Ge-fake-te Fakes und authentische Fälschungen

Ja, die Herausgeber des in der Reihe „kommunikation audiovisuell” erschienenen Sammelbandes „TV-Skandale” haben ein ziemlich buntes Buch zustande gebracht. Nein, die Gestaltung der Texte ist gewohnt schwarz-weiß mit einem Hauch von leseunfreundlicher zu kontrastreicher Typographie. Aber das Spektrum an Autoren und den in ihren Texten zur Anwendung kommenden Textgenres ist so breit, dass eine herkömmliche Regenbogen-Metapher wahrscheinlich nicht mehr ausreichen würde, um die gebotene Vielfalt zu beschreiben, ohne dass auch noch Infrarot- und Ultraviolettstrahlen dazu herangezogen werden.

TV-SkandaleZu nennen wären da etwa der geisteswissenschaftliche Aufsatz bzw. Kurzessay, aber auch die eher journalistisch erzählte Faktenansammlung (Brunst) und sogar eine juristische Betrachtung (Plappert), die mit ihrem um Objektivität bemühten Stil in einem die Subjektivität der Betrachtungen nicht versteckenden Sammelband einen ziemlichen Fremdkörper darstellt. Es ist gut möglich, dass die Herausgeber mit diesem Text zum erklärten Ziel der „kommunikation audiovisuell“-Reihe beitragen wollten, zwischen Medienwissenschaft und Medienpraxis zu vermitteln, und auch der Medienpraxis etwas „handfestes” mit auf den Weg geben wollten. Einen besonderen Stellenwert innerhalb der insgesamt 33 Texte des Bandes nehmen schließlich die zahlreichen Gespräche mit vor allem in der Medienbranche tätigen Interviewpartnern ein, die die Inhomogenität der in diesem Buch zum Leser sprechenden Stimmen noch größer werden lässt.

„TV-Skandale” gliedert sich in eine Einleitung und vier große Abschnitte mit je sechs Beiträgen und deckt die Bereiche der Fernseh-Shows, der Serien und Spielfilme, des Musikfernsehens und der dokumentarischen TV-Magazine ab. Für einen Band, der sich mit Skandalen befasst, sicherlich nicht unerwartet, treten oft Fälle von aufgedeckten Manipulationen und Fälschungen in den Mittelpunkt des Interesses, so dass sich der vierte Abschnitt fast komplett dem enttarnten und hinter Gitter gebrachten Fake-Journalisten Michael Born widmet. Dabei wird die zum Teil „enthüllende” Attitüde einiger Texte von philosophischen Betrachtungen über die strukturelle Notwendigkeit von Fakes für die Aufrechterhaltung des Wahrheits-Mythos in den Medien (Gerhards) und über die Untrennbarkeit von Fake und Wahrheit (Bickenbach) durchkreuzt.

Einer der Vorteile des Bandes ist sicherlich, dass diese Sammlung von Texten ein Netz von gegenseitiger Kommentierung und eine „virtuelle” Diskussion entstehen lässt. So definieren etwa die Herausgeber Skandale als „Verfehlungen, die mit öffentlich geteilter Empörung verbunden sind” (Hervorhebung von mir). In dem ansonsten leider voll im heutigen Trend der Dämonisierung der sozialistischen Ära liegenden Artikel zum Skandal im DDR-Fernsehen (Pfau/Trültzsch/Viehoff) wird jedoch die Ansicht der Herausgeber korrigiert, indem darauf hingewiesen wird, dass sich die öffentliche Empörung nicht von selbst ausbreitet, sondern von den Massenmedien organisiert wird. Einen kleinen Skandal enthält das Buch aber auch in sich: Direkt die erste Zeile der Einleitung verweist auf einen Autor namens Groy, der im Jahre 20002 geschrieben haben soll, das Fernsehen stehe seit jeher „unter Verdacht“. Offenbar handelt es sich hierbei um den im Literaturverzeichnis aufgeführten Text „Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien” von Boris Groys. Oder haben wir es hier tatsächlich mit einem Fake zu tun?

Claudia Gerhards, Stephan Borg, Bettina Lambert (Hgg.)
TV-Skandale
„kommunikation audiovisuell“. Beiträge aus der Hochschule für Fernsehen und Film München. Band 35.
Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2005
408 Seiten (Paperback), 34,00 Euro
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Nikita Braguinski

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