»Howard Helsing? That name sounds familiar.«

John Stone (Bill Rogers) ist ein progressiver Geschäftsmann. Seine Arbeit erledigt er zumeist von zu Hause, umgeben von seiner schönen und intelligenten Frau Helene (Elizabeth Wilkinson). Er lässt seine Sekräterin Hester (Eleanor Valli) das Geschäft führen, die das auch mit Charme und Organisationstalent locker bewältigt. Eines Tages erreicht ihn ein Paket aus England. Es enthält zwei Flaschen Brandy und die Botschaft, dass Stone der Erbe eines alten Adelsgeschlechtes ist, der nach England eingeladen wird, ein immenses Vermächtnis anzutreten.


Herschell Gordon Lewis’ Film A Taste of Blood ist eine Pflichtübung, der sich wohl jeder Horrorfilmregisseur der 1960er stellen musste: einen Vampir-Film drehen. Allein 25 Filme jener Dekade führen den König der Vampire – Dracula – im Titel. Der Grund für diese Popularität kann mit Sicherheit im noch recht jungen Erbe des klassischen Horrorkinos gesehen werden, das das Motiv des untoten Blutsaugers aus dem deutschen Expressionistischen Film der 1920er Jahre zuerst in den Universal-Filmen der 1930er und 40er und schließlich in die Hammer-Produktionen der 1950er Jahre exportiert hat. Doch gerade bei letzteren zeigte sich bereits die deutlich blutrote Spur zusehender Modernisierung in der Bildästhetik. Statt auf expressionistisches Schwarz-Weiß-Bild und distinguierte Darstellung aristokratischen Vampirismus’ (Bela Lugosi ist wohl der Inbegriff des Gentleman-Blutsaugers), setzt Hammer auf das Sexuelle, das Düstere (ideal verkörpert durch Christopher Lee) und auf knallrotes Blut in Technicolor. Lewis nimmt das Erbe Terence Fishers (Dracula, USA 1958) an und bringt das Motiv des „Gore-Vampires“ aus Großbrittanien mit.

Sein Protagonist Stone bringt aus Großbritanien ebenfalls ein vampirisches Erbe mit – nämlich eine Liste mit Namen. Diese Namen stehen für die Nachfahren derjenigen Menschen, die vor 3 Generationen Stones Urgroßvater – den Grafen Dracula höchstpersönlich – getötet haben und die Stone nun stellvertretend rächen soll. Seine Umgebung – allen voran seine Frau Helen und der Freund der Familie Dr. Hank Tyson (William Kerwin) – versteht die seltsame Veränderung, ja emotionale „Abkühlung“ des einstmals so charmanten Geschäftsmannes nicht: Seine Frau fühlt sich ungeliebt, der Freund wird mit Misstrauen und Eifersucht beäugt und auch das Geschäft, um das sich Hester nun immer mehr kümmern muss, vernachlässigt Stone.

Dass sich Lewis entscheidet, seine Vampirgeschichte nicht als „historischen Stoff“ mit Schlössern, Gruften, ja sogar: spitzzähnigen Umhang-Trägern zu inszenieren, ist Programm: Es müssen eben die Nachfahren jener alten Geschichten sein, die im modernen Horrorfilm zusammentreffen und die der nächsten Generation von Filmzuschauern damit emotional-empathisch viel näher sind als jene „Tales from the Crypt“ der vorangegangenen Jahrzehnte. Und so ist der höchstwahrscheinlich aus produktionsökonomischen Gründen auf Wohnzimmer-Interieurs begrenzte Filmraum in seiner Reduktion dann auch wieder als Kontrast zu den weiten Landschaften und großen Schlössern der Klassiker zu sehen. In der Kammerspielatmosphäre von A Taste of Blood treffen Pro- und Antagonisten aufeinander, die mehr an eine jener modernen Shakespeare-in-Nadelstreifen-Inszenierungen erinnern, als an Vampire und Vampirjäger: Gekleidet im schicken Einreiher, mit weißem Hemd und Krawatte – „modern vom Scheitel bis zur Sohle.“ (Arno Holz)

Stone, der mehr und mehr Opfer von seiner Liste streicht, bekommt es schießlich mit dem Urenkel des eifrigsten Widersachers von Dracula zu tun: Dr. Howard Helsing (Otto Schlessinger). Dieser wartet den überraschten Angehörigen Stones mit einer Vampir-Hypothese auf, die in Dr. Tyson sofort Widerspruch erregt: „This is the space age!“ Vampirgeschichte gehören nicht ins Raumzeitalter (Tyson und Helsing stehen am Anfang einer langen reihe filmmodener Wissenschaftskritik und -polemik). Doch als sich die Indizien häufen und sogar die Polizei Interesse an Stone zeigt, lässt sich Tyson schließlich überzeugen.

Zudem gerät Helene immer mehr in den Bann ihres vampirischen Mannes. Helsings Theorie: Er will sie zu einer Untoten machen. Dazu reicht es, dass er sie drei mal beißt (zwei Mal ist es ihm bereits gelungen). Also beschatten Tyson, Helsing und die Polizei Helene, die – von ihrem Mann hypnotisiert – seinem Ruf auf einen alten Friedhof folgt. Dort will Draculas Nachfahre eine neue Dynastie aus Vampiren mit ihr gründen und dort wollen seine Widersacher ihn entgültig zur Strecke bringen.

Die Situation kulminiert in einer Szene vor Stones Gruft. Wird er seine Frau wohl zu sich in die Gruft rufen können? Wird Herschell Gordon Lewis seinen Vampirfilm wohl in diesem Sinnbild arachaischen Horrorkinos enden lassen? Wohl kaum …

A Taste of Blood
(USA 1965)
Regie: Herschell Gordon Lewis
Buch: Donald Stanford; Kamera: Andy Romanoff; Musik: Alan Tadie; Schnitt: Richard Brinkman
Darsteller: Bill Rogers, Elizabeth Wilkinson, William Kerwin, Otto Schlessinger, Eleanor Valli u. a.
Verleih: CMV
Länge: 118 Minuten


Die DVD von cmv

Der Qualität des Filmbildes sieht und des Tons hört man deutlich an, dass Lewis für A Taste of Blood schon mehr Finanzen und bessere Technik zur Verfügung gestanden haben, als einigen früheren Filmen. die cmv-DVD wartet daher mit einem (für das alter und die immer noch nicht anders als Trash-Qualität zu bezeichnende Produktion) recht guten Ergebnis auf. Das Zusatzmaterial ist abermals eine Bereicherung! Neben dem zweiten Feature – dem Film „Wild Women of Wongo“, der eine Hypothese anders gearteter Evolution zwischen den Geschlechtern verfolgt – enthält die DVD den Kurzfilm „Nightmare at Elm Manor“, ein viereinhalb-minütiges Sleaze-Perlchen aus dem Tiefen Ozean der Trashfilmgeschichte. Dort läuft eine barbusige Schönheit durch ein nächtliches haunted house, verfolgt von der bösen Fratze des Castellans.

Die Ausstattung im Einzelnen:

# Bild: 1:1,33 (PAL)
# Ton: Englisch (DD 2.0) mit dt. und holl. UT, Audiokommentar von H. G. lewis
# Extras: Kinotrailer, Kurzfilm „Nightmare at Elm Manor“, Bildergalerie, Trailershow anderer H. G. lewis-Filme
# Zusatzfilm „Wild Women of Wongo“
# Länge: 118 Minuten (Zusatzfilm: 72 Minuten)

Stefan Höltgen

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