Colour us blood red

Im Zuge der neuerlichen Hyperrealisierung des Kinos durch 3D-Technologien zeigt sich wieder einmal, dass Film eben erst in zweiter Hinsicht als ästhetisches Artefakt verstanden wird. Oft wird er als ein Affekt-Spektakel gesehen, das wirken soll. Unter diesen Gedanken ließe sich seine komplette Technikgeschichte subsumieren: Von der Erhöhung der Bildfrequenz von 16 auf 24 Bilder pro Sekunde, über die Einführung von Farbe, Ton, größere Tiefenschärfe, 3D-Optiken und anderen Mitteln zur Überlappung von Film- und Zuschauerraum ist die Stoßrichtung des Films der Körper seines Zuschauers. So ist es zu erklären, dass frühe Stummfilme heute nicht mehr bei den Zuschauern wirken, wie sie es in der Vergangenheit vermochten, wo das Publikum angeblich vor dem stummen und schwarzweißen Abbild eines sich nähernden Zuges geflüchtet sein soll. Die Geschichte stimmt nicht, sie sagt aber viel über unser Verhältnis zum Medium Film und welche Macht wir seiner Ästhetik zusprechen.

Man müsste die Bilder jener Tage schon „aktualisieren“, damit sie ihre alte Wirkung wieder entfalten können: indem man ein zeitgemäßes Remake anfertigt oder das Quellenmaterial technisch überholt. Bei den Horrorfilm-Klassikern „Carnival of Souls“ (USA 1962, Herk Harvey ) und „The Last Man on Earth“ (USA 1964, Ubaldo Ragona & Sidney Salkow) ist ersteres schon längst geschehen: Harveys Film hat 1998 ein unrühmliches Remake in der US-amerikanischen Wes-Craven-Produktion gleichen Titels (Regie: Adam Grossman & Ian Kessner) erfahren und wurde jüngst noch einmal von Christian Petzold in dessen „Yella“ (D 2007) aufgegriffen. Richard Mathesons Vorlage zu „The Last Man on Earth“ ist viele Male neu „verfilmt“ worden – am bekanntesten sind hier George A. Romeros „Night of the living Dead“ (USA 1968), „The Omega Man“ (USA 1971, Boris Sagal) und zuletzt „I am Legend“ (USA 2007, Francis Lawrence). Jetzt haben Savoy-Film und Sunfilm beide „Ursprungsfilme“ noch einmal auf DVD herausgebracht, sich dabei der zweiten Methode besonnen und sie nachcoloriert.

Dieses Schicksal war in den 1980er-Jahren ja bereits Romeros „Night of the Living Dead“ widerfahren. Der Film, dessen Sequels vor allem durch ihre blutigen Splatter-Effekte von sich reden machen haben, war auf Schwarzweiß gedreht, was im Nachhinein auf die Zuschauer wie ein Kompromiss gewirkt haben muss: Ein schwarzweißer Zombiefilm mit schwarzem Blut – das ergab wohl im Rückblick des Subgenres keinen Sinn, also ist die konsequente Reaktion zunächst das (1990 durch den Spezial-Effekte-Meister Tom Savini erstellte) Remake, dann die Nachcolorierung. Dass die (ursprüngliche?) Wirkung des Films aber ja vor allem auf den scharfen Schwarzweiß-Kontrasten, dem Spiel mit der Dunkelheit, den Schatten und den daraus hervor wankenden kalkweißen lebenden Leichen herrühren könnte, ist als Anachronismus verworfen worden. Ganz ähnlich ist es bei den beiden nun farbig vorliegenden Filmen.

Deren Überarbeitung ändert zwar nichts an der Qualität der ursprünglichen Fassungen – sie bleiben davon unberührt und die Farbversionen verhalten sich wie aktuelle Kommentare zu ihnen, die mehr über die Kultur, die sie angefertigt hat, sagen, als über den filmhistorischen Ursprung. Die Farbfassungen haben den von beiden Filmen aufgespannten ästhetischen Diskursen jedoch auf der anderen Seite auch überhaupt nichts hinzuzufügen. Sie stellen lediglich Interpretationen ihrer Vorlagen dar, Mutmaßungen darüber, welche Farbe das Hemd Vincent Prices gehabt haben mag oder wie bunt der verlassene Vergnügungspark auf Coney Island wirklich gewesen sein mag, über den die von Geistern verfolgte Mary in „Carnival of Souls“ irrt. Sie annullieren durch diese Farbspiele jedoch jegliche Subtilität, verschieben Akzente und damit den unangenehmen Grusel, der vor allem aus dem Konflikt des cineastisch vormodernen Appeals des Schwarzweißen zu den sehr modernen Motiven der Filme entstanden ist, in die Profaneität.

Für wen also werden solche Farb-Bastarde, die nicht Vergangenheit sein dürfen, aber auch nicht Gegenwart sein können, erstellt? Sind sie für die viel zitierte MTV-Generation, die angeblich mit alten Optiken nichts anfangen kann? Wohl kaum, denn allein die Farbigkeit zu ändern, lässt einen alten Film noch nicht aktuell aussehen, es stellt sein Alter nur umso deutlicher heraus: Zu Beginn der 1960er-Jahre herrscht ein anderer Schnittrhythmus im Horrorfilm, die Musik ist anders, vor allem aber das Schauspiel ist zurückhaltender. Fällt dem Zuschauer die Pietät in der Schwarzweiß-Fassung von „The Last Man on Earth“ vielleicht aufgrund ihrer Zeitgemäßheit gar nicht auf – die Leichen, an denen Vincent Price verübergeht, liegen zumeist auf dem Bauch oder der Seite, aber nie so, dass man deren Gesicht sieht – es sei denn, sie sind weit genug entfernt. Farbige Horrorfilme ab den 1970er-Jahren und vor allem von heute haben nach genau der umgekehrten Prämisse funktioniert: Close-ups auf eben jene vom Tod gezeichneten Gesichter, die damit das Sterben seiner Unpersönlichkeit entreißen sollten. Dass beide DVDs von der FSK für Zuschauer „ab 16“ freigegeben wurden, zeigt aber, dass die Rechnung dennoch teilweise aufgegangen ist und man den harmlosen Bildern der Ursprungsfassungen in Farbe mehr Affektpotenzial zutraut. Oder ist die hohe Jugendfreigabe am Ende bloß aus strategischen Gründen beantragt worden um zu suggerieren: Schaut, wie sehr wir die ehedem zahmen Filme radikalisiert haben!

Aus film- und medienhistorischer Perspektive stellen die Neubearbeitungen eine interessante Ergänzung Rezeptionsgeschichte dar. Sie reihen sich ein in die Werk-Editionen, liefern einen Aspekt mehr und bereichern den paratextuellen Kosmos der jeweiligen Filme. Dass der DVD von „The Last Man on Earth“ noch der Dokumentarfilm „Day of Fury“ (USA 1980, Fred Warshofsky), der erst 16 Jahre nach dem Hauptfilm entstanden ist, beigegeben wurde, offenbart bereits den angesprochenen editorischen Aspekt: Einziger Link zwischen beiden Filmen ist neben deren gemeinsamem Thema Vincent Price, der in der Weltuntergangs-Dokumentation den Kommentar spricht. Wer das Glück hat, beide Spielfilme in den Ursprungsfassungen noch nicht zu kennen, ist jedoch gut beraten, nicht die beiden colorierten Fassungen zu kaufen. Denn sie vermitteln nicht bloß den falschen (ersten) Eindruck dieser Kleinode des Horrorkinos, sondern rauben demjenigen, der in der Lage ist Schwarzweiß nicht bloß mit „alt“, sondern auch als ästhetische Strategie zu identifizieren, ein Wesentliches der Wirkung beider Filme.

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