Außer Puste

Johnnie To ist ohne weiteres einer der herausragendsten Regisseure, die Hongkong derzeit zu bieten hat, vielleicht sogar einer der interessantesten Genreregisseure der Welt. Zwar rekrutiert sich seine Filmografie zum nicht geringen Teil aus künstlerisch weniger wichtigen Auftragsarbeiten, jedoch finden sich neben diesen Filmen immer wieder auch die Arbeiten eines Auteurs reinsten Wassers: Immer dann, wenn To ganz bei sich ist, seiner Cinephilie vollen filmischen Ausdruck verleihen kann, entstehen in der Regel sorgfältig durchdachte Genrevariationen, formal, narrativ wie ästhetisch Ausnahmeerscheinungen, kurz: aufregendes, innovatives Kino! RUNNING OUT OF TIME (Hongkong 1999), der vor wenigen Jahren To auch hierzulande einem breiteren Programmkino-Publikum erschloss, stellt ein solches Beispiel aus der ambivalenten Filmografie des Regisseurs dar: Ein gegen den Strich des Triadenfilms inszenierter, melancholischer und gewitzter Gangsterfilm, fast vollständig in kalte Blautöne getaucht, dessen verzwickte Story sich – im Gegensatz zu vielen, vergleichbaren Schnellschüssen der Ex-Kronkolonie – noch bis ins Detail elegant und schlüssig auflöst. Einer der großen Konsensklassiker des jüngeren, von Krisen arg gebeutelten Hongkong-Kinos. Eine hohe Meßlatte also für das Sequel, das zwei Jahre später nachgeschoben wurde und nun im Rahmen der noch jungen, vielversprechenden „Cine Magic Asia“-Reihe des Anbieters e-m-s auch hierzulande, wenn auch nur auf DVD, Premiere feiern darf.

Die Story wurde in Grundzügen vom ersten Teil übernommen: Weihnachtszeit in Hongkong. Ein melancholisch-smarter Gangster (Ekin Cheng), der einem doch nicht so recht als böse erscheinen will, raubt eine Reihe von Kunstwerken, um die zuständige Versicherung zu erpressen, aber eben auch, um mit Inspektor Ho Sang (Lau Ching Wan) aus zunächst undurchsichtigen Beweggründen ein verzwicktes Katz-und-Maus-Spiel in den Hochhausschluchten der Metropole zu veranstalten.

Alles beim Alten also, möchte man auf den ersten Blick meinen. Ganze Sequenzen – etwa dass Ho Sang den Delinquenten zunächst in einem polizeilich beschlagnahmten Taxi stellt – wurden fast bis ins Detail übernommen, zumindest aber überdeutlich zitiert, auch Ho Sangs Vorgesetzter Wong Kai Fai (Shiu Hung Hui) ist wieder mit von der Partie und stellt sich in zahllosen Situationen als trotteliger Side-Kick – wenn auch diesmal weit weniger witzig als dazumal, eher schon nervig – bloß. Die Bilder sind mindestens ebenso oft in Blau getüncht, die Kameraarbeit gibt sich sichtlich Mühe mit weit ausholenden Kameraumfahrten aus leichter Aufsicht den Look des Vorgängers zu imitieren.

Und dennoch, trotz all dem Altbekannten, es bleibt ein schaler Nachgeschmack: Es fehlt, im wesentlichen, die Eleganz des ersten Teils, die innere Geschlossenheit. Trug Andy Lau in seiner Rolle zuvor noch einen echten Konflikt in sich, lief ihm buchstäblich die noch verbleibende Zeit durch die Finger, erscheint Ekin Chengs Auftreten lediglich als narzistische Performanz mit erst zum Ende hin durchscheinenden Beweggründen, die aber dann letztendlich doch nicht wirklich als Motivation für all den Hokuspokus über den Hochhausdächern dieser Stadt dienen können. „Hokuspokus“ ist obendrein ganz wörtlich zu nehmen, in der Tat scheint er über die Zauberkräfte zu verfügen, die sich David Copperfield und Co gerne selbst andichten. Hängt er etwa, mit Handschellen an Ho Sang gekettet, an einer Hochhausfassade, unter sich die todbringende Tiefe, reicht offenbar schon der simple Wurf einer Rauchbombe, um sich in Luft aufzulösen und auf dem Dach des benachbarten Gebäudes wieder in Erscheinung zu treten. Solche Momente – es gibt dergleich noch einige mehr – sind es, in denen sich das Script fast schon mit peinlichen Unzulässigkeiten aus der Schlinge zu ziehen versucht, die einem den Film vergällen.

Genannte Szene ist zudem als symptomatisch zu betrachten: Statt der Etablierung handfester Konflikte und Beziehungsgeflechte und deren eleganter Auflösung, wie der Vorgänger dies noch als Ziel verfolgte, verliert man sich in der Beliebigkeit von Motivationslosigkeit und bloßer Behauptung. Ähnlich beliebig erscheint ein Subplot, in dessen Verlauf sich Ekin Cheng mit Suet Lam, diesmal in der Rolle eines korrupten Polizisten, zum regelmäßigen Münzenwerfen trifft und ihn so letztendlich von seiner neurotischen Spielsucht heilt. Warum auch immer, weshalb auch immer, könnte man sich fragen, hätte man sich diese Fragen im Verlauf nicht schon zu oft gestellt.

Auf der Berlinale, wo To in diesem Jahr seinen meisterlichen P.T.U. (HK 2003) als Weltpremiere vorstellte, teilte der Regisseur sein Werk ganz offen und bereitwillig in eingangs erwähnte Gruppen auf: Hier die persönlichen Herzensprojekte, dort die für To künstlerisch weit weniger wichtigen, kommerziellen Arbeiten. Eine Filmografie, wie sie wohl wirklich nur unter den spezifischen Hongkonger Filmproduktionsbedingungen entstehen kann. Um mit P.T.U. endlich wieder einen Film der ersten Gruppierung drehen zu können, habe er, so To vor dem Berlinalepublikum, zuvor erst sieben andere Filme fertig stellen müssen. Wer nun zurückzählt, sieht RUNNING OUT OF TIME 2 also eindeutig verortet. Dieser sei To deshalb von ganzem Herzen verziehen – sieben Filme in Hongkong zu drehen, das ist, wie man weiß, schnell geschehen. Und mit dem jüngeren P.T.U. hat er rückblickend bereits eindrucksvoll unter Beweis stellen können, dass seine Filmografie auch durch geringfügige Patzer keinen Schaden nimmt.

Zur DVD
Die DVD aus dem Hause e-m-s weiß zu überzeugen. Das anamorphe Bild kratzt sicher nicht an Referenztiteln, macht aber, wie die Tonspuren (Deutsch: DTS/Dolby Digital 5.1/Dolby Digital 2.0; Kantonesisch: Dolby Digital 5.1), einen soliden Eindruck. Die deutsche Synchronisation hätte vielleicht etwas mehr Engagement seitens der Sprecher vertragen können, verliert sich aber nicht, wie die anderer asiatischer Filme, im Bodenlosen der monotonen Lustlosigkeit. Die Extras sind weitgehend obligatorisch und somit kaum herausragend: Ein kleines Making Of, das einmal zu sehen vollkommen ausreicht, umfangreiche Biografien und Filmografien der wichtigeren Produktionsbeteiligten, sowie der Originaltrailer. Alles in allem ein solider Release.

IPB Bild

Running out of Time 2 (Aau chin 2, Hongkong 2001)
Regie: Johnnie To / Wing-Cheong Law; Drehbuch: Kin Yee Au, Nai-Hoi Yau; Kamera: Siu-keung Cheng; Schnitt: Wing-cheong Law, Chi Wai Yau; Darsteller: Lau Ching Wan, Ekin Cheng, Kelly Lin, Shiu Hung Hui, Suet Lam, Ruby Wong u.a.
DVD-Anbieter: e-m-s (Cine Magic Asia Reihe) Laufzeit: ca. 95 Minuten

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