichser“, das der mit dem Fall betraute Kommissar Seiler (Heinz Hoenig) zur Bezeichnung seines „Schützlings“ immerwährend benutzt. Auch die zentrale Sexszene, die den Sündenfall Michaels, der in der Stadt Ehebruch begeht, versinnbildlicht, kommt weder erotisch noch besonders sündhaft rüber, obwohl der Regisseur das Paar jede erdenkliche Stellung ausprobieren und einige der sexuellen Handlungen deutlich beim Namen nennen lässt.

Das Einzige, was im Film für wahre Gänsehaut sorgt, ist der Lebensstil von Michaels religionsbetonter Familie. Wenn die Eltern in einem ausgedehnten Erziehungsgespräch ihren Teenagersohn (Hauke Diekamp) nach den Gründen befragen, seinen Penis einer Klassenkameradin gezeigt zu haben, hat man für einen Augenblick den Eindruck, die wahren Psychopathen des Films in Gestalt von Michael und seiner Frau Rosa (Ulrike Krumbiegel) vor sich zu haben. Etwas beruhigt wird man dann durch das Presseheft, in dem der Regisseur Christian Alvart seinen moralisierenden Dorfpolizisten „eine aussterbende Gattung Mensch“ nennt. Die Frage ist dann, ob es wirklich nötig war, dem Mörder, der schon per definitionem eine extreme Abweichung von der Normalität darstellt, eine Figur gegenüberzustellen, die in ihrem religiösen Eifer ebenfalls die Norm überschreitet und daher einer eigenen psychologischen Motivation bedürfte, die vom Drehbuch leider nicht geliefert wird? Die uninspirierte Kameraführung tut ein Übriges, um den eher negativen Gesamteindruck zu verstärken. Die Bemühungen, großes Kino zu schaffen, nimmt man dem Produktionsteam durchaus ab, was aber dabei rauskommt, ist bestenfalls nur Fernsehen.

Antikörper
(Deutschland 2005)
Regie: Christian Alvart; Buch: Christian Alvart; Kamera: Hagen Bogdanski; Musik: Michl Britsch
Darsteller: Wotan Wilke Möhring, André Hennicke, Heinz Hoenig, Ulrike Krumbiegel, Nina Proll u.a.
Länge: 127 Minuten
Verleih: Kinowelt

Ekaterina Vassilieva-Ostrovskaja

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