No Sleep till Unna

 Peter Thorwarth beschließt mit "Goldene Zeiten" nach „Bang Boom Bang“ (1999) und „Was nicht passt wird passend gemacht“ (2002) die so genannte Unna-Trilogie. Schien deren innerer Zusammenhalt bisher eigentlich nur durch den Lokalkolorit der Ruhrgebiet-Kleinstadt gegeben, so werden mit „Goldene Zeiten“ nun doch einige wiederkehrende Themen erkennbar. Es geht um die großen Träume der Verlierer und Mittelmäßigen, das triste Leben in der Provinz, das diese Träume beflügelt, die am Ende wie Seifenblasen zerplatzen.b000gj0iwk01_ss400_sclzzzzzzz_v37055898_1.jpgIngo (Wotan Wilke Möhring) wäre gern Promoter und Partyhengst, so wie sein Boss Charly (Uwe Fellensiek), der sich mit Ingos Freundin auf der Luxusjacht räkelt. Deshalb hat er sich mächtig ins Zeug gelegt, um für das anstehende Benefiz-Golfturnier, mit dem der halbseidene Unternehmer Matthies (Wolf Roth) Unna groß rausbringen will, einen echten Promi an Land zu ziehen: den schon etwas abgehalfterten Serienstar Douglas Burnett. Douglas Burnett ist aber in Wahrheit der Schauspieler Horst Müller (Dirk „A-Team“ Benedict), der den Schwindel nur zu gern mitmacht. Um das Chaos zu vervollkommnen, sind die Bodyguards des vermeintlichen Superstars, zwei russische Ex-Soldaten, von Matthies’ Frau auch noch mit dem Mord an dessen Geliebter betraut, die wiederum so aussieht wie eine der beiden Prostituierten, die der gewalttätige Dorfzuhälter Harry Grabowski (Ralf Richter), selbst großer Burnett-Fan, Ingo für den Star zur Verfügung gestellt hat. Die Katastrophe scheint unausweichlich … 

Was bei „Bang Boom Bang“ noch als willkommener Hintergrund für skurrile Charaktere und grotesk überspitzte, aber immer in der „Realität“ verortete Situationen angesehen werden konnte, entpuppt sich bei „Goldene Zeiten“ als Programm. Peter Thorwarth zeichnet eine Gesellschaft, die ausschließlich aus Verlierern und Gescheiterten besteht. Der Unternehmer Matthies geriert sich als Kleinstadt-Trump, der Unna zur Metropole ausruft, nebenbei wie ein global player Spendengelder auf schwarze Konten schaufelt, letztlich aber brutal in die Realität zurückgeholt wird; Ingo träumt vom big business, muss aber bald erkennen, dass dieses oberflächliche Geschäft nicht für ihn gemacht ist; seine große Liebe Melanie kehrt nach dem kurzen Glück als One-Hit-Wonder in die Kleinstadt zurück und Horst Müllers großer Triumph endet so tragisch wie abrupt.

Thorwarth kennt diese Kleinstadtgesellschaft, das merkt man, und er liebt sie, die Verlierer, Großmäuler, Träumer und Kleinkriminellen. Diese Zuneigung ist es auch, die aus „Goldene Zeiten“ einen Film macht, der zwar auch Komödie ist, darüber hinaus aber noch sehr viel mehr. Da spiegelt sich in der kunstvoll auf die Kollision der verschiedenen Subplots hin konstruierten Handlung das ganze menschliche Drama, wird Unna zur Bühne der Welt: Wie alle Figuren um sich selbst kreisen, stets in dem Glauben, alles unter Kontrolle zu haben, in Wahrheit aber in Verhältnisse verstrickt sind, die niemand mehr überblicken kann, wie jeder Einzelne hier die Kausalkette in Gang bringt, die letztlich dazu geeignet ist, den eigenen Niedergang zu besiegeln, das ist so tragisch wie wahr und wird durch das perfekt konstruierte Drehbuch mit beängstigender Präzision auf den Punkt gebracht. Nach den beiden netten Komödien transzendiert Peter Thorwarth seinen Blick auf das Ruhrpottidyll, ordnet er sich erzählerisch irgendwo zwischen Tarantino – dass Gespür für griffige Charaktere und die Pointierung ad infinitum – und Scorsese – die epische Breite des mit ausschweifendem Pinselstrich gemalten Gesellschaftspanoramas – ein. Das mag nun etwas hoch gegriffen sein, aber mit „Goldene Zeiten“ hat Peter Thorwarth seine Reifeprüfung mit Bravour bestanden und sich für größere und neue Aufgaben empfohlen. There’s life after Unna after all. 

Goldene Zeiten
(Deutschland 2006)
Regie: Peter Thorwarth, Drehbuch: Alexander M. Rümelin, Peter Thorwarth, Kamera: Jan Fehse, Musik: Kraans De Lutin, Schnitt: Anja Pohl  
Darsteller: Wotan Wilke Möhring, Wolf Roth, Dirk Benedict, Alexandra Neldel, Ralf Richter, Ludger Pistor
Länge: 129 Minuten
Verleih: e-m-s  


Zur DVD von e-m-s

"Goldene Zeiten" wird von e-m-s in zwei Versionen auf den Markt gebracht: Neben einer normalen Einzel-DVD mit abgespecktem Bonusmaterial liegt der Film auch in einer sehr schön gestalteten Box als Doppel-DVD mit Soundtrack-CD vor. Bild und Ton sind ausgezeichnet wie man das bei einem solch neuen Film erwarten darf, das Bonusmaterial ist sehr umfangreich ausgefallen und deckt vom informativen Audiokommentar, über zahlreiche Interviews bis hin zum Blooper-Reel alles ab, was man auf diesem Sektor mittlerweile gewohnt ist. Als besonderer Leckerbissen findet sich auch noch eine nicht verwendete, bislang "verschollene" Szene aus "Bang Boom Bang" wieder, in der man nicht nur den mittlerweile ja leider verstorbenen Dieter Krebs noch einmal bewundern darf, sondern auch Wotan Wilke Möhring als Ingo. Alles in allem eine vorbildliche Veröffentlichung, die den langweiligen, nach Norm gefertigten Special Editions großer Hollywood-Blockbuster mit Leichtigkeit den Rang abläuft.

Zur Ausstattung der DVD:

Bild: 2,35:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1)
Länge: 129 Minuten
Extras: Audiokommentar, Alternatives Ende, Deleted Scenes, Extended Scenes, Making Of, Behind the Scenes, Interviews, DVD-Rom-Part, Musikvideo, Gag Reel/Outtakes, Best of O-Ton Douglas Burnett/Horst Müller, Casting Sessions, Zuspieler, Bildergalerie, Teaser, Trailer
FSK: ab 16
Preis: 17,89 Euro

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