»den langweiligen Teil weglassen«

Umberto Eco hat 1989 über den Pornofilm resümiert: „Wenn die Protagonisten des Films länger brauchen, um sich von A nach B zu begeben, als man es sehen möchte, dann handelt es sich um einen Pornofilm.“ Ende der 1980er Jahre schien diese Aussage trotz all ihrer Ironie noch zuzutreffen: Das Kino war langsamer und gerade Filme, in denen es schnell „zur Sache“ gehen muss, haben durch die Länge ihre Einstellungen mehr Erwartungen im Zuschauer aufgebaut als das Kommende dann häufig rechtfertigen konnte. Mit der zunehmenden Dynamisierung der Montage, angeleitet durch die Ästhetiken des Musikfernsehens hat sich zusätzlich eine Ungeduld im Zuschauer breitgemacht, die es heutigen, jüngeren Generationen angeblich schon schwer machen soll, Plansequenzen in Filmen wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ überhaupt noch pausenfrei durchzustehen. Diese „junge Generation“ von Filmzuschauern scheint genau die Zielgruppe von Filmen wie „Speed Racer“ oder „Jumper“ zu sein. Erstaunlich, dass gerade letzerer einen der ältesten Filmtricks überhaupt benutzt, um derartig neu zu wirken.

Um ehrlich zu sein: Der Plot von „Jumper“ verdient es beinahe nicht erwähnt zu werden. Dass es hier dennoch geschehen soll, will nur zeigen, dass die Form-Inhalt-Diskrepanz eines solchen Films zu interessanten Gedankenspielen verleiten könnte, denn „Jumper“ erzählt eine Geschichte voller Lücken und Sprüngen. Der Film ist streckenweise so elliptisch wie es das ganz frühe Kino gewesen ist, bei welchem noch Zwischentitel und Filmerklärer über die narrativen Abgründe hinweg geholfen haben. Erzählt wird in „Jumper“ von dem Teenager David Rice (Hayden Christensen), der bei einem Eis-Unfall erstmals entdeckt, dass er „jumpen“ kann: Er braucht bloß an einen anderen Ort als denjenigen, an dem er sich gerade befindet, denken, und schon ist er dort – ohne die Strecke dazwischen zurückgelegt haben zu müssen. In besagter Unfall-Sequenz rettet David dies das Leben. Er lässt seine Heimatstadt hinter sich, begibt sich auf Bankraubzüge, wobei er mit Hilfe seiner Fähigkeit in Tresore eindringt, ohne sie vorher öffnen zu müssen, und beginnt ein großspuriges Leben als „Weltreisender“ mit Basis in einem New Yorker Penthouse-Appartement. Als er an seinen Heimatort zurückkehrt, um seine Jugendliebe Millie (Rachel Bilson) auf einen Sprung nach Rom einzuladen, bleibt dies nicht unbemerkt. Ein ominöser Mann namens Roland (Samuel L. Jackson) verfolgt ihn. Roland gehört zu einer christlichen Sekte, die seit tausenden Jahren Jumper jagt, weil sie meint, sie gerierten sich wie Gott. Nur der darf angeblich überall gleichzeitig sein, weswegen Roland und seine Paladine (so der Name der Sekte) alle Jumper töten. David wird von Roland überrascht, als er mit Millie das römische Colosseum besucht. Plötzlich betritt aber noch ein weiterer Jumper die Arena: Griffin (Jamie Bell). Er hat sich vorgenommen alle Paladine zu eliminieren. Zusammen begeben sich David und Griffin in den Kampf.

Zunächst verkauft sich „Jumper“ als eine Mixtur aus Coming-of-Age-Geschichte, Freud’schem Familienroman und Bebilderung adoleszenter Hybris. David ist auf der Suche nach sich selbst, auf der Suche nach seiner Mutter (ein etwas stiefmütterlich gehegter Seiten-Erzählstrang) und dann auf der Suche nach seinem symbolischen Über-Vater Roland, an welchem er sich zu beweisen hofft. Das Drehbuchautoren-Dreigespann packt also alles in seinen Film, was angeblich eine psychologisch plausible Entwicklungsgeschichte ausmacht. Zeit bleibt den Autoren allerdings nicht, alles auszuführen. So entstehen die bereits erwähnten Lücken im Text, über die der Film durch seine Schauwerte hinweg zu springen versucht. Es ist das Wesen des mit dem Filmtitel namensverwandten Jump-Cuts, Dinge wegzulassen, die für den Erzählfortgang nur rudimentär von Interesse sind. Der Jump-Cut ist für den Bilderfluss des Films das, was die Ellipse in der Rhetorik der Erzählung ist – mit dem selben Effekt: Straffung, Beschleunigung und ein gewisses Maß an Selbstreflexivität. Denn immer dann, wenn gesprungen wird, wird der scheinbar kontinuierliche oder durch die unsichtbare Montage gekittete Bilderfluss unterbrochen und der Film weist auf sich selbst als Zeitmaschine hin. Dass „Jumper“ nun diese Sprünge vollführt und zudem noch narrativ verdoppelt, ist ein nettes Bonmot – den Film als erzählendes Artefakt rettet das jedoch zunächst genauso wenig, wie Millies flapsiger Kommentar, David könne „den uninteressanten Teil weglassen“, als die beiden sich nach einigen Jahren wiedertreffen und sich erzählen, wie es ihnen zwischenzeitlich so ergangen ist.

Interessant ist hier vielmehr, dass das Jumpen, dessen sich David und Griffin bedienen, um schnell von A nch B zu gelangen, einen uralten Filmeffekt ins Gedächtnis zurückruft. Es war Georges Méliès, der den so genannten „Stopp-Trick“ durch Zufall entdeckt haben soll: Als seine Filmkamera beim Drehen einmal blockiert war und er einige Zeit braucht, die Blockade zu lösen und dann weiterzudrehen, entdeckte er, dass sich die Dinge, die noch kurz zuvor auf dem Bild zu sehen gewesen sind, nun „plötzlich“ verschwunden waren oder andere Dinge an ihrer Stelle waren. Das Jumpen in Doug Limans Film funktioniert nicht anders, nur dass es digital noch etwas aufpoliert wurde. Durch die Sprünge entstehen Verwirbelungen im Raum-Zeit-Kontinuum (mit ein wenig allgemeiner Relativitätstheorie ließe sich das vielleicht sogar plausibel erklären, denn „Jumpen“ bedeutet ja nichts anderes als mit Lichtgeschwindigkeit zu reisen). Jumpen ist ein unnatürlicher Prozess und ein ästhetisch vielseitiger ebenso. Betrachtet man die Geschichte des Jumpens einmal von ihren Anfängen (etwa Melies „The Black Imp„) über ihre filmästhetische Mehrverwertung (etwa in Godards „À bout de Souffle„) bis hin zu „Jumper“, stellt man schnell fest, dass der Bildsprung nicht immer eindeutig zu dekodieren ist. Mal dient er als Spezialeffekt mal als Ausdrucksmittel, zuletzt sogar als Narrativ. „Jumper“ stellt sich mit seinem digital überaus elaborierten Effekten in die Tradition dieser Verwendungsweisen und formuliert nebenher sogar noch deren Regeln, als wären es physikalische Gesetze und nicht Übereinkommen zwischen Filmproduktion und -rezeption.

Vielleicht muss man es Filmen wie „Jumper“ ja sogar zugutehalten, dass sie so wenig Energie auf ihren Plot und dafür umso mehr auf ihre Bildhaftigkeit legen. Wie viele großartige Filme haben mit dem einen schon vom anderen abgelenkt, so dass man sie erst nach der zweiten Sichtung richtig wertschätzen lernen konnte. „Jumper“ passiert das nur dann, wenn man den brüchigen Plot selbst als Symptom ausweist. Dann ist er sogar als eine kleine Anklage zu verstehen. Eine Anklage gegen die Beschleunigung des Films, bei der letztlich die Erzählung in den Abgrund stürzt und nur noch die Bilder genügend Aufmerksamkeit stiften können. Kleine Hinweise darauf gibt es in Limans Film: Nicht nur wird gar nicht bei allen Jumps auch geschnitten (sondern die Sprünge finden im Bild selbst statt) und daher die Geschwindigkeit des Films nur geheuchelt, auch nimmt er sich viel Zeit, die angesprungenen, exotischen Reiseziele seiner Helden in fulminanten Kameraflügen vorzuführen. Gerade die nicht selten angesteuerten Wüstenregionen erinnern dann schon fast wieder ein bisschen an „Spiel mir das Lied vom Tod“.

Jumper
(USA 2008)
Regie: Doug Liman; Drehbuch: David S. Goyer, Jim Uhls, Simon Kinberg; Musik: John Powell; Kamera: Barry Peterson; Schnitt: Saar Klein, Dean Zimmerman, Don Zimmerman
Darsteller: Hayden Christensen, Jamie Bell, Rachel Bilson, Diane Lane, Samuel L. Jackson, Michael Rooker u. a.
Länge: 88 Minuten
Verleih: Kinowelt

Die Blu-ray-Disc von Kinowelt

Die Blu-ray-Disc wirkt im Vergleich mit anderen Produktionen aus demselben Haus ein wenig lieblos gemastert. Das Menü ist recht spartanisch ausgefallen und außer einem Audiokommentar gibt es keinerlei Extras zum Hauptfilm (abgesehen von Kinowelt-Trailern). Das Bild wirkt zweitweilig etwas körnig und dunkel, nicht jedoch so sehr, dass es den deutlichen Qualitätssprung zwischen der Blu-ray- und der DVD-Edition des Films verundeutlichen würde.

Die Ausstattung der Blu-ray im Einzelnen:

Bild: 1920 x 1080 Full HD / 2,35:1
Sprachen/Ton: Deutsch (7.1 DTS-HD Master Audio), Englisch (7.1 DTS HD-HD High Resolution Audio)
Untertitel: Deutsch
Extras: Audiokommentar von Regisseur Doug Liman, Drehbuchautor/Produzent Simon Kinberg und Produzent Lucas Foster, Trailer
FSK: ab 12 Jahren
Preis: 24,99 Euro
Veröffentlichung: 22.08.2008

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Eine Antwort auf „»den langweiligen Teil weglassen«“

  1. Interessanter Blickwinkel auf diesen Film! :-) Ich habe ihn als „blosses Popcorn-Kino“ betrachtet und hatte so 1,5 Stunden Spaß. Durch stringentes Erzählen überzeugt dieser Film in der Tat nicht – aber er macht Spaß! ;-)
    Liebe Grüße,

    André

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