„Trigger happy!“

„Got an AK-47, well you know it makes me feel alright
Got an Uzi by my pillow, helps me sleep a little better at night
There’s no feeling any greater
Than to shoot first and ask questions later
Now I’m trigger happy, trigger happy every day

Well, you can’t take my guns away, I got a constitutional right
Yeah, I gotta be ready if the Commies attack us tonight
I’ll blow their brains out with my Smith and Wesson
That ought to teach them all a darn good lesson
Now I’m trigger happy, trigger happy every day“

– ‚Weird‘ Al Yankovich . „Trigger Happy“

Horror movies. Rock music. Entertainment television. Eminem. South Park. Heavy Metal. Marilyn Manson. Marilyn Manson. Immer wieder Marilyn Manson. So die gewissermaßen selbst stets wie aus der Pistole geschossenen Antworten der üblichen Verdächtigen, der „Experten“, kurz nach einem x-beliebigen Amoklauf an einer x-beliebigen Schule, auf die Frage, wer aus jugendlichen Schülern denn nun eigentlich blutrünstige Monster mache. Stakkatohaft werden sie einem durch den Schnitt im durchaus doppeldeutigen Sinne vorgeführt. Die vermeintliche Selbstverständlichkeit ihrer unzähligen Antworten auf diese brennende Frage verliert durch die Montage erheblich an Glaubwürdigkeit, verschwindet in der Beliebigkeit der Aneinanderreihung. Michael Moore, neben Ken Loach wohl der letzte der aufrechten Klassenkämpfer im Kino, hat einen neuen Dokumentarfilm gedreht: Bowling For Columbine.

Wer Michael Moores kontroversen Stil, etwa noch von „Roger And Me“ kennt, der weiß, dass Moore sich mitnichten nur auf rein formal- ästhetische Mittel verlässt, wenn es darum geht, dem eigenen Anliegen mit Nachdruck Gehör zu verschaffen. „Der Morgen des 20. April 1999 sieht nach einem ganz normalen Tag in Amerika aus. Farmer bestellen ihre Felder, Milchmänner liefern Milchflaschen aus, der Präsident lässt Bomben über einem Land abwerfen, dessen Namen wir nicht mal aussprechen können“, mit diesen lakonischen Worten beginnt Moore seinen Film. Kurz nach ihrem Bowlingkurs werden Dylan Klebold und Eric Harris an diesem Tag in der Columbine Highschool/Littleton das bislang größte Massaker in der Geschichte des Schulamoklaufs verüben. Ein trauriger Rekord, der, wie wir wissen, erst dieses Jahr in Erfurt gebrochen wurde.

Moore, selbst seit seiner frühen Kindheit „life long member of the NRA“, wie er sich augenzwinkernd vorstellt, nimmt die Ereignisse von Littleton zum Anlass, tiefer zu forschen. Was hat es mit der im Gegensatz zu anderen Ländern bizarr hohen Mordrate in den USA auf sich? Und warum fanden vergleichbare Schulmassaker bislang hauptsächlich in den USA statt? Als Ausgangspunkt dient hierbei sein eigenes Umfeld, seine Biographie: er stammt aus Flint, Michigan, jene Gegend, die nicht nur einen der beiden Littleton-Attentäter hervorgebracht hat, sondern in deren Umfeld auch Terry Nichols, langjähriger Freund und Komplize, wenn auch freigesprochen, des Oklahoma-Attentäters Timothy McVeigh, und Charlton Heston, das prominente Sprachrohr der National Riffle Association (NRA), aufgewachsen sind. Eine Region also, so ur-amerikanisch wie die großen Gründungserzählungen der USA selbst es sind.

Dort begleitet Moore mit Kamera und seinem trocken-lakonischen Humor Milizen von NRA-Anhängern bei Morgenübungen auf weiter Flur, macht eine Bank ausfindig, die mit einem Gewehr als Prämie für eine Kontoeröffnung neue Kunden zu locken versucht, und besucht eben jenen Terry Nichols, der sich als gesundheitsbewusster Soja-Bauer für eine Tofuproduktion entpuppt. Und mit einer 44er unter dem Kopfkissen zu schlafen pflegt. Der Besitz von Waffen sei sein von der Verfassung gedecktes Recht, von Art und Anzahl der Waffen sei im berühmt-berüchtigten „second amendment“ keine Rede, argumentiert Nichols selbstbewusst beim stolzen Vorführen seiner stattlichen Waffensammlung. Der private Besitz von Nuklearwaffen, so gibt Nichols nach entsprechender Frage von Moore dann doch etwas überrumpelt zu, sei damit vermutlich dennoch bis auf weiteres nicht gedeckt.

Diese für den Zuschauer doch recht amüsanten Episoden machen Moore neugierig. Er begibt sich mit seiner Kamera auf eine Reise quer über den Kontinent, und, parallel dazu, tief hinein in das Wesen der us- amerikanischen Kultur. Auf dieser begegnet er nicht nur Überlebenden diverser Schulmassaker, sondern trifft sich unter anderem auch mit Matt Stone, der seine Erfahrungen in den 80er Jahren an der Columbine High School (!) in den South Park Cartoons verarbeitete. Und eben auch mit dem eingangs vielgeschmähten Marilyn Manson, der überraschenderweise die Kernthese des Films in wenigen Sätzen zusammenfasst: Nicht Armut, Horrorfilme oder geschmacklose Rockshows seien das auslösende Moment für Ereignisse wie das in Littleton, der gesamte kulturelle Text der USA liefe vielmehr auf ein Gefühl der ständigen Bedrohung, dem Drang nach stetiger Neubehauptung hinaus. Eine „Kultur der Angst“ vor Eindringlingen und dem eigenen Versagen sei es, die (nicht nur) Jugendliche schnell zur Waffe greifen lasse. Manson leitet dieses Phänomen von der sensationslüsternen Ausrichtung der Nachrichten, der dazwischengeschalteten Werbung und einem erhöhten Schulstress ab. Auf die Frage, was er den jugendlichen Amokläufern zu sagen habe, sollte sich ihm die Möglichkeit dazu bieten, antwortet er, gar nichts, er würde vielmehr zuhören wollen. Und beweist somit, etwas mehr vom Leben verstanden zu haben, als so mancher Experte. Moore formuliert Mansons Statements weiter und widmet sich im weiteren Verlauf einem Exkurs zur sozio-kulturellen Geschichte der USA, durch die sich das Motiv der Angst – zunächst vor den Europäern, dann vor den Ureinwohnern Amerikas, den Hexen, den Sklaven und ihrer späteren Emanzipation, usw. usf. – wie ein roter Faden ziehe. Höhepunkt dieser Zusammenfassung ist schließlich ein hysterisch inszenierter Cartoonfilm-im- Film, der diese Historie grotesk überhöht darstellt, wie überhaupt der gesamte Film aus einem heiter-skurillen ‚patchwork‘ aus ‚found footage‘ diverser Propagandafilme, Nachrichtenschnippsel und eben selbst gedrehtem Material besteht.

Natürlich begegnet Moore auf seiner Reise auch den Verfechtern der üblichen Mythen zur Erklärung der in den USA offensichtlich weitverbreiteten Neigung, vorschnell zur Waffe zu greifen. Neben der eingangs erwähnten Medienkritik rechter und kirchlicher Ideologen, der hohen Armut und den liberalen Waffengesetzen wird hierbei auch die blutige Geschichtstradition der USA in die argumentative Waagschale geworfen. Doch Moore kann eigentlich in keiner These so recht Wahres finden, allzu schnell lassen sie sich in ihrem Kern widerlegen. Armut gäbe es woanders ebenfalls, Jugendliche spielen auf der ganzen Welt Videospiele und hören Marilyn Manson, in Canada befinden sich proportional wesentlich mehr Waffen in privatem Besitz als in den USA, andere Nationalhistorien entpuppen sich als weitaus blutiger. Höhepunkt dieser Dekonstruktion populärer Mythen ist schließlich das Interview mit Charlton Heston in dessen Villa, das sich Moore unter dem Vorwand, selber NRA-member zu sein, quasi erschleicht. In dessen Verlauf konfrontiert er Heston, der es sich selbst nicht nehmen liess, nur wenige Tage nach den tragischen Ereignissen in Littleton eine säbelrasselnde Propaganda-Show für die NRA abzuhalten, mit dem Foto einer Toten eines weiteren Amoklaufes. Beleidigt verlässt Heston das Schlachtfeld.

Für Moore offenbaren sich all diese verkürzenden Erklärungsmuster eher als ideologische Anliegen denn als rationale Deutungen, was er mit der ihm eigenen lakonisch-bissigen Art anschaulich zu vermitteln weiß. So ertappt man sich als Zuschauer mehr als nur einmal dabei, dass man lauthals auflacht über die oft groteske Verblendung mancher Zeitgenossen, nur um sich in ruhigeren Momenten dann doch zu hinterfragen, ob man selbst vielleicht nicht aich einem ideologischen Konstrukt, dem von Michael Moore, aufgesessen ist.

Betrachtet man sich das Gezeigte mal abseits der oft blendenden Satire, so fällt auf, dass vieles, was Moore als ’self-evident‘ verkaufen möchte, gar nicht so wasserdicht ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Übersetzt man Armut lax mit Arbeitslosigkeit und deutet eine hohe Arbeitslosenrate als einzigen Indikator für Armut, so vernachlässigt man sträflich die oft grundlegend differenten Umstände, unter denen Erwerbslosigkeit stattfinden kann. Und wenn Moore zusammen mit Überlebenden von Littleton in einer Kampagne erzwingt, dass ein nahegelegener K-Mart in Zukunft auf den Verkauf von Munition verzichtet, so ist dies ohne Zweifel ein nobles Anliegen und ein zufriedenstellender Erfolg für die Opfer, doch dass man dem Zustandekommen dieses Siegeszuges derart viel Platz im Film einräumt, lässt doch die Frage aufkommen, ob hier etwa mit dem Betroffenen-Bonus auf dem Schlachtfeld moralischer Debatten unantastbares Land gewonnen werden will. Erfreulicherweise halten sich diese Schwächen jedoch noch passabel im Hintergrund. Ein leicht brackiger Beigeschmack der Manipulation bleibt dennoch, der Menschen, die des kritischen Denkens fähig sind, jedoch nicht weiter stören sollte.

Moore gelingt mit BOWLING FOR COLUMBINE im Diskurs „Gewalt und ihre Ursachen“ einer der intelligentesten Beiträge der letzten Jahre. Nicht etwa, weil er mit seinen Thesen eine unwiderlegbare Wahrheit präsentiert, sondern vielmehr aufgrund der Tatsache, dass er populäre Mythen und ideologisch verkürzende Erklärungsmuster an der Wurzel packt und dort, oft auf unbequeme Art und Weise, nachzufragen wagt, wo der Mainstream nicht selten aus falsch verstandener Pietät zu schweigen pflegt. Schade nur, dass es sich dabei offenbar nicht vermeiden liess, auch jene dankbare Klientel zu bedienen, die sich lediglich einmal mehr ihrer eigenen Ressentiments gegenüber den USA bestätigt sehen wollen. „Die spinnen, die Amis!“ wird man sie wieder allenortes beim Verlassen der Kinos feixend sagen hören, ohne dabei von den Spinnereien vor der eigenen Türe reden zu wollen. Doch dieses Thema wäre eigentlich schon fast wieder einen eigenen Film von Michael Moore wert.

Bowling For Columbine
(Bowling For Columbine)
Dokumentarfilm, Satire
USA 2002, Laufzeit: 120 min.
Regie / Buch: Michael Moore
Kamera: Brian Danitz, Michael McDonough
Schnitt: Kurt Engfehr

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