»Ich lausche deiner Stimme, Kleines«

Die Synchronbranche fristet analog zu ihrer bedauerlicherweise nicht sichtbaren Effektivität noch immer ein relatives Schattendasein. Dabei kann sie nunmehr auf eine historische Pflege zurückblicken, die beinahe so betagt ist wie der Tonfilm selbst. Darüber hinaus erleichtert die sprachliche Transponierung von Filmen und Serien Millionen von Kinogängern und TV-Schauern ihr alltägliches Entertainment immens. Niemand käme hierzulande auf die Idee, sich darüber zu wundern, dass Matthew Fox, Held der Serie „Lost“, bei seiner Ausstrahlung im deutschen Fernsehen regelmäßig in gestochenem Hochdeutsch parliert, obgleich es sich um einen US-Akteur handelt, der vermutlich bestenfalls ein paar Bruchstücke unserer Sprache beherrscht. Umgekehrt zöge die Ausstrahlung einer Folge „Lost“ im Originalton sicher eine andere Reaktion nach sich: Das Programmmanagement könnte sich vor nachfolgenden Protestbriefen vermutlich kaum retten.

Dieses rein hypothetische, in seiner Konsequenz jedoch bestimmt nicht völlig abwegige Gedankenspiel soll im Kleinen verdeutlichen, wie elementar ein fließendes akustisches Verständnis für die möglichst umweglose Film-Rezeption ist und somit das Angebot einer professionell synchronisierten Fassung unerlässlich macht. Andere Länder kennen überhaupt keine oder eine lediglich qualitativ eher nachlässig gehaltene Synchronszene und sind somit auf Untertitel bzw. ein Verständnis der zugrunde liegenden Originalsprachen angewiesen. Interessanter wird es nun für den einen oder anderen hiesigen Zuschauer bzw. -hörer vielleicht, wenn er in der Stimme von Matthew Fox urplötzlich Ähnlichkeiten zu der Ben Afflecks vernimmt und auf diese Weise feststellen kann, dass nicht jeder internationale Akteur über eine individuelle deutsche Stimme verfügt. Über Recherche-Umwege gelangt man so u. U. zu dem Namen eines gewissen Peter Flechtner, selbst Schauspieler und neben anderen Tätigkeiten regelmäßig für die Eindeutschung von Fox, Affleck, Billy Crudup oder Timothy Olyphant zuständig. Insgesamt synchronisierte Flechtner bereits in 600 Filmen und ungezählten TV-Episoden, selbst war er u.a. in Spielbergs „Schindler’s List“ zu sehen.

Wer über ein fein differenziertes Stimmgehör verfügt und wen solcherlei Details interessieren, der wird bei der Lektüre von Thomas Bräutigams nahezu in Eigenregie entstandenem Handbuch „Lexikon der Synchronsprecher“, das aktuell beim Schüren-Verlag in einer zweiten, stark erweiterten Auflage erschienen ist, seine Freude haben. Rund 300 zum Teil wachsend populäre Sprecherinnen und Sprecher finden sich im enzyklopädischen Teil des Buches, das an der Branche Interessierten auf einen Blick endlich auch per Fotos die Gesichter zu den Stimmen mitsamt Kurzbiographien liefert, kleine charakteristische Bewertungen vornimmt und jeweils ein paar Beispiele für das Oeuvre des Schauspielers bereithält. Ein etwas larmoyantes, kurzes Vorwort der fast 93-jährigen Stimmlegende Friedrich Schoenfelder, das wohl vornehmlich Prestigegründen dienen soll, eröffnet das Buch und wird abgelöst von einem 33-seitigen, vom Autor selbst stammenden Essay, in dem sich in gebührender Ausführlichkeit formulierte Gedanken über die Geschichte, Strukturen und Probleme der Branche finden. Danach wartet der umfassende lexikalische Hauptteil mit einem kleinen Anhang in Form eines Schauspielregisters, das einer Großzahl internationaler Schauspiel-Prominenz ihre jeweiligen zwei, drei Stammsprecher (die dann wiederum weiter vorn nachzuschlagen sind) zuordnet. Eine sinnvolle Ergänzung.

Der folgende, rund 130 Seiten umfassende Teil, in dem einige repräsentative Filmbeispiele mit kleiner Sprechercast aufgeführt sind, erweist sich indes eher als Platzfüller. Glücklicherweise findet sich zum Abschluss noch eine ordentliche Bibliografie. Nicht unterschlagen sollte man die ebenfalls enthaltene Daten-CD, die eine rund drei MB große PDF-Datei mit über 3000 Filmeinträgen enthält, die wiederum die Beispiele aus dem Buch in derselben Form ergänzt und die Sinnfrage jener Liste damit wiederum etwas in Zweifel setzt.

Leider bleibt auch dieses Werk, wie andere des Verlages – man erinnere sich an die Seeßlen-Reihe -, nicht ganz frei von faktischen Fehlern. Als Beispiele seien an dieser Stelle folgende zwei faux-pas genannt: Im Filmteil führt Bräutigam fälschlicherweise Hans-Jürgen Dittberner als Sprecher von Michael Biehn in „Aliens – Die Rückkehr“ auf,. Biehn wird jedoch von Christian Brückner gesprochen, während Dittberner den „Aliens“-Schauspieler William Hope synchronisiert. Ferner ist im Eintrag zu dem Sprecher Joachim Tennstedt dessen Stimmeinsatz für William Forsythe in „The Big Lebowski“ genannt. Forsythe spielt in diesem Film gar nicht mit, stattdessen verfügt jedoch der Titelakteur Jeff Bridges über Tennstedts Stimme. Derlei vermeidbare Fehlinformationen sind des Öfteren im Buch zu finden und beweisen, dass es keinesfalls als vollwertiger Ersatz für die zwei, drei wichtigen, permanent ergänzten und aktualisierten Online-Synchron-Datenbanken herzuhalten vermag.

Dennoch: Grundsätzlich ist diese Würdigung des Synchronsprecherstandes in gedruckter Form sehr begrüßenswert, wenn auch nicht eben günstig. Für interessierte Einsteiger, die den entsprechenden Preis anzulegen bereit sind, aber durchaus eine Option.

Thomas Bräutigam
Stars und ihre deutschen Stimmen. Lexikon der Synchronsprecher.
Marburg: Schüren-Verlag 2009
416 Seiten (Handbuch), 24,90 Euro

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Frank Stegemann

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