2 Seelen wohnen, ach, in ihrer Brust

Copyright-Gesetze sind, gerade im künstlerischen und kulturschaffendem Bereich, manchmal schon ein Kuriosum. Von vielen – oft zurecht! – als Behinderung der künstlerischen Freiheit empfunden, können sie mit ihren Beschneidungen und Reglements, kombiniert mit marktwirtschaftlich ausgeprägtem Denken, zu manch bemerkenswerter Nuanceverschiebung führen. Im Genrefilm, vor allem im Bereich der B-Movies, brachten und bringen die Querelen rund ums Copyright nicht selten interessante Vertreter ihrer Gattung hervor, sehen sich diese Filme doch gezwungen, sich einerseits auf den Mythos eines Genres (oder eben eines lukrativen Motivs darin) zu berufen und ihn fortzuschreiben, andererseits aber Narration und Ästhetik soweit zu verfremden, dass juristische Folgen ausgeschlossen werden konnten. In den glücklichsten dieser Fälle entsteht mitunter ein Kommentar zum Genre selbst, der wesentliches destilliert und offensichtlich macht. Mit FRANKENSTEIN CREATED WOMAN (GB 1967), dem vierten der Frankenstein-Filme der legendären, britischen Hammer Studios und zumindest dem Titel nach eine lakonische Anspielung auf Vadims …AND GOD CREATED WOMAN (FR 1956), liegt ein solcher Vertreter vor.

Doch „Gott“ ist zunächst tot. Eine geschlagene Stunde lang lies sich Baron Frankenstein (Peter Cushing) auf Eis legen, um sich von seinen Gehilfen Dr. Hertz (Thorley Walters) und dem etwas bauernhaften Hans (Robert Morris) mittels einiger Elektroschocks zurück ins Leben rufen zu lassen. Das Selbst-Experiment gelingt – die menschliche Seele scheint, so die Erkenntnis des Wissenschaftlers, den Körper nicht zum Zeitpunkt des Todes, sondern erst spürbar später zu verlassen. Grund genug für einen Champagner, den Hans sogleich in der nahegelegenen Gaststätte zu holen beauftragt wird. Dort trifft er auf Christina (Susan Denberg), seine heimliche Liebe und die Tochter des Wirtes, deren Gesicht in früher Kindheit entstellt wurde. Als 3 jugendliche Snobs – in Habitus und Körperhaltung nahe Verwandte der Droogs aus A CLOCKWORK ORANGE (GB, 1971) – die Schenke besuchen, kommt es zum Eklat: nachdem sie Christina verspottet und gedemütigt haben, prügelt sich Hans erfolgreich mit den Dreien, Polizeikräfte verhindern schlimmeres.

Die weitere Nacht verbringt Hans bei Christina, deren Vater von der Liaison nichts wissen darf, während die Snobs nochmals in die Kneipe einbrechen, um ihren Durst zu stillen. Als der Wirt überraschend auftaucht, überwältigen ihn die drei und schlagen ihn im Affekt tot. Die Indizien aber sprechen gegen Hans, der sein Alibi hartnäckig verschweigen muss und somit auf der Guillotine vor dem Dorf landet, auf der Jahre zuvor bereits sein Vater den Tod gefunden hatte.

Diese einmalige Chance, quasi das „Backup“ einer Seele ziehen zu können, lässt sich der Baron selbstredend nicht entgehen und sichert sich den Zugriff auf die noch warme Leiche. Der Umstand, dass Christina nach dem Tod des Geliebten selbst den Freitod wählte, kommt noch hinzu – ein Datenträger für die Seelensicherheitskopie ist somit ebenfalls zur Hand! Und das Experiment glückt: eine mittels Hansens Seele wiederbelebte Christina – zudem rein äußerlich runderneuert – erhebt sich ungläubig aus dem „Totenbett“: „Wer bin ich?“ Doch viel Zeit bleibt nicht zum Feiern dieses Triumphs, verhält sich „Christina“ doch zusehends merkwürdig! Auch wurde Hansens Kopf aus dem Grab entfernt und die Anzahl der mörderischen Snobs mindert sich ebenfalls in dramatischem Ausmaß …

Wie oben bereits angedeutet, fördert FRANKENSTEIN SCHUF EIN WEIB so einiges aus dem Mythen-Dschungel rund um den „modernen Prometheus“ zutage, ist doch eines seiner grundlegenden Motive die Ambivalenz, besser: die Ambivalenz vorgeblich binärer Systeme: Leben und Tod, Licht und Schatten, Schuld und Unschuld, Frau und Mann, schön und hässlich, Professor und Assistent, Mensch und Gott – Diskurssysteme, die seit jeher im Frankenstein-Komplex verhandelt werden und in diesem Fall ganz besonders offensichtlich im Vordergrund stehen.

Schon allein die Person des Wissenschaftlers selbst: seit jeher nicht nur ein Herausforderer Gottes, sondern auch durchaus „queer“ konnotierter Dekonstruktivist herrschender Geschlechternormen, der letzten Endes nicht nur Vater, sondern auch Mutter sein möchte und dem heterosexuellen „way of sex-life“ eher misstraut. „Mit seinen eigenen Händen“ möchte er in James Whales FRANKENSTEIN (USA, 1931) menschliches Leben erschaffen und verwehrt im Sequel FRANKENSTEINS BRAUT (USA, 1935) seiner Kreatur zunächst mit der Begründung eine Partnerin, dass ihn der Gedanke einer Nachkommenschaft einer solchen Liasion zutiefst erschrecke, obgleich er als Meister der Anatomie doch dazu in der Lage sein sollte, der „Braut“ beim Schaffungsprozess einen Uterus einfach vorzuenthalten. Und nicht umsonst ist auch jener Doktor Frankenstein des Camp-Musicals THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW (UK, 1975), Frank N. Furter, ein bisexueller Transvestit, der so regelmäßig zwischen den Geschlechtern pendelt wie ein Metronom. Der Doktor Frankenstein aus dem hier vorliegenden Fall nun ist – diese Rolle ist Peter Cushing auf den Leib geschrieben! – ein schon fast asexueller, hagererer Intellektueller, der jedoch durch sein dandy-haftes, distanziertes Auftreten leicht pfauenhaft wirkt: war Whales Dr. Frankenstein noch ein zunächst manisch wirkender, doch zunehmend von Zweifeln zerrütteter Wissenschaftler, ist Cushing Herr jeder Situation, souverän, intellektuell überlegen und nie um das rechte, bissige Wort zur rechten Zeit verlegen – ein diametraler Gegensatz zum eher provinziellen Typ Mann also, der in diesem Film als eigentliche Norm gezeigt wird und sich letzten Endes auch – ob seltsamer Lichter im Anwesen des Aristokraten! – einmal mehr dazu genötigt sieht, im Mob vereint gegen den Baron vorzugehen! Erst die allerletzten Bilder des Films, eigentlich ja nur der Abspann, zeigen ihn, den Baron, skeptisch ob des eingeschlagenen Weges. Das perfekte Bindeglied also zwischen Whales klassischem Dr. Frankenstein und dem im Trash wiedergespiegelten, sexuelle Gegensätze vollends in sich auflösenden Frank N. Furter.

Am offensichtlichsten wird der dem Mythos stets immanente „Gender Trouble“ in FRANKENSTEIN SCHUF EIN WEIB natürlich im Monster selbst, die eigentliche Attraktion jedes Frankenstein-Filmes, das diesmal – die einzige Ausnahme im gesamten Komplex! – dem Körper nach weiblich (der Seele nach aber männlich!) dargestellt wird. Zudem ist die Kreatur – ebenfalls eine jener Copyright-Notlösungen, von denen eingangs die Rede war – bereits im „richtigen Leben“ entstellt, erstrahlt aber nach der obligatorischen Laborszene neugeboren als „schöner Schwan“. Das große Projekt Frankensteins – die Feminisierung des Mannes, die Verschmelzung der Geschlechter überhaupt – scheint hier zum ersten Mal greifbar manifest, visuell deutlich ausformuliert zu sein, zumindest aber scheint Frankenstein zum ersten Mal in der Lage, ein den gängigen Schönheitsnormen durchaus entsprechendes Wesen zu gestalten. Sichtlich fasziniert begutachtet er ihr Haar: „Sehen Sie nur – es ist blond geworden!“ Ob dies alles an Baron Frankensteins eigenen, verborgenen Sehnsüchten nach dem Frau-Sein liegen mag?

Auch „Schuld und Unschuld“ werden in diesem Film verhandelt: die Frage, wer an der finalen Katastrophe denn nun wirklich schuld sei, kann eigentlich anhand des Filmes kaum geklärt werden: trägt Baron Frankenstein, wie man klassischen Rezeptionen zufolge meinen könnte, die alleinige Verantwortung? Oder trifft auch Hans aufgrund seines Temperamentes ein Anteil? Oder vielleicht ja auch Dr. Hertz, der Frankenstein erlegen ist, und das ganze erst ermöglicht, indem er die Leiche besorgt? Sind es vielleicht auch einfach nur die jugendlichen Snobs, die in ihrer Überheblichkeit den Stein ja erst zum Rollen bringen? Oder die Voreingenommenheit des Gerichtes, das Hans aufgrund fragwürdiger Kategorien – auch sein Vater sei bereits ein raufender Mörder gewesen – zum Tode verurteilt? Der Film verweigert einem die Antwort, vielmehr konzentriert er sich darauf, die Tragödie Fragment für Fragment zu dokumentieren und entwickelt darin eine ganz eigene Ökonomie. Wie die Zahnräder eines Uhrwerkes fügt sich eins ins nächste – am Ende schließlich die Katastrophe!

Doch auch all dieser kurz umrissenen Exkurse in das weite Feld der Film- und Kulturwissenschaft ungeachtet, weiß FRANKENSTEIN SCHUF EIN WEIB als Genre-Film und ästhetischer Grusler zu überzeugen. So wird der Ästhetik des Filmes, typisch für die Gruselfilme der Hammer-Studios, viel Raum eingeräumt: die Dekors sind mit fürsorglicher Liebe zum Detail ausgesucht, das Labor des Barons ist ein Traum für jeden Freund des klassischen, phantastischen Filmes, die Farbgebung herzhaft satt und unterstreicht zudem den Comic-Charme des Films. Die Kameraarbeit des Filmes ist hervorragend: nicht selten bekommt man das Geschehen aus ungewöhnlichen Perspektiven präsentiert, sorgfältig durchdachte obendrein, die den Zuschauer nicht unnötig vor den Kopf zu stoßen, sondern ihre Schönheit ganz in den Dienst der Narration stellen. Die Geschichte an sich ist eine frische Neuinterpretation des Sujets, die zudem ohne große Umschweife attraktiv und spannend erzählt wird.

Kurzum, FRANKENSTEIN SCHUF EIN WEIB kann mit Leichtigkeit all das einhalten, was ein dezent nostalgischer Grusel-Abend gerne verspricht: ein wenig Unheimliches, ein wenig Lust am Verbotenen und sehr viel ästhetischen Genuss für den Liebhaber. Zudem ist FRANKENSTEIN SCHUF EIN WEIB eine – dem Copyright-Gesetz und der Notwendigkeit seiner Umschiffung sei’s gedankt – interessante und abwechslungsreiche Variation des Frankenstein-Mythos, der im Kanon seiner Werke eine ganz besondere Rolle einnimmt. Nicht wenige Fans sprechen deshalb gerne von diesem Film als dem besten der Hammer-Frankenstein-Reihe. Verdenken kann man es ihnen beileibe nicht.

Frankenstein schuf ein Weib
(Frankenstein created woman
GB, 1967
Regie: Terrence Fisher
Drehbuch: Anthony Hinds
Kamera: Arthur Grant
Schnitt: James Needs, Spencer Reeve
Darsteller: Peter Cushing, Susan Denberg, Thorley Walters,
Robert Morris, Duncan Lamont, u.a.

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