Wozu in die Ferne schweifen …

Als 2005 Wilson Yips „SPL“ erschien, da wollte man am liebsten die Renaissance der Hongkong-Action ausrufen, die in den letzten Jahren zwischen Johnnie Tos post-postmodernen Fingerübungen und den Wire-Fu-Orgien des Shaw-Brothers-Reimaginings eines Corey Yuen etwas zu stagnieren drohte. In „SPL“ gelang es Yip auf beeindruckende Art und Weise, die pathosgetränkte, melancholische Film-Noir-Rezeption des Hongkong-Kinos der späten Achtzigerjahre mit in dieser Perfektion bis dahin ungesehenen, rasend schnellen und knochenbrecherischen Martial-Arts-Choreographien von Donnie Yen zu verbinden und eine stilistisch wie inhaltlich hochwertige Alternative zu den Muay-Thai-Exzessen des neueren thailändischen Actionkinos anzubieten. Die Messlatte für Yips neuen Film lag entsprechend hoch. Zu hoch, wie sich leider am Ende von „Dragon Tiger gate“ herausstellt.

dragon.jpgDie beiden Brüder Dragon (Donnie Yen) und Tiger (Nicholas Tse), die hoffnungsvollsten Schüler der Martial-Arts-Schule ihres Onkels, dem „Dragon Tiger Gate“, sind durch die unvorhersehbaren Wendungen des Schicksals auf verschiedenen Seiten gelandet. Während der jüngere Tiger für das Gute kämpft, hat sich Dragon dem Gangsterboss Ma Kwun (Shaw-Brothers-Legende Chen Kuan Tai) verschrieben, der ihm einst das Leben rettete. An dieser Verpflichtung hat er schwer zu knabbern, weiß er doch, dass er eigentlich an die Seite seines Bruders gehört, zumal das „Dragon Tiger Gate“ in den Mittelpunkt eines Bandenkrieges gerät. Als Dragons Ziehvater brutal von den Schergen des finsteren Lousha umgebracht wird, steht der Familienzusammenführung jedoch nichts mehr im Weg und der Kampf gegen den bösen Obermotz kann beginnen …

Bei „Dragon Tiger Gate“ handelt es sich um die Verfilmung eines populären Mangas, was für diejenigen, die auf einen ähnlich ernsten Crimefilm wie „SPL “ gehofft hatten, schon den ersten herben Dämpfer darstellt. Aber auch Wilson Yip selbst scheint sich mit dem Stoff schwer getan zu haben: Was in der Vorlage lang entwickelt werden konnte, muss er in 90 Minuten komprimieren, ohne sich dabei zu weit vom Original zu entfernen, und das gelingt ihm leider überhaupt nicht: „Dragon Tiger Gate“ krankt über weite Strecken an seiner viel zu umständlich erzählten Geschichte, in der zahlreiche letztlich unwichtige Figuren eingeführt werden und die einfach nie zu ihrem Rhythmus findet. Der Ernst, mit dem die hanebüchene Story vorgetragen wird, mutet albern an, gleiches gilt für die Charaktere, die zwar oft schmachtend und mit wehenden Haaren in die Ferne starren dürfen, für den Zuschauer aber stets leere Hüllen mit hippen Frisuren bleiben. Die düstere und gleichzeitig sentimentale Stimmung von SPL ist ganz dem Hochglanz-Kitsch gewichen, die rohe Brutalität dem überkandidelten CGI-Firlefanz, der schon für Andrew Laus „Stormriders“ eine schwere Bürde darstellte.

Was die Enttäuschung aber umso größer macht, ist die Tatsache, dass „Dragon Tiger Gate“ die in ihn gesetzten Erwartungen in den ersten 15 Minuten zunächst sogar zu übertreffen scheint: Die spektakulären Stunts und die erneut brillante Choreographie von Donnie Yen werden von Yip kongenial in Szene gesetzt, die Kamera fliegt entfesselt durch die Settings und immer, wenn man glaubt, der Gipfel müsse erreicht sein, gibt es einen neuen Höhepunkt zu bestaunen. Tatsächlich dürfte diese atemlose Martial-Arts-Sequenz zu den beeindruckendsten Actionszenen der letzten Jahre zählen. Doch die Hoffnung währt eben nur kurz: Yips Film schläft in der Folge völlig ein und zieht sich bis zum enttäuschenden Showdown, der die Energie des Auftakts zu keiner Sekunde mehr erreicht, wie ein Kaugummi.

Immerhin liegt ein schwacher Trost im Scheitern von „Dragon Tiger Gate“: Er beweist, dass ein viel versprechender Hongkong-Regisseur nicht erst nach Hollywood gehen muss, um seelenlose, uninspirierte Stangenware zu fabrizieren.

Dragon Tiger Gate
(Lung Fu Moon,Hongkong 2006)
Regie: Wilson Yip, Drehbuch: Wong Yuk Long, Musik: Kenji Kawai
Darsteller: Donnie Yen, Nicholas Tse, Shawn Yue, Chen Kuan Tai, Xiao Ran Li
Länge: 94 Minuten
Verleih: Splendid Film

Zur DVD von Splendid Film

Bild: 2,35:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Kantonesisch (Dolby Digital 5.1)
Extras: Deleted Scenes, Making of, Teaser, Trailer TV Spots, shooting Diary, Making a Scene, Interviews, Festival Premieren
Länge: 94 Minuten
FSK: Ab 16
Preis: 17,95 Euro

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