Der Tag danach

In Alfred Weidenmanns „Der Stern von Afrika“, einem Film über den deutschen Kriegshelden Hans-Joachim Marseille, gibt es eine Szenenfolge, die gut das Problem des deutschen Kriegsfilms der Fünfzigerjahre illustriert:In den ersten Minuten begleitet der Film Marseille (Joachim Hansen) und seine Freunde, die alle auf die Fliegerakademie gehen, sich mit ihren Freundinnen am Wannsee vergnügen, von großen Heldentaten träumen und deshalb nicht nur insgeheim den Krieg herbeisehnen. Jener bricht dann auch tatsächlich los und unvermittelt über den Film herein: Eine Stimme ertönt in Wochenschau-Manier aus dem Off und verkündet zu passenden Archivbildern, dass der Krieg nun ausgebrochen sei, bevor der Film seine Handlung wieder aufnimmt. In dieser erzählerischen Hilflosigkeit offenbart sich das Problem des deutschen Nachkriegs-Kriegsfilms: Zur „Vergangenheitsbewältigung“ gehört auch die Schaffung eines geeigneten ästhetischen Konzepts, das das Unerklärliche, Unsagbare in Bilder fassen kann. Alfred Wiedenmann gelingt dies noch nicht: Er kann den Krieg für Zuschauer und Protagonisten nur als Zäsur setzen, obwohl er sich doch von langer Hand abgezeichnet hatte. Ein gutes Beispiel für das Maß an Verklärung und das anhaltende Unverständnis, mit dem man in Deutschand das Vergangene betrachtete.

kriegsfilm.jpgDie in der von Arthaus veröffentlichten „Kriegsfilm-Edition“ enthaltenen Filme datieren aus dem Zeitraum zwischen 1954 („Canaris“, „Des Teufels General“) und 1959 („Die Brücke“) und ergeben ein erstaunlich homogenes Bild deutscher Nachkriegsbefindlichkeit. Trotz ihrer Verortung im und um den Zweiten Weltkrieg herum – „Canaris“ und „Der Stern von Afrika“ setzen jeweils schon vor Kriegsbeginn an, „Der Arzt von Stalingrad“, einem Film nach einem berühmten Konsalik-Roman, spielt in einem russischen Kriegsgefangenenlager nach Kriegsende – hat man es kaum mit klassischen Kriegsfilmen zu tun. Mit Ausnahme von „Die Brücke“ und „Hunde, wollt ihr ewig leben“, die sich sehr direkt mit dem Kampfgeschehen befassen, werden vielmehr Elemente der Liebesschnulze, des Abenteuer- und Agentenfilms, des Biopic und des Melodrams verquickt. Der Krieg dient eher als Hintergrund für seine in diesen Genres verhafteten Geschichten, wohl auch, weil die Distanz noch nicht groß genug war, um sich mit dem Erlebten ernsthaft auseinanderzusetzen. Die Luftkämpfe aus „Der Stern von Afrika“ (der aufgrund seiner Heldenverherung und Kriegsromantisierung seinerzeit von der Kritik in einem Atemzug mit den von Goebbels forcierten Propagandafilmen genannt wurde) scheinen mit dem Rest des Krieges nichts zu tun zu haben und die Ereignisse des Afrikafeldzugs werden in „Rommel ruft Kairo“ zum sportlichen Wettkampf verklärt (passend zum bis heute kolportierten Bild dieser Kämpfe). Im Agentenfilm „Der Fuchs von Paris“ ist der Krieg physisch abwesend, wird der Materialschlacht an der Front das Kräftemessen der Geheimdienste in den Städten entgegengesetzt, in „Des Teufels General“ nach einem Roman von Carl Zuckmayer findet der Krieg nur in den Besprechungs- und Verhörzimmern der Machthaber statt. Bis zu „Hunde, wollt ihr ewig leben“ ist der Zweite Weltkrieg im Film einer, in dem keine allzu direkte Auseinandersetzung mit dem Feind stattfindet, dessen Schrecken lediglich auf das Konto einiger weniger im Kontrast zu alten deutschen Werten gezeichneten Bürokraten geht, die die Mehrheit „im Griff“ haben.

stalingrad.jpgDer Hauch von Verklärung, den man aus dem deutschen Heimat- und Familienfilm der Nachkriegszeit kennt, weht also auch durch den Kriegsfilm dieser Tage. Dessen apologetischer Charakter ist evident: Seine Protagonisten sind allesamt gute, man könnte gar sagen echte Deutsche, die im Kontrast zu den „undeutschen“ Kriegsverbrechern der SS und dem Führungskreis der NSDAP charakterisiert werden und sich für einen „humanen“ Krieg einsetzen. Der Horror des Zweiten Weltkriegs ist in letzter Konsquenz nicht dem deutschen Kollektiv anzulasten: Die Schuld besteht nicht darin mitgemacht, sondern vor allem darin, sich nicht rechtzeitig erhoben zu haben. Von „Canaris“ bis „Der Arzt von Stalingrad“ stricken diese Filme allesamt an der Legende vom „verführten Volk“, dessen grundguten Eigenschaften von den Nazis mit eiskalter Berechnung ausgenutzt wurden und dem man höchstens seine Leichtgläubigkeit vorwerfen muss. Admiral Canaris (O. E. Hasse) sieht von Anfang an, dass es ein böses Ende mit Hitler an der Spitze nehmen wird, versucht die Generäle davon zu überzeugen, dass ein Angriff auf England Wahnsinn und der Anfang vom Ende ist. Letztlich scheitern er und seine Partner an ihrer Zögerlichkeit, die Canaris kurz vor seiner Hinrichtung (er war in das Stauffenberg-Attentat auf Hitler verwickelt) schuldbewusst einräumt. Major Wedekind (Peter Mosbacher), einer der führenden Militärs im besetzten Paris kurz vor dem D-Day, hat eine ähnlich böse Vorahnung: Er will dem Feind mithilfe seines ahnungslosen Neffen Fürstenwerth (Hardy Krüger) die Pläne zur Verteidigung der Normandie in die Hände spielen, damit Hitler von seinem Vorhaben, das Tausenden von Soldaten sinnlos das Leben kosten wird, abweichen muss: Auch er scheitert, hat am Ende zu allem Übel auch noch seinen Neffen auf dem Gewissen. Rommel, eine Schlüsselfigur revisionistischer deutscher Bestrebungen, wird in „Rommel ruft Kairo“ als väterlicher Freund gezeichnet und dem unbeirrbaren Menschenfreund Dr. Fritz Boehler (O. E. Hasse) gelingt es in „Der Arzt von Stalingrad“ mit seiner Menschlichkeit sogar, „den Iwan“ für sich einzunehmen und so die Zustände in dem Kriegsgefangenenlager, in dem er die deutschen Gefangenen versorgt, etwas menschlicher zu gestalten. Die Welt soll also immer noch am deutschen Wesen genesen. Es ist klar, dass der Holocaust in dieses Bild nicht hineinpasst, insofern verwundert es auch nicht, dass er in einem einzigen in der Box enthaltenen Filme überhaupt Erwähnung findet: in „Des Teufels General“, der die Geschichte des alten preußischen Generals Harras (Curd Jürgens) erzählt, der sich in den Suff und vor der Verantwortung flüchtet und seinen Opportunismus hinter letzten Endes harmlosen und selbstverliebten Spötteleien gegen die Nazis versteckt. In der Gegenüberstellung des guten Alten und dem bösen Neuen dupliziert der deutsche Kriegsfilm der Nachkriegszeit das Denken, das Auschwitz überhaupt erst ermöglichte, lädt die Schuldfrage dort ab, wo man sich selbst nicht darum kümmern braucht.

brucke.jpgErst gegen Ende der Fünfzigerjahre scheint sich ein Wandel abzuzeichnen: Frank Wisbars „Hunde, wollt ihr ewig leben“ verfällt in seiner Schilderung der Schlacht um Stalingrad zwar auch in den bequemen Dualismus vom naiven, aber eigentlich guten Landser und den karrieregeilen, unmenschlich-berechnenden Generälen des Führungsstabs, legt sein Hauptaugenmerk aber vielmehr darauf, den Schrecken und die Absurdität jeden Kriegsgeschehens überhaupt aufzuzeigen. Dies gelingt ihm am besten in einer Szene, in der die einander von Hunger und Kälte ausgelaugten feindlichen Parteien einen kurzen Waffenstillstand vereinbaren, um ihre Verletzten zu versorgen. In dieser kurzen sprichwörtlichen Ruhepause versammeln sich die sich eben noch feindlich gesonnenen Parteien um ein Klavier, nur um sich nach Ablauf der Frist wieder gegenseitig zu beschießen. Endgültig vollzogen wird der Schritt vom Nachkriegs- zum Antikriegsfilm aber erst mit „Die Brücke“, einem Film des Schweizers Bernhard Wicki, der den Krieg aus der Sicht einer Gruppe von Jungen erzählt, die in den letzten Kriegstagen, als noch einmal alle verfügbaren Kräfte gegen die drohende Niederlage mobilisiert werden sollen, eingezogen werden und nun all das in die Tat umsetzen wollen, was sie sich in ihrer jugendlichen Naivität an kriegerischen Heldentaten ausgemalt haben. Obwohl „Die Brücke“ ein Film über den Zweiten Weltkrieg ist, ist er in seiner Aussage universeller Natur. Indem Wicki Heranwachsene zu den Opfern (und Tätern) macht, thematisiert er nicht nur die verheerenden Wirkungen des Krieges auf ein Volk oder eine Nation, sondern vielmehr auf die Menschheit überhaupt. Ihm gelingt genau das Kunststück, das seinen Vorgänger noch nicht gelingen konnte, weil sie noch zu sehr den alten Strukturen verhaftet waren: Die Grausamkeit des Geschehens macht er in ihrer ganzen Unfassbarkeit, ihrem ganzen Umfang greifbar.

Die Kriegsfilm-Edition von Arthaus bietet einen hoch interessanten Einblick in die Kriegsrezeption des deutschen Films der Nachkriegsjahre, zeichnet ein sehr genaues psychologisches Bild dieser Zeit und dokumentiert nicht zuletzt ein Stück Film- und Genregeschichte: Hier kann man nicht zuletzt verfolgen wie aus dem Kriegsfilm, der noch den Gesetzmäßigkeiten des Erbauungskinos folgte, der Antikriegsfilm wurde.

Zur DVD-Box von Arthaus

„Kriegsfilm-Edition“ von Arthaus enthält 9 DVDs: Auf jeweils einer befinden sich die Filme:

Auf einer weiteren DVD ist die interessante, mit fantastischem Archivmaterial aufwartende 90-minütige Dokumentation „Der Zweite Weltkrieg – Ursachen und Folgen“, in der Henry Kissinger den Weg vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg nachzeichnet.

Zur Ausstattung der DVDs von Arthaus:

Bild: 1,33:1
Ton: Deutsch (Doby Digital 1.0 Mono)
Extras: Bildergalerien, Texttafeln, Interviews, Trailer, Dokumentation „Der Zweite Weltkrieg – Ursachen und Folgen“
Länge: ca. 807 Minuten
Freigabe: ab 12
Preis: 48,99 Euro

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