Profondo giallo

Dario Argento ist im Grunde immer ein Märchenerzähler gewesen, und seine Filme dort am stärksten, wo sie am reinsten sind. Wo sie die Mimikry des Narrativen fallen lassen und sich ganz in das Zentrum der irrationalen Furcht, ins Delirium, in die Urangst hineinstürzen. Die Drei Bösen Mütter. Das Mädchen, das mit den Insekten spricht. Der dunkle Wald. Das fremde Land. Das Animalisch-Mörderische, die dunkle Sexualität, das Fallen, Gleiten, Flüchten in den Irrsinn. Seine großen Filme, etwa von „Profondo Rosso“ bis „Opera“, entziehen sich der Plotkritik, weil es ihnen offenkundig um etwas geht, das nicht erzählbar ist, das sich der Zähmung versperrt, die eine Anordnung zu einer schlüssigen Narration stets auch bedeutet. Stattdessen sind sie als Ausdrucksgesten einer (alp-)traumlogischen Weltsicht zu lesen.

Giallo PlakatLeider konnten diese Stärken des Filmemachers Dario Argento im Verlauf der letzten beiden Dekaden nur zu leicht in Vergessenheit geraten, weil seine Filme selbst sie allzu oft zu vergessen schienen. Insbesondere ab „Il Cartaio“ wurde immer offensichtlicher, dass Argento selbst sich nicht mehr so recht darüber im Klaren war, was er überhaupt tut. Hanebüchene Plotkonstrukte konnten neben seinen Horrorphantasmagorien auch seinen frühen Gialli noch verziehen werden – da eben ein Giallo und ein Kriminalfilm nicht unbedingt das Gleiche sind. Zwar von einer klassischen whodunnit-Konstellation ausgehend, untergräbt der Giallo doch regelmäßig durch seine absurden, durch nichts angedeuteten und sich damit dem kriminalistischen Ratespiel mit dem Zuschauer entziehenden Plotvolten die Form des geradlinig auf die Auflösung zustrebenden murder mystery, um sich vielmehr für Fetischismus, Obsessionen und die Ästhetik des Mordens zu interessieren. Das schöne Töten, jenseits der Pragmatik des Plots, mehr aus einem malerischen Stil gespeist denn aus der pulp finzione der titelgebenden, gelb eingebundenen Groschenromane. Das Verständnis des Filmemachens als Malen mit Licht und in der Zeit fand sich dort ausgeprägt – und kam, erst allmählich, dann unübersehbar, irgendwann in den 90er Jahren abhanden. Argentos neuere Filme sind vor allem deshalb so schlecht, weil sie an die Tradition des Giallo anzuknüpfen vorgeben, dabei aber jedes Verständnis für die gewählte Form vermissen lassen. Diese Fehler, soviel Positives vorweg, wiederholt er im programmatisch betitelten „Giallo“ eher nicht.

GialloZunächst einmal geht es Argento hier offensichtlich nicht um ein Ratespiel: Um die Identität des Mörders wird kein Geheimnis gestrickt, auch seine Motive sind so schlicht wie klar. Der Deformierte, Hässliche, der den Anblick von Schönheit nicht ertragen kann und sie deshalb zwanghaft zerstören muss, ist natürlich letztlich ein Stereo-, oder vielmehr noch: ein Archetyp. Dem gegenüber steht der nicht weniger obsessive, von den Geistern der eigenen, traumatischen Vergangenheit getriebene Ermittler, und der einzige Clou, mit dem Argento diese Konstellation ausschmückt, ist ein Besetzungscoup: Sowohl Ermittler als auch Mörder (unter dem anagrammatischen Pseudonym „Byron Deidra“) lässt Argento von Adrien Brody darstellen, dessen Performance gewissermaßen das Herz von „Giallo“ bildet. Tatsächlich passt die Traurigkeit Brodys, der ja von Wes Anderson erst jüngst zum Nachfolger Bill Murrays erkoren wurde, gut in diese Rolle, die in ihrer Verlorenheit als Spiegelbild des gelbsüchtigen Mörders durchaus glaubhaft wird. Der schizophrenen Dynamik zwischen diesen beiden Antagonisten obliegt es dann auch, „Giallo“ zu tragen, denn ansonsten ist der Film sehr schlicht gebaut. Es gibt kein Rätsel, das es zu lösen gibt, es gibt keine nachvollziehbare Ermittlung, es gibt keine Vertiefung der Beziehung zwischen Avolfi und der nach ihrer entführten Schwester suchenden Linda (Emmanuelle Seigner), es gibt nicht einmal einen wirklichen Spannungsbogen und auch nicht – wie jüngst in „La terza madre“ noch exzessiv ausgekostet – einen Hang zu extremsten Gewaltspitzen. Stattdessen bleiben nur Rudimente einer Kriminalerzählung, betont geradlinig und in nachgerade selbstparodistischer Manier nicht einmal richtig zu Ende erzählt und um die grob skizzierten Protagonisten herum arrangiert.

GialloIn dieser extremen Reduktion lässt sich „Giallo“ durchaus als eine Skelettierung seines Genres verstehen. Indem er, beinahe schon collageartig, Selbstzitate und Standardsituationen aus seinen eigenen Gialli aneinanderreiht, schafft Argento zunächst einen Resonanzraum, der über „Giallo“ als Einzelwerk hinausgreift und das gesamte Genre und seine Regularien in den Blick nimmt. Dann nimmt er sich eine Regel nach der anderen vor, bricht sie gezielt oder straft sie schlicht mit Desinteresse, bis am Ende nur noch die reine Essenz des Giallo bleibt und wir uns unversehens inmitten eines jener Alpträume wiederfinden, die Argento uns einst so unmittelbar und kompromisslos in Bild und Klang goss: Es gibt nur die schönen Mädchen und die hässlichen Männer, die sie quälen und töten – und dann gibt es noch die Melancholiker, die diese Männer jagen und damit im Grunde eher ihre eigenen Dämonen zu bannen suchen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Splatting Image Nr. 79 (September 2009).

Giallo
(USA/Italien 2009)
Regie: Dario Argento; Buch: Jim Agnew, Sean Keller, Dario Argento; Musik: Marco Werba; Kamera: Frederic Fasano; Schnitt: Roberto Silvi
Darsteller: Adrien Brody, Emmanelle Seigner, Elsa Pataky, Robert Miano, Byron Deidra u.a.
Länge: ca. 92 Min.

Flöhe im Waschbärpelts

Der italienische Regisseur Dario Argento gehört zu denjenigen Filmemachern, deren kontinuierlicher Output das Gesicht des europäischen Genrefilms seit über drei Jahrzehnten mitbestimmt. Angefangen als typischer Vertreter des „Giallo“-Thrillers in den frühen 1970er Jahren über Horrorfilme in den 1970er und 1980er Jahren bis hin zu Horror- und Mysterystoffen, die Argento bis heute inszeniert, zählt er sicherlich zu den „Masters of Horror“ und damit zur Reihe illustrer Regisseure, denen der Produzent Mick Garris seit 2005 eine Kurzfilmreihe widmet. In dieser dürfen sich Genregrößen wie Stuart Gordon, Joe Dante, Tobe Hooper, John Carpenter und einige andere an knapp einstündigen Kurzfilmen versuchen, die oft die spezifische Handschrift, die die Macher in ihrer Karriere entwickelt haben, aufgreift und in der „kleinen Form“ verdichtet. Gerade das ab Mitte der 1990er Jahre zunehmend desaströser geratene Alterswerk Argentos zeigt in beiden bislang von ihm inszenierten „Masters of Horror“-Episoden deutlich, dass diese Hommagen nicht immer ihren Zweck erfüllen.

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