Die Herrschaft des Pöbels

In einem Nobelrestaurant sitzen der Gangsterboss Claude Corti (Philippe Caubére) und seine Männer um eine riesige Schale mit Austern und Meeresfrüchten, aus der sie sich gierig mit den Händen bedienen. Mehrere Flaschen Champagner und Schnaps stehen herum und lassen das gemeinsame Essen zum Gelage ausarten. Mittendrin greift einer von Cortis Untermännern eine Auster, riecht daran und sagt: „Wie eine ukrainische Nutte!“ Der ganze Tisch bricht in ein gröhlendes Gelächter aus …

Diese Szene aus Frédéric Schoendoerffers „Crime Insiders“ ist absolut paradigmatisch für seinen ganzen Film, der – fast 20 Jahre nach Scorseses „Good Fellas“ – wie eine desillusionierte Bestandsaufnahme dessen wirkt, was vom einstigen Gangsterglamour noch übrig geblieben ist. Claude Corti, unangefochtener Herrscher der Pariser Unterwelt, handelt mit Drogen und Nutten, befehligt einen ungebildeten Haufen brutaler Verbrecher, und ist mit dem Charisma einer Bulldogge gesegnet. Seine hängenden Wangen ziehen seine Mundwinkel nach unten, seine Augen scheinen immer nur das Schlechte im Gegenüber zu sehen. Wer sich mit ihm anlegt, ist entweder bald tot oder wird zumindest brutal gefoltert wie Johnny, der für seine andauernde Zahlungsunfähigkeit mit einem Holzstab anal penetriert wird. Dass es immer wieder Bestrebungen der Konkurrenz gibt, Corti abzulösen, ist daher kaum verwunderlich. Die beiden arabischen Cousins Hicham (Mehdi Nebbou) und Larbi (Tomer Sisley), die bei einem Drogendeal im Auftrag Cortis fast ihr Leben verloren haben, planen seine Stelle einzunehmen, während dieser eine dreijährige Haftstrafe absitzt. Den Mordauftrag soll ausgerechnet der Profikiller Franck (Benoit Magimel) ausführen, auf den Corti so große Stücke hält …

crimeinsiders_poster01.jpgNach den 103 Minuten von Schoendoerffers Film, einer nie abreißenden Folge von brutalen Gewalttaten, Exekutionen am laufenden Band, vulgärer Gossensprache, männlicher Machtdemonstrationen und Imponiergehabe, dem sinnlosen Geprotze mit Geld, Luxusgütern und Drogen sowie einem Kommen und Gehen der zahlreichen handelnden Figuren, fühlt man sich als Zuschauer erst einmal nahezu überfahren. Schoendoerffer romantisiert nicht, noch moralisiert er, ja, er erzählt noch nicht einmal: Er begnügt sich damit zu zeigen und kreiert so ein Epos von fast Shakespeare’schen Ausmaßen. Wo andere Gangsterfilme den narrativen Rahmen durch ihre Hauptfigur bestimmen lassen – Aufstieg und Fall, drei Jahrzehnte in der Mafia –, ist der Rahmen von „Crime Insiders“ nahezu willkürlich gesteckt. Wenn Corti am Ende tot auf der Straße liegt, erschossen durch seinen Freund Franck, dann ist das nur vordergründig ein Abschluss, denn wir ahnen, dass sich nichts ändern, sondern vielmehr alles wiederholen wird, nur mit neuen Gesichtern. Der Gangsterfilm von einst, der immer auch von einem Ehrenkodex erzählte, von ehernen Prinzipien, die seine Protagonisten vielleicht nicht zu strahlenden Helden machten, wohl aber zu Charakteren mit moralischer Integrität, ist mit „Crime Insiders“ mit einem krachenden Getriebe verreckt. Hier regiert der Pöbel, lichtscheues Gesindel ohne Stil und Manieren, ohne Ziel, ohne Plan, ohne Sinn. Nur der Killer Franck scheint eine Ausnahme, erinnert entfernt an den Delon, den man aus Melvilles Gangster- und Copfilmen kennt: ein schweigsamer Profi, unterkühlt, hoch konzentriert, nie außer Kontrolle geratend. Mehrfach lehnt er die Partnerschaft mit dem gröhlenden Choleriker Corti ab, lieber arbeitet er für sich allein, anstatt sich im beinahe inzestuösen Beziehungsgeflecht der Gangs zu verstricken. Aber auch für ihn zählt nur das Geld: Ohne zu zögern nimmt er den Auftrag, Corti zu töten, an. Dank bekommt er dafür aber nicht, im Gegenteil. Aber als seine Auftraggeber auch ihn umbringen wollen, ist Franck bereits in Afrika. Ein Mann wie er, der keine Fragen stellt, findet überall Arbeit, so steht zu vermuten. Der Pöbel stirbt nicht aus.

„Crime Insiders“ ist kein einfacher und schon gar kein schöner Film. Aber er beeindruckt in seiner Radikalität. Schoendoerffer hat einst mit seinem Debüt, dem phänomenalen „Scènes de Crimes“ (der in Deutschland leider immer noch auf eine Veröffentlichung wartet), auf geschickte Art und Weise Police Procedural und Profilerfilm verknüpft, mit „Crime Insiders“ trägt er nun ein Genre zu Grabe, das sich seit besagten zwanzig Jahren in der Retro-Coolness gefangen sieht. Es ist ein böses Erwachen, wenn wir erkennen, wen wir da hofiert haben …

Crime Insiders
(Truands, Frankreich 2007)
Regie: Frédéric Schoendoerffer, Drehbuch: Yann Brion, Frédéric Schoendoerffer, Kamera: Jean-Pierre Sauvaire, Musik: Bruno Coulais, Schnitt: Irene Blecua
Darsteller: Benoît Magimel, Philippe Caubére, Béatrice Dalle, Olivier Marchal, Mehdi Nebbou, Tomer Sisley
Länge: ca. 103 Minuten
Verleih: EuroVideo

Zur DVD von EuroVideo

Die DVD ist technisch einwandfrei und wartet mit einem Making of, einer Bildergalerie und einem Trailer auf.

Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 2,35:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, DTS 5.1), Französisch (Dolby Digital 5.1)
Extras: Making of, Bildergalerie, Trailer
Länge: ca. 103 Minuten
Freigabe: keine Jugendfreigabe

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