Science Fiction – Double Feature

Das Projekt, das Georg Seeßlen mit seinen „Grundlagen des populären Films“ unternimmt, ist in der deutschen Filmpublizistik einzigartig. Seeßlen versucht nicht nur, den bestehenden Debatten neue Aspekte hinzuzufügen, sondern diese Debatten auch weitgehend zusammenzufassen. Dabei dient ihm die Genre-Klassifizierung des Films als Grundlage: Jedem der Einzelwerke der Reihe ist die Geschichte und Ästhetik eines Genres gewidmet.


In der neuesten, zweibändigen Veröffentlichung „Science Fiction“ ist es nun das vielleicht älteste und in letzter Zeit produktivste Genre, dem Seeßlen sich stellt. Die Grundlagen des SF-Films, die er als „Mythologien“ bezeichnet, verortet er in der Literatur. Deshalb ist sein Einführgskapitel auch im Wesentlichen von der Betrachtung der utopischen Literatur als Bedingung des Science Fiction-Films geprägt. In einem 80-seitigen Essay versucht er eine Phänomenologie des Genres, die als Basis für die nachfolgenden „Geschichte“ desselben dienen soll – wohlgemerkt: Geschichte durchaus im doppelten Sinn des Wortes auch als Erzählung. Denn die Einteilung der Bände richtet sich vom Aufbau an den Motiv-Komplexen aus, die dann erst in den historischen Diskurs eingebettet werden.

Natürlich hat das Science Fiction-Projekt wie jeder der Bände der „Grundlagen“ auch die ganz eigene Seeßlen’sche Sichtweise und originelle Interpretationen aufzuweisen. Die vom Autor als Denkparadigma vorausgesetzte Analyse der Gesellschaft über die Medien, die notwendig auch eine ideologische ist, ist auch hier durchgängig spürbar. So sei Science Fiction zwar in seinen Erzählungen ein Genre der Zukunft, in seiner ideologische Prämisse hingegen grundsätzlich eine Analyse der Gegenwart. Diese ideologische und zugleich ideologiekritische Perspektive bringt der Autor bei der Betrachtung sowohl der Filme als auch der Romane zur Anwendung (und daher sind seine Seitenhiebe gegen jemanden wie Robert A. Heinlein Legion in den beiden Bänden).

Die Crux des Projektes ist jedoch ihr resümierendes Programm: Seeßlen weiß über die fast eintausend Seiten viel über das Science Fiction-Genre in Wort und Film zu berichten. Er hat wohl so gut wie alles von Rang und Namen gesehen und gelesen und in seine Betrachtungen einfließen lassen. Doch weil er eben „Geschichte“ und „Grundlagen“ liefern will, stößt man dabei nicht selten auf bereits hinreichend „beackerte Felder“. Teilweise sind die Debatten schon so tief in das Zuschauer-/Leserwissen eingedrungen sind, dass man sie als Leser in Gänze antizipieren kann. Damit wird das Projekt schwer als Wissenschaftsprosa rezipierbar. Eine striktere Trennung von historischem, rezeptionsgeschichtilichem und interpretativem Teil hätte dem Projekt gut getan. Es erhält aber durch seine umfangreiche Bibliografie und den guten Apparat den Charakter eines wohlausformulierten Nachschlagewerks.

Im Format unterscheidet sich der SF-Band nur wenig von seinen Vorgängern. Er ist reicher illustriert, wenn die Illustrationen selbst auch manchmal etwas zu klein geraten sind und ihre Verteilung nicht gerade als gestalterisch sinnvoll bezeichnet werden kann: Hier wäre die sprichwörtliche Bleiwüste mit Bilderoasen, ein passender Vergleich.

Das Projekt der „Grundlagen des populären Films“ hat mit dem Science Fiction-Band ein gebundenes 980-seitiges Schwergewicht hinzugewonnen. Eine abschließende und übergreifende Bewertung kann erst nach Abschluss der Reihe folgen. Jetzt ist jedoch schon festzustellen, dass Seeßlen der deutschen Filmpublizistik einen großen Dienst erweist, indem er die Erkenntnisse zum Genrefilm bündelt, bewertet und zu einem kohärenten Werk aufbereitet. Der in Kürze folgende Band zum Horrorfilm wird diesbezüglich ein weiterer wichtiger Baustein sein.

Georg Seeßlen/Fernand Jung
Science Fiction – Geschichte und Mythologie des Science Fiction-Films
Reihe: Grundlagen des populären Films
2 Bände
Marburg: Schüren Verlag, 2003
ISBN 3-89472-429-3
463 Seiten, zahlr. Abb.
45,00 Euro

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