Das Herz hat seine Gründe …

Die Filme Kim Ki-duks erfreuen sich wahrscheinlich vor allem deshalb einer wachsenden Popularität, weil sie „versöhnlich“ sind. Der erst seit wenigen Jahren filmschaffende Süd-Koreaner thematisiert in ihnen immer wieder Konflikte, wie sie die Gesellschaft oder den Einzelnen bestimmen: Liebe versus Hass, Glück versus Leid, Einsamkeit versus Gemeinschaft, Spiritualität versus Existenz – und immer wieder: Tradition versus Moderne. Denn gerade letzteres ist ein Thema, welches auch die Gesellschaft Kims nachhaltig kennzeichnet: Südkorea ist eines der am stärksten prosperierenden Länder der Welt und wurzelt dennoch – wie viele ostasiatische Kulturen – tief in einem spirituell-religösen Fundament. Konflikte scheinen also nicht nur vorprogrammiert, sondern geradezu paradigmatisch in einer solchen Gesellschaft zu sein. In Kims Filmen konfligieren die Widersprüche jedoch nicht um eines Sieges des einen über den anderen willen; er führt Kontradiktionen als nur scheinbar, nur von der jeweiligen Warte aus gesehen unauflösbar vor und stellt ihnen ein Drittes anbei, das nicht selten als Synthese beider zu verstehen ist.

So auch in seinem neuen Film HWAL – DER BOGEN (2005). In ihm wird auf der Oberfläche ein schier unglaublicher Tabubruch begangen: Ein alter Mann, Betreiber eines mitten auf dem Meer schwimmenen Fischer-Ausflugsbootes, lebt dort zusammen mit einem sechzehnjährigen Mädchen, dass er zehn Jahre zuvor entführt hat. Sie warten beide auf ihren siebzehnten Geburtstag wartet, an welchem der Alte das Mädchen heiraten will. Außenstehende bemerken die eigenartige Konstellation zwar, doch finden sie es eher amüsant und necken den Alten zeitweilig damit, dass sie das in sexuellen Dingen völlig naive Mädchen mit Anzüglichkeiten bedrängen. Dann schreitet der Alte immer wieder mit seinem Bogen ein, schießt Warnpfeile auf die frech gewordenen ab und stellt wieder Ruhe her. Dieser Bogen dient ihm darüber hinaus als Musikinstrument, mit dem er allabendlich seiner künftigen Braut sehnsüchtige Melodien spielt und als Instrument der Prophezeihung, denn der Alte und das Mädchen können Weissagen: Hierzu setzt sie sich auf eine Schaukel, die an der Außenbordwand befestigt ist, schaukelt vor einem Buddha-Bild hin und her, der Alte schießt seine Pfeile in ihre Richtung, die nie sie, sondern immer das Bild treffen und hernach flüstert sie ihm eine Prophetie, die er an seine Kunden weitergibt. Dieses harmonische Beisammen des so ungleichen und doch gleichen Paares wird jäh gestört, als ein junger Student auf das Boot kommt, in den sich das Mädchen verliebt. Sie wird nun immer abweisender zu dem Alten und flieht schließlich mit dem Studenten nach einem eskalierenden Dreieckskonflikt. Doch mitten auf ihrer Flucht kehrt sie um, weil sie etwas zu verstehen beginnt.

Kims Film ist bereits scharfer Kritik ausgesetzt gewesen: Zu sehr ähnele das Setting den bekannten Situationen aus SEOM – DIE INSEL (2000) oder FRÜHLING, SOMMER, HERBST, WINTER UND FRÜHLING (2003). Zu homolog sei diese Geschichte um Liebe und Eifersucht zu letzerem Film und dem Erfolgswerk BIN-JIP (2004). Kim haben mit HWAL allenfalls ein „Best of“ seines bisherigen Schaffens abgeliefert, streng daran orientiert, welche Aspekte „erfolgversprechend“ waren und diese allenfalls gering variiert. Eine solche Kritik verkennt zweierlei: Nicht nur scheint es in Kims Filmografie – wie oben erwähnt – grundsätzlich um immer dieselben Konflikte, doch stets aus einer anderen Perspektive beobachtet zu gehen; auch strebt der Regisseur mit HWAL einen Punkt größerer Explikation an als die vormaligen Werke. Waren diese immer nur „irgendwie“ im „Hier und Jetzt“ verortbar, doch selten konkret, so hat Kim gerade in seinen letzten beiden hierzulande erschienen Werken (SAMARIA, 2004 und eben HWAL) eine größere Konkretion in seine Fabeln eingeführt.

Damit greift HWAL in ein aktuelles Problemfeld ein: Kaum jemandem mögen die Begriffe „Kindesentführung“, „Päderastie“ und vielleicht „religiöser Konservativismus“ nicht durch den Kopf gehen, während ihm klar wird, wovon HWAL erzählt. Da ist ein alter Mann, der ein kleines Mädchen seiner Familie entreißt, nur um sich mit diesem ein paar Jahre später einen zweiten (oder ersten?) Frühling zu bescheren. Und als sich dieses Mädchen dann seinem Alter gemäß verhält, sich gar in einen Gleichaltrigen verliebt, sieht der Entführer seine Felle wegschwimmen, seine lang geplanten Hochzeitspläne in Gefahr und droht schließlich mit Gewalt: mit Mord und Selbstmord. Dass sich dieses sehr konkrete Verhalten im letzten Teil des Films als Metapher entpuppt, ist der Clou des Films. Hatte SAMARIA wegen seiner erzählerischen Unentschlossenheit an genau dieser Stelle noch versagt (das Gegenständliche als Indiz einer größeren Wahrheit zu entbergen), so gelingt bei HWAL dieser Übergang ästhetisch perfekt: Kim skizziert mit seinem Film nichts geringeres als einen Versuch Traditonalismus und Religiosität mit Moderne und dem aus ihre resultierenden Agnostizismus miteinander zu versöhnen

Hwal – Der Bogen
(Süd Korea 2005)
Regie & Buch: Kim Ki-duk; Musik: Eun-il Kang; Kamera: Seong-back Jang; Schnitt: Ki-duk Kim
Darsteller: Yeo-reum Han, Si-jeok Seo, Gook-hwan Jeon, Seong-hwang Jeon u. a.
Länge: 88 Minuten
Verleih: R.E.M.

(Dieser Text ist zuerst erschienen in: Der Schnitt, Nr. 43, 03/2006, S. 41.)

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