Ahnenforschung

Tonbänder, die zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht Wahrgenommenes wiedergeben, Fotografien, die mehr zeigen, als vor der Linse zu sehen gewesen ist, das sind die Zutaten, mit denen moderne Geistergeschichten zubereitet werden. Ganze Webseitenringe beschäftigen sich im Internet – mal mehr, mal weniger seriös – mit solcherlei Phänomenen und sorgen beim mitternächtlichen Vorbeisurfen für wohligen Grusel vor dem Monitor. Das klassische, förmlich aus dem Nichts heraus in Erscheinung tretende Gespenst scheint in unseren Zeiten ausgestorben, wer was auf sich und seinen Spuk hält, der manifestiert sich zunächst in der medialen Reproduktion von Wirklichkeit.

Die Strategie ist nachvollziehbar: Entsprach dereinst, im Zeitalter klassischer Schauerromane, der unmittelbare Raum als primäre Erfahrungswelt, so entsprach er hiermit auch der Angriffsfläche für subversive Störungen der Raum-/Zeitwahrnehmung. Und nichts anderes stellt letztendlich das Auftreten des Gespenstes dar, wie sich überhaupt – man lese es bei Norbert Stresau nach – der Horrorfilm mit jener Störung beschäftigt. In unserem Zeitalter nahezu unüberschaubarer Kommunikationskanäle und Medienwelten ist der physische Raum indes längst schon durch den virtuellen zwar nicht zur Gänze abgeschafft, wohl aber erweitert worden, und ist somit als erstes im oben genannten Sinne zu torpedieren. So ist es beileibe kein Zufall oder gar bloß gewitzte Idee eines Drehbuchschreiberlings, dass Hideo Nakatas bereits lange vor us-amerikanischem Remake und hiesiger DVD-Auswertung zum Kult avancierter Horrorfilm RINGU (Japan 1998) von eben genau jenem raumlos gewordenem Mediengrusel berichtet. Mit dem jetzt auch hierzulande erschienen RING 0 vollzieht sich nun eine „Rolle rückwärts“: Nicht nur erzählt der Film von Ereignissen 30 Jahre vor Nakatas Film, die zudem überhaupt erst die Grundlage für RINGU bildeten, man versucht sich obendrein auch an einer Wiederbelebung klassischer Geistergeschichten, wenn auch, quasi als Echo, mit dem einen oder anderen „Knick“ im medialen Gefüge angereichert. Absehbar also, dass diese Strategie auf Kosten der wohligen Schauer, die RINGU weltweit auslöste, geschehen muss.

Sadako ist ein junges, japanisches Mädchen, das ihr Gesicht, in sich gekehrt und verschüchtert, am liebsten hinter ihren langen, glatten Haaren versteckt. Vor Jahren trat ihre Mutter vor einem journalistischen Publikum an, um ihre parapsychologischen Fähigkeiten, die sich, munkelt man, vererbt hätten, unter Beweis zu stellen. Ein vorlauter Reporter, der die Performance lautstark als Schwindel diffamierte, starb noch währenddessen, auch seine Kollegen, die in den Kanon mit einstimmten, sind binnen kürzester Zeit der Reihe nach unter ungeklärten Umständen aus dem Leben getreten. Diese Aura des Unheimlichen ist dem Mädchen, seinerzeit Zeugin, bis heute geblieben und so nimmt es nicht viel Wunder, als Sadakos Mitschüler in der Theatergruppe nur wenig begeistert sind, als sie für die Hauptrolle vorgeschlagen wird, zumal die eigentliche Hauptdarstellerin ähnlich mysteriös wie die Pressevertreter dereinst verschied. Unterdessen macht sich Miyai Akiko, die Verlobte des zuerst verstorbenen Reporters, als Journalistin auf den Weg, um Sadako ausfindig zu machen. Die Todesfälle in Sadakos Umfeld häufen sich …

Ganz der klassischen Tradition verpflichtet, ist das Monster des Films nicht etwa eine Inkarnation des Bösen, sondern vielmehr selbst getriebenes Opfer seiner Lebensumstände. Ähnlich wie Sissy Spacek in de Palmas CARRIE (USA 1976), der hier nicht selten motivisch wie narrativ zitiert wird, ist Sadako ein verschüchtertes Mädchen mit übersinnlichen Fähigkeiten, die sie, sich derer kaum bewusst, nur wenig unter Kontrolle hat. Gefangen in einem kaum entwirrbarem Geflecht aus bleierner Vergangenheit und sozialer Gegenwart entwickelt sich so ein im Gesamten eher trauriges denn gruseliges Drama. Vieles mag einem da – zumindest ikonografisch – bekannt vorkommen: Man ist – wenn man schon auf das Gimmick des „Videos im Film“ der anderen Teile notgedrungen verzichten muss – sichtlich um die innere Geschlossenheit der Trilogie bemüht und verdichtet die knappen Vorgaben zum Gründermythos der Reihe aus den bereits bekannten Teilen um das ästhetische Material des geisterhaften Videos herum. In einer Vertauschung von Ursache und Wirkung werden aus diesem gewissermaßen die Bilder zitiert und in einen narrativen Zusammenhang gepresst, was auf der einen Seite zwar für den Fan und die Atmosphäre der Filmreihe reizvoll ist, auf der anderen Seite aber auch dem surrealen Video der vorherigen Teile den enigmatischen Charme raubt, zudem – im Gesamten betrachtet – den größten Fehler des Geisterfilms begeht: Das Geheimnis zu lüften, es zu rationalisieren.

Wie überhaupt die späteren Teile: Ohne genaue Kenntnis des zumindest ersten Teils funktioniert RING 0 ganz einfach nicht. Teile der Vorgeschichte – wie etwa jene Vorführung vor der Presse – erschließen sich erst dem Kenner in vollem Umfang, auch wird Sadakos höchst ambivalente Rolle erst durch Kenntnis der „früheren späteren Filme“, wo sie nur noch als gnadenlose und gruselige Erscheinung auftritt, vollends begreifbar. Man vertraut also seitens der Produktion auf weidlich vorhandene Kenntnisse des Komplexes und reduziert sich selbst in der Ausformulierung der Geschichte. Das mag, wie oben angedeutet, nicht das Schlechteste für einen Geisterfilm sein, hier aber bleibt die Erzählung im Einzelnen stellenweise fast schon zu fragmentarisch und erscheint recht oft bloß verwirrend, nicht aber gruselig, da man sich zudem – vermutlich als Ausgleich zum nicht präsentierbaren Video mit all seinen Implikationen – dazu entschloss, bis fast zum Ende hin lediglich ein Mysterium ans nächste zu ketten. Gewiss, die eine oder andere Lustchance dahingehend bietet RING 0 ganz ebenso, immer dann zum Beispiel, wenn eingangs erwähnte Knicke im medialen Gefüge in der Spielhandlung zum Tragen kommen. Auch die mise-en-cadre versucht das Geschehen, ähnlich wie schon der erste Teil, aus schrägen Perspektiven heraus in ein unheimliches Gewand zu kleiden. Trotzdem wirken diese Strategien doch nur bemüht und vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass sich eben nur an ein Meisterstück zeitgenössischer Gruselkunst angelehnt, dieses lediglich komplementär ausformuliert wird, ohne aber nennenswerte, eigene Qualitäten entwickeln zu können. Solcherlei Ambitionen waren merklich vorhanden, allein das Korsett der Vorgaben entpuppte sich als zu einengend.

Die DVD
Die bei Anolis Entertainment, im Vertrieb von e-m-s erschienene DVD weiß bedingt zu überzeugen. Ähnlich wie bereits die Veröffentlichung zu RING – DAS ORIGINAL leidet die Bildqualität unter einer leichten Unschärfe und mangelndem Kontrast, der vor allem die zahlreich vorhandenen Schwarzflächen eher milchig grau erscheinen lässt. Vor allem dieser Aspekt erweist sich recht schnell als irritierend und legt den Griff zur Fernbedienung zwecks Reglerjustierung nahe. Der Ton kann indes qualitativ überzeugen und fällt nicht weiter unangenehm auf, allerdings wird die Originaltonspur mit optionalen deutschen Untertiteln empfohlen, da die Synchronisation mit ihren lustlosen Sprechern eher spröden Charme entfaltet und der Atmosphäre des Films eher abträglich ist. Die Extras bieten eine ganze Sammlung an internationalen Trailern und Teasern zum Film, umfangreiche Biografien von Soundtrackkomponist und Regisseur, eine obligatorische Bildergalerie mit Stills aus dem Film, sowie eine kompetent vorgetragene Rezitation einer Kurzgeschichte aus dem Ring-Universum. Trotz der hier aufgeführten Mäkel sind die jüngsten Versuche der beiden an der Produktion beteiligten Firmen, dem asiatischen Film hierzulande auf breiterer Ebene Gewicht zu verschaffen, aber dennoch ohne Zweifel begrüßenswert!

Ring 0 (Japan 2000, Ringu 0: Baasudei)
Regie: Norio Tsuruta; Buch: Hiroshi Takahashi nach einer Literaturvorlage von Kôji Suzuki; Musik Shin’ichirou Ogata; Kamera: Takahide Shibanushi; Darsteller: Yukie Nakama, Seiichi Tanabe, Yoshiko Tanaka, Atsuko Takahata, Kumiko Asou, Takeshi Wakamatsu, Ryuushi Mizukami u.a.
Anbieter: Anolis Entertainment/e-m-s, Länge: 99 Minuten

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