»Nun, da ich sprechen kann. Was soll ich sagen?«

1968 gibt Werner Herzog der Welt des Spielfilms ein erstes Lebenszeichen. Sein gleichnamiger Film erscheint, nachdem er ein Jahr zuvor bereits mit „Letzte Worte“ und „Beispiellose Verteidigung der Festung Deutschkreuz“ zwei Kurzfilme veröffentlicht hat. Beide Kurzfilme führen Motive ein, die Herzog in „Lebenszeichen“ und auch im darauffolgenden Kurzfilm „Maßnahmen gegen Fanatiker“ wieder aufnimmt und ausbaut: In „Letzte Worte“ wird die Existenz eines Mannes dokumentiert, der der beste Lyra-Spieler von Kreta ist, aber als Außenseiter lebt, nicht mehr spricht, sich nur noch musizierend mitteilt – während alle um ihn herum damit beschäftigt sind zu erklären, was mit ihm geschehen sein könnte. „Beispiellose Verteidung der Festung Deutschkreuz“ erzählt die Geschichte vierer Männer, die in ein verfallenes Schloss eindringen, dort Armeeuniformen und Waffen finden und das Schloss nun gegen Eindringlinge verteidigen, die gar nicht existieren.


Ähnlich in „Lebenszeichen“: Becker, Meinhard, Stroszek und seine Frau Nora leben in einer verlassenen Hafenfestung auf der griechischen Insel Kos. Die drei Männer sind deutsche Wehrmachtssoldaten, die ein verlassenes Waffendepot, das sich in der Festung befindet, bewachen. Da dies ihre einzige Aufgabe ist und Stroszek sich dort zudem von einer Gefechtsverwundung erholt, ist der Aufenthalt der vier im Wesentlichen von Untätigkeit und Gesprächen geprägt. Stroszek, dem die Enge der Situation bald zu viel wird, versucht sich durch Patroillengänge in die nähere Umgebung Ablenkung zu verschaffen. Als er auf einer Patroille ein ganzes Tal voller Windmühlen entdeckt, verliert er den Verstand: Er wird von Meinhard, kurz bevor er auf die Windmühlen schießen kann, überwältigt und zur Festung zurück gebracht. Einen Tag später, als der Kommandant von Stroszeks Verhalten erfahren hat, soll dieser zurück nach Deutschland geschickt werden. Stroszek greift nun abermals zur Waffe, verjagt seine Frau und seine Freunde, nimmt die Festung ein und droht in totaler Auflehnung gegen alles, das Munitionslager zu sprengen.

Trotzdem Werner Herzogs Debütfilm ungleich „geschwätziger“ ist, als sein späteres Werk, ist „Lebenszeichen“ doch im Wesentlichen ein extrem ruhiger Film. Die Hitze der griechischen Sonne, die Langeweile und die Trägheit der vier Festungsbewohner dominieren den gesamten Film. Jedes Gespräch und jede Tätigkeit, die Enge und Vertrautheit erzeugen sollen, werden von dem gleißenden Sonnenlicht, dem schier endlos entfernten Horizont und der alles überwuchernden Natur in der maroden Festung in Frage gestellt. Es scheint, als stämme sich die Insel, ja das ganze Land gegen die Aktivität seiner Besatzer. Diese wiederum stehen aber keineswegs für die nationale Fremdheit, sondern vielmehr für die emotionale: Das Aufbegehren Stroszeks, der zum Ende hin sogar die Sonne in Brand setzen will und sich selbst zum Herrscher des süd-östlichen Mittelmeerraums ernennt, drückt nur dieses auf die Spitze getriebenes Fremdheitsgefühl des Menschen gegenüber seiner Umwelt aus.

„Er hatte in seinem Aufbegehren gegen alles etwas Titanisches bekommen, denn der Gegner war hoffnungslos stärker. Und so war er so elend und schäbig gescheitert, wie alle seinesgleichen“, resümert der Sprecher schließlich den Film. Dieses Titanen-Motiv pflanzt sich nach „Lebenszeichen“ im gesamten Werk Herzogs fort, wird von den verschiedensten Seiten betrachtet, durch die Menschheitsgeschichte verfolgt und in den unterschiedlichsten Handlungen offenbar. In „Lebenszeichen“ eröffnet Herzog – als ob er hier ein Gurndsatzprogramm formuliert – dieses Leitmotiv. Dass „Lebenszeichen“ so sehr im Kontrast zu seinem späteren Spielfilmwerk steht, liegt einerseits an der Offenheit, mit der Herzog hier das titanische Aufbegehren und Scheitern Stroszeks inszeniert.

Auf der anderen Seite ist es die irreale, dokumentarische Position, die der Erzähler hier noch gegenüber seinem Erzählgegenstand einnimmt: Der nüchterne Kommentar aus dem Off, wie um der Nachwelt das Ges(ch)ehene zu erklären und die Situation, in die der Zuschauer in medias res geworfen wird: Das alles ist Herzogs Kurzfilmen aus dieser Zeit und auch seinen nächsten Spielfilmen noch sehr ähnlich, wird aber nach und nach einem intimeren und klaustrophobischeren Blick auf das menschliche Scheitern weichen.

Lebenszeichen
(Deutschland 1968)
Regie, Produktion und Buch: Werner Herzog
Kamera: Thomas Mauch, Musik: Stavros Xarhakos; Schnitt: Beate Mainka-Jellinghaus
Länge: 87 Minuten
Verleih: Kinowelt/Arthaus


Die DVD von Kinowelt/Arthaus

Einmal mehr muss Kinowelt für die filmhistorisch umsichtige Veröffentlichung des Herzog’schen Werks gedankt werden. Sicherlich ist von einem Film des Kalibers „Lebenszeichen“ kaum ein großer Umsatz zu erwarten, da er nicht nur sperrig (selbst für Herzogs Verhältnisse) ist, sondern eben auch recht unbekannt. Dass er nun aber doch dem Vergessen der Filmgeschichte entrissen wurde, ist ein großes Glück für all diejenigen, die sich mit Herzog und seinem filmischen Werk – auch jenseits der populären Kinski-Filme – auseinandersetzen möchten.

Die Aufarbeitung des Films für DVD ist grandios. Nur selten kann man ein so klares und kontrastreiches Schwarzweißbild bewundern, wie in dieser Veröffentlichung. Die Atmosphäre der griechischen Insel kommt erst in den harten Licht-Schatten-Kontrasten richtig zur Geltung. Tadellose Tonwiedergabe transportiert die Melancholie aus Stavros Xarhakos‘ Soundtrack und bildet im Verein mit dem Bild ein synästhetisches Gesamtkunstwerk.

Der Clou ist, wie auch bei den anderen Herzog-Veröffentlichungen von Kinowelt, das Bonusprogramm. Hier unterstreicht die Bemühung, die filmhistorisch naheliegenden Werke Herzogs mit auf die DVD zu pressen, den Editionsgedanken: „Die Beispiellose Verteidung der Festung Deutschkreuz“, „Letzte Worte“ und „Maßnahmen gegen Fanatiker“ stammen alle aus der selben Zeit und stehen im engen Verhältnis zum Hauptfilm.

Die Ausstattung im Einzelnen:

Bild: 1,33:1 (4:3)
Sprachen/Ton: Deutsch (Dolby Digital 1.0 Mono)
Extras: Audiokommentar von Werner Herzog und Laurens Straub, Die beispiellose Verteidigung der Festung Deutschkreuz, Letzte Worte, Maßnahmen gegen Fanatiker, Fotogalerien, Trailer, Biografie Werner Herzog

Preis: 14,99 Euro
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Stefan Höltgen

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