Das ideale Produkt

Spielt ein Film in schnneeverwehter Landschaft, heißt das meistens, dass es unter der Oberfläche gewaltig brodelt. Lars (Ryan Gosling) ist 27 und lebt seit Jahren allein in der Garage. Menschen im allgemeinen plagen ihn, besonders im Beisein von Frauen bekommt er keinen Ton heraus. Sein Bruder Gus und dessen Frau trauen ihren Ohren kaum, als Lars ihnen eines Tages die erste Freundin vorstellen will. Vorsichtshalber erwähnt Lars  noch, dass Bianca etwas exotisch ist, sie sitzt im Rollstuhl und kommt aus Brasilien. Was er nicht erwähnt: Bianca ist eine Puppe.
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Was zunächst wie ein Scherz klingt, wird bald handfester, denn Bianca bringt nicht nur anatomisch alle Voraussetzungen für eine vollwertige Beziehung mit. Auch beginnt Lars sich mit ihr zu unterhalten, sie zu küssen, einzukleiden und ins Bett zu bringen. Gus (Paul Schneider) hält ihn für einen Spinner, nur Karin (Emily Mortimer) ist klar, dass es sich um ein ernsthaftes Problem handeln muss. Unter einem Vorwand bringen sie ihn zu Dagmar (Patricia Clarkson), der Psychologin. Dagmar wird schnell klar, dass ihr Patient nicht spinnt, sondern mit seiner ganz speziellen Wirklichkeit ziemlich glücklich ist.

Mit Lars and the Real Girl, so der Originaltitel von Lars und die Frauen, geht es dem allgegenwärtigen Zwang zur Authentizität an den Kragen. Auch deswegen, weil das Kapitalistische darin zwar unsichtbar bleibt, aber dennoch eine Hauptrolle spielt. Das Real Girl, also die Puppe als echte Frau ist die maximale Verneinung ihres Anspruchs – eben das ideale Produkt. Eine Kopfgeburt. Bianca ist frei von jeglichen Attributen. Und damit auch frei von Widersprüchen und Enttäuschungen. Ihre Eigenschaften werden vom Käufer selbst hinzugefügt. Da sie selbst keinen hat, erfüllt sie jeden Wunsch und ist somit die Traumfrau schlechthin. Ein Phantasma der virtuellen Welt, dem schon 1985 in Lisa, der helle Wahnsinn die junge Cyberspace-Generation verfiel.

Hinter der pubertären Spielerei von damals steckt inzwischen eine tiefe Unfähigkeit zur Empathie, ein schweres seelisches Leiden. Lars ist einfach nicht in der Lage sich anderen zu öffnen, sich in sie einzufühlen oder irgendwie zu kommunizieren. Er leidet unter Wahnvorstellungen, kann die Wirklichkeit nicht aus verschiedenen Perspektiven wahrnehmen. Lars sieht nur dass, was er sehen will. Genau das allerdings tun alle anderen in der kleinen Stadt, in der er lebt, auch. Sie sehen in Bianca lediglich ein bizarres PVC-Vergnügen, nicht aber ihre immense Bedeutung für Lars. Dabei taut der junge Mann mit ihr regelrecht auf, überwindet seine Hemmungen und entdeckt sogar seine sozialen Qualitäten.

Als eine Art Kollektivobjekt entlarvt die Puppe unter den anständigen Bürgern wie von selbst die Vernarrtheit in die eigenen Konventionen, den ganzen trüben Muff der Normalität. Das anfängliche Kopfschütteln weicht der Selbstbespiegelung. „Deine Ex-Frau zieht ihren Katzen doch auch Kleider an, oder nicht?“, bespötteln sich zwei Nachbarn als es im Gemeinderat darum geht, ob man das skurrile Paar denn nun dulden soll. Der Pastor wirft dazu lapidar die Frage in die Runde, was Gott denn wohl in einem solchen Fall getan hätte. Eine rhetorische Frage. Das Gebot der Nächstenliebe führt dann soweit, dass Bianca bald ein absurdkomisches Eigenleben führt. Sie wird zu allen möglichen Kaffeekränzchen eingeladen, arbeitet gelegentlich als Schaufensterdekoration und hilft einmal in der Woche im Kinderheim. Alle lernen sie lieben. Nur Lars wird langsam eifersüchtig. Er will eine Frau für sich alleine – doch die will er nicht sehen.

Craig Gillespies Film Lars und die Frauen ist weder moralinsauer noch kalauernd, sondern eine ebenso ernsthafte wie süffisante Lehrstunde in Sachen Toleranz und Einfühlungsvermögen. All die zwischenmenschlichen Echtheitsbemühungen, die oft so angestrengt wirken, werden hier auf den Kopf gestellt und liebevoll ad absurdum geführt. Nebenbei wird die Liebesblödigkeit aus den abgenudelten Lovestories des Boy-meets-Girl-Schemas ordentlich herausgeschüttelt. Das hat den erstaunlichen Effekt, dass man entdeckt, wieviel Gefühl in einem leblosen Ding steckt, dass einem anderen soviel bedeutet. Es ist die Neu-Entdeckung des Mitfühlens, auf dass das Kino so sehr baut und das in den seltensten Fällen aufrüttelnd und zärtlich zugleich ist. Es kommt also Einiges zum Vorschein, nachdem der Schnee geschmolzen ist, und man muss schon in einem Eisschrank wohnen, um diesen Film nicht zu mögen.

Lars und die Frauen
(Lars and the Real Girl, USA, 2007)
Regie: Craig Gillespie; Buch: Nancy Oliver; Kamera: Adam Kimmel; Musik: David Torn
Darsteller: Ryan Gosling, Emily Mortimer, Paul Schneider, Patricia Garner, Kelli Garner
Länge: 108 Minuten

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