„A Period when Cunt was in the Air“

Die beiden Schriftsteller Joey (Paul Valjean), ein Amerikaner, und der Franzose Carl (Wayne Rodda) leben im Paris der frühen Siebziger-Jahre zusammen in einem Appartement in Clichy, wo sie sich mit Vorliebe über das andere Geschlecht hermachen und ansonsten ziellos in den Tag hineinleben. Sie folgen einer Philosophie des „nutzlosen“ Lebens, eines Lebens, das ganz der Liebe und den schönen Dingen verpflichtet ist und sich niemals selbst in Frage stellt. Nur der Hunger, der sie manchmal befällt, wenn alles Geld für Prostituierte draufgegangen ist, erinnert die beiden Lebenskünstler daran, dass sie immer noch ein irdisches Dasein fristen.b000k2vkf201_ss400_sclzzzzzzz_v33972589_.jpg

In seinem berühmten biografischen Roman verarbeitete Henry Miller Erlebnisse seiner Zeit im Paris der Dreißiger-Jahre. Thørsen verlegte diesen Stoff in die ausklingende Hippie-Ära und landete in Cannes einen veritablen Erfolg, sah sich aber natürlich auch dem vorhersehbaren Vorwurf der Pornografie gegenüber: Der in „Stille Tage in Clichy“ porträtierte Lebensstil ist ganz dem Müßiggang und dem Genuss verpflichtet und dieser Philosophie wird Thørsen mit seiner Umsetzung mehr als gerecht. Sex und Essen sind die beherrschenden Themen eines Films, der auf eine Handlung im klassischen Sinne völlig verzichtet. „Stille Tage in Clichy“ bebildert eine Stimmung, ein Lebensgefühl, mehr als dass er eine Geschichte erzählt. Wir folgen Joey und Carl durch wahllos ausgewählte Episoden ihres paradiesischen Jahres in Clichy, nehmen teil an ihren orgiastischen Sexspielchen, ihren kindischen Albereien, beobachten sie bei ihren Eroberungen und ihren Streifzügen durch Paris. Die "stillen Tage" sind dann auch weniger im Sinne von "ruhig", sondern eher als "friedlich", "paradiesisch" zu interpretieren. 

Dem impressionistischen und auch ein wenig wehmütigen Blick in kontrastreichem Schwarzweiß stehen die pornografischen Ausbrüche und die derbe Sprache gegenüber, die in diesem Kontext aber beide einen spielerischen und beinahe unschuldigen Anstrich erhalten. Sex hat im Leben von Joey und Paul seine Natürlichkeit als menschliches Grundbedürfnis wiedererlangt und wird von ihnen auch dementsprechend selbstverständlich behandelt. Die Bilder von Thørsens Film ergeben sich so organisch aus dem ausgiebig zitierten Text Millers, dass die Stilmittel seiner Inszenierung gar nicht als solche auffallen: Es gibt zahlreiche Schrifteinblendungen, die die Gedanken der Protagonisten wiedergeben, ein Ausflug nach Luxemburg wird gänzlich in Standbildern aufgelöst, in einer kurzen Sexszene wird ein Zeitraffer verwendet und über all dem schwebt der Voice-over-Kommentar Joeys, der durch das Geschehen führt und den roten Faden bildet. Es ist die Schönheit des einfachen, puren, animalischen Lebens die in Millers Text wie auch in Thørsens Bildern gefeiert wird, die Freude am Hier und Jetzt. Ein Leben, das diesem Ideal verpflichtet ist, kennt keine Ziele. Und so erscheint es nur konsequent, dass „Stille Tage in Clichy“ einfach irgendwann endet. Thørsen hat Millers Philosophie perfekt verinnerlicht: Man soll das Leben in allen Zügen genießen und, wenn die Zeit gekommen ist, sterben, nackt, allein, ohne Schuld, ohne Bedauern, ohne Reue.

Stille Tage in Clichy
(Stille dage i Clichy, Den 1970)
Regie: Jens Jørgen Thorsen, Drehbuch: Jens Jørgen Thorsen (nach einem Roman von Henry Miller), Kamera: Jesper Høm, Musik: Lasse Lunderskov, Country Joe McDonald, Andy Sundstrøm, Ben Webster, Schnitt: Anker Sørensen
Darsteller: Paul Valjean, Wayne Rodda, Ulla Lemvigh-Müller, Avi Sagild, Susanne Krage
Länge: 91 Minuten
Verleih: e – m – s


Zur DVD von e – m – s

"Stille Tage in Clichy" erscheint in der Reihe "Meisterwerke der Filmgeschichte" als schöne Doppel-DVD im Pappschuber. Die erste DVD enthält neben der deutschen Version des Films auch das gesamte Bonusmaterial, während man auf der zweiten DVD zusätzlich die unzensierte englische Version untergebracht hat. Außerdem findet sich ein informatives 12-seitiges Booklet, dass unter anderem einen Nachdruck des Programmhefts aus dem Jahr 1971 enthält. Der Film sieht toll aus und auch der Ton gibt keinen Anlass zur Beschwerde, wenn man auch von beiden nicht die Brillianz eines aktuellen Blockbusters erwarten sollte. "Stille Tage in Clichy" ist aber eh nicht der Film, den man zur Demonstration der Heimkinoanlage einwirft: Statt um technischen Overkill geht es hier um Poesie und Atmosphäre und beide kommen ausgezeichnet zur Geltung. Auf weitere DVDs dieser bislang makellosen Reihe darf man sich also freuen.

Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 1,66:1 (anamorph)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 2.0)
Länge: 91 Minuten
Extras: Interviews mit Henry Miller Herausgeber Barney Rossett und Komponist Country Joe McDonald, Bilder- und Postergalerien, Biografien
FSK: ab 16
Preis: 13,89 Euro

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